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Synthes bleibt bei Johnson & Johnson bestehen

Synthes, Flaggschiff der Schweizer Medtech-Branche, hat in 30 Jahren ein enormes Wachstum erlebt. Keystone

Der Orthopädiekonzern Synthes gehört bald dem amerikanischen Riesen Johnson & Johnson. Die Kaufsumme beträgt 21,3 Milliarden Dollar. Ein strategischer Entscheid, der vom Schweizer Medtech-Experten Gilberto Bestetti gut aufgenommen wird.

Synthes ist für die Herstellung von Implantaten für die Unfallchirurgie bekannt, für die Wirbelsäule, Schädeldefekte sowie für Biomaterialien zur Regenerierung von Knochen und Weichteilen. Der Handwechsel wurde am Mittwoch bekanntgegeben.

swissinfo.ch: Wie beurteilen Sie als profunder Kenner der Medtech-Branche diese Ankündigung?

Gilberto Bestetti: Bis jetzt war Synthes in den Händen von Hansjörg Wyss. Zusammen mit seiner Tochter hielt er einen Grossteil der Aktien. Mit 75 Jahren musste er sich um eine Nachfolge kümmern.

Es wurde ein Entscheid gefällt und das ist gut. Synthes ist ein Unternehmen mit rund 11’500 Angestellten weltweit. Da konnte man nicht den lieben Gott entscheiden lassen.

Als Schweizer hätte ich es zwar vorgezogen, wenn Synthes in helvetischen Händen geblieben wäre. Aber wie Hansjörg Wyss betont hat: die Innovationskultur von Synthes bleibt bestehen.

Es brauchte jemanden, der bereit ist, einen Betrag von über 20 Milliarden Dollar aufzuwerfen. Ein gewichtiger Partner auf dem Finanzplan, der in der Lage ist, Synthes in seine Strukturen einzuverleiben und gleichzeitig die Wirkkraft und Innovationsstärke von Synthes beizubehalten.

swissinfo.ch: Hätte denn das Unternehmen nicht im Alleingang weitermachen können mit einem stärkeren Management?

G.B.: Träumen ist durchaus erlaubt. Aber sehen Sie sich mal den Wert des Konzerns an. Die Übernahme durch das eigene Management ist bei einem Unternehmen mit einigen hundert Mitarbeitenden durchaus denkbar. Aber bei einem Unternehmen mit 12’000 Angestellten ist das keine einfache Sache.

Das muss finanziert werden. Leute, die so viel Geld aufbringen können, sind nicht sehr zahlreich. Sie wollen schnelle Ergebnisse sehen und machen Druck auf die Gesellschaften. Das ist keine günstige Bedingung für den Erfolg einer so wichtigen Veränderung im Leben eines Unternehmens.

swissinfo.ch: Welche Auswirkungen wird diese Übernahme haben, für Synthes, aber auch für den Medtech-Sektor in der Schweiz?

G.B.: Johnson & Johnson ist ein Riesenkonzern, der in der Pharmabranche und in der Medizinaltechnik tätig ist. Ein Unternehmen, das in der Schweiz sehr präsent ist mit der Orthopädie, Medos & Codman und anderen.

Johnson & Johnson hat nicht gesagt, es wolle Synthes aufteilen oder Teile davon verkaufen. Es scheint, dass die Integrität von Synthes respektiert wird. Das ist sehr wichtig. Denn man hätte sich auch eine Aufteilung, den Verkauf einzelner Unternehmensbereiche vorstellen können.

Zudem ist Johnson & Johnson stark in der Biowissenschaft und Medizinaltechnik. Die Gruppe hat realisiert, dass in der Schweiz Forschung und Entwicklung, aber auch die Produktion ausserordentlich gut laufen.

Nehmen wir als Beispiel Medos & Codman in Le Locle: Es war ein kleines Unternehmen mit vier oder fünf Mitarbeitern, als es von Johnson & Johnson übernommen wurde. Heute beschäftigt es hunderte Angestellte. Dort findet die ganze Forschung für Ventile beim Hydrocephalus (Wasserkopf) statt. Dort werden auch Prothesen hergestellt.

Es herrscht also eine positive Einstellung in Bezug auf das Label Schweiz. Johnson & Johnson hat eine starke helvetische Erfahrung und seine Fähigkeit in Bezug auf Forschung und Entwicklung vor Ort bewiesen.

Auf den ersten Blick ist die Lösung also positiv. Aber eine Garantie gibt es natürlich nicht. Es handelt sich ja trotzdem um die Übernahme eines der bedeutendsten Medtech-Unternehmen der Welt durch Johnson & Johnson.

swissinfo.ch: Welche Bedeutung hat Synthes auf dem Gebiet der Medizinaltechnik in der Schweiz?

G.B.: Roche [Roche Diagnostics etc.] und Synthes sind die einzigen Vertreter aus der Medtech-Branche im SMI [Swiss Market Index, Schweizer Börse]. Das sagt alles.

Synthes ist auch ein Unternehmen, das sich direkt oder durch Akquisitionen kleiner Firmen oder noch nicht ausgereifter Projekte für Innovation einsetzt.

swissinfo.ch: Ist die Geschichte von Synthes typisch für ein Schweizer Medtech-Unternehmen?

G.B.: Das hängt vom Blickwinkel ab. Was vor allem typisch ist für Synthes, ist der Unternehmergeist von Hansjörg Wyss und gewisser seiner engster Mitarbeiter.

Leute mit Ideen, welche die Möglichkeit hatten, ihre Ideen zu verwirklichen. Eine gewisse Innovations-Freiheit. Die Kapazität, mit den Universitäten zusammenzuarbeiten. Sich einem “Diktator” wie Hansjörg Wyss anzupassen, hat manchmal auch sein Gutes. Er hat bei Synthes eine Innovationskultur eingeführt.

Synthes ist ein typisches Unternehmen, weil es sich gemäss seiner Möglichkeiten auf dem Gebiet klinischer und orthopädischer Materialien und der Behandlung von Metallen entwickelt hat, und zwar in der Region der Automatenarbeit – in Grenchen, Solothurn und Basel. Die Schweiz weist die weltweit höchste Dichte medizinaltechnischer Betriebe auf.

Synthes blieb lange Zeit in den Händen jenes Mannes, der das Unternehmen zum Erfolg geführt hat. Das ist ein weiteres typisches Element. Und ein einem solchen Fall muss der Pionier früher oder später seine Nachfolge regeln und die Möglichkeit eines Verkaufs in Betracht ziehen. Diese Lösung kommt am häufigsten vor.

Eine Änderung dieser Art kann sich übrigens für ein Unternehmen, das so schnell gewachsen ist, bewähren. Hoffen wir einfach, dass Johnson & Johnson die Individualität von Synthes respektieren wird, damit die besten Mitarbeiter, die innovativ tätig sind, bleiben können. Das ist natürlich eine Herausforderung für Johnson & Johnson.

Der ehemalige Biomediziner und Professor für Tierpathologie an der Universität Bern war CEO der Firma Disetronic, die Insulinpumpen herstellte, und leitete die Medtech-Initiative der Eidgenössischen Kommission für Technologie und Innovation KTI.

Heute ist er Partner der Firma Novo Business Consultants AG in Bern und unterrichtet an der Universität St. Gallen.

Johnson & Johnson offeriert 159 Fr. pro Stammaktie von Synthes. Der Abschluss der Übernahme ist für die erste Hälfte 2012 geplant.

Synthes soll bei der US-Firma im Segment Medical Devices and Diagnostic integriert werden. Mögliche Auswirkungen auf die Schweizer Standorte von Synthes sind noch nicht bekannt.

Obwohl Synthes an der Schweizer Börse kotiert ist, ist das Unternehmen bereits jetzt amerikanisch. Der Firmensitz befindet sich in der Nähe von Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania. In der Schweiz arbeiten 2800 der total über 10’000 Angestellten.

Johnson & Johnson beschäftigt weltweit rund 115’000 Personen, davon 3600 in der Schweiz.

(Quelle: Agenturen)

Der Grossaktionär von Synthes mit einem Vermögen von 6,4 Mrd. Dollar ist laut Forbes derzeit hinter Unternehmer und Segler Ernesto Bertarelli (10 Mrd. Dollar) der zweitreichste Schweizer.

Die wichtigsten Schritte der Firma, die in den 1950er-Jahren gegründet wurde, waren 1999 die Fusion mit der Basler Stratec und 2003 die Übernahme des Solothurner Konkurrenten Mathys, womit die Gruppe an die Weltspitze auf dem Gebiet der Osteosynthese, der operativen Knochenbehandlung, stiess.

Der Bereich trägt in der Schweiz 2% zum BIP bei (D: 0,7%, USA: 0,5%).

In 3720 Unternehmen arbeiten rund 48’000 Personen, ein Zehntel aller in diesem Sektor in Europa Beschäftigten.

Umsatz: ca. 23 Mrd. Fr., 90% der Produkte werden exportiert.

(Übertragen aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

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