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Die Costa Blanca, das billigere Tessin

Der Zürcher Sozialgeograf Andreas Huber. swissinfo.ch

Ältere Schweizer suchen immer öfter ihr Glück im Ausland. Besonders beliebt ist die Costa Blanca. Experte Andreas Huber hat vor Ort geforscht.

Ungebremster Bauboom, Abfallberge und Wasserknappheit seien die Schattenseiten, sagt der Zürcher Sozialgeograf im Gespräch mit swissinfo.

Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat Andreas Huber an der spanischen Costa Blanca während 15 Monaten zahlreiche Schweizer Auswanderer interviewt, sie nach ihren Motiven, Sorgen und Problemen befragt. Dabei ist er auch auf negative Erscheinungen gestossen, welche die Konzentration der Senioren dort hervorruft.

Was macht die Costa Blanca für Schweizer Auswanderer so attraktiv?

Es gibt eine spezielle Infrastruktur, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat: Deutschsprachige Zeitungen, Ärzte und Altersheime für Deutsche. Das Klima ist für viele sehr wichtig, auch die Kosten. In Spanien sind nach wie vor viele Dinge billiger als in der Schweiz.

Was sind das für Leute, die im Alter nach Spanien auswandern?

Sie stammen aus allen Schichten, aber hauptsächlich aus der Mittelschicht, denn es braucht ein bestimmtes finanzielles Polster, um den Schritt überhaupt machen zu können. Sehr viele hatten auch während der beruflichen Karriere schon im Ausland gelebt.

Wie sieht deren Leben an der Costa Blanca aus?

Viele leben in so genannten Urbanisationen. Das sind keine historisch gewachsenen Siedlungen, sondern Retorten-Orte mit sehr wenig öffentlichen Anlagen. Meist gibt es nur eine Hauptstrasse, wo alle Läden, Banken, Tankstellen und Autovermieter sind.

Es fehlen Referenzpunkte zur Orientierung, beispielsweise Kirchen und Schulen. Das macht die Orientierung teilweise sehr schwer.

Trotzdem geben viele an, dort glücklich zu sein.

Sehr viele sind mit der Vorstellung gegangen, “Ich ziehe irgendwo hin, wo für mich das Paradies ist”. Dann wurden sie von Freunden oder Bekannten mit Kritik konfrontiert “Ich könnte nie dort leben!” oder “Was machst du dort den ganzen Tag, es muss ja extrem öde sein”.

Die Leute müssen sich also vor sich selber rechtfertigen, dass dieser Schritt gut gewesen ist. Sie müssen an dieses Paradies glauben, sonst wird es schwierig.

Dabei ist es eine absurde Vorstellung, dass es einem an einem Ort mit besserem Klima und grösserem Haus einfach gut geht. Denn erstens nimmt man ja immer seine Geschichte und Probleme mit, und zweitens ist das Glück nicht von diesen äusseren Dingen abhängig.

Gibt es Leute, deren Traum an der Costa Blanca geplatzt ist?

Ja. Viele kritisieren die bauliche Entwicklung, die auch neuen Lärm bringt. Vielen sehen sich deshalb nach einem anderen Ort um. Was die Einsamkeit betrifft, sehen es viele eher pragmatisch. Einige räumen ein, einsam zu sein, geben aber an, dass sie das auch in der Schweiz wären.

Im Alter wird die Gesundheit immer wichtiger – welche Angebote gibt es hiezu?

Da ist ein Riesenproblem am Entstehen: Obwohl das Angebot an medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen stetig grösser wird, gibt es einen relativ grossen Mangel an Plätzen in Alters- und Pflegeheimen. Nicht zuletzt, weil auch immer mehr Spanier im Alter nicht mehr von ihren Kindern betreut werden.

Es gibt Spitex-Angebote, doch diese werden von Privaten angeboten, kosten also. Auch da wächst ein Riesenproblem heran: Gewisse Gemeinden haben heute schon einen Alten-Anteil von rund 30%.

Krankheit und der Tod des Partners sind die wichtigsten Gründe für eine Rückkehr in die Schweiz.

Welche Folgen haben die Urbanisationen für die lokale Wirtschaft?

Die Bauwirtschaft profitiert, und teilweise auch die Gemeinden. Denn je mehr Residenten sich offiziell anmelden, desto mehr Geld erhalten die Gemeinden von der Communidad (autonome Regionalregierung).

Die Bodenpreise sind massiv gestiegen. Dazu gibt es eine ganze Reihe ökologischer Probleme. Es herrscht Wassermangel, was Probleme für die Landwirtschaft ergibt. Diesen Sommer herrschte Dürre, und die Qualität des Wassers verschlechte sich derart, dass es nicht mehr trinkbar war. Es gibt zudem viele Golfplätze, die laut WWF-Studie gleich viel Wasser brauchen wie eine Stadt mit 12’000 Einwohnern.

Und es gibt ein Abfallproblem. Kehricht wird meist deponiert, und man zahlt als Hausbesitzer eine Gebühr, die relativ klein ist.

Sie bezeichnen die Situation an der Costa Blanca als “Europa im Kleinen”, inwiefern?

Menschen aus vielen Nationalitäten leben dort auf relativ engem Raum zusammen oder nebeneinander.

Schöpfen die Bewohner gerade aus dieser besonderen Situation ein neues Selbstbewusstsein?

In den Gemeinden mit einem hohen Anteil ausländischer Altersmigranten – zum Teil über 50% – kann man von einer “grauen Macht” sprechen, die beispielsweise in Altersheim-Fragen ihre Politik durchsetzen könnte, bislang aber nur wenig aktiv wurde.

Sind die Residenten also gar nicht so schlecht integriert?

Sie sind in der Regel sogar sehr gut integriert, allerdings nicht unbedingt in die spanische Gesellschaft. Vielmehr in ihre eigene “nationale Gemeinde”, mittels Klubs, Netzwerken und Hilfestellungen im Fall von Problemen.

Die modernen Kommunikationsmittel ermöglichen zudem, dass sie mit Angehörigen und Bekannten in der Schweiz in Kontakt bleiben. Wichtig ist da das Satellitenfernsehen.

Ist die Costa Blanca dank dieser neuen Mittel zum Tessin der Gegenwart geworden?

Ja, durchaus. Wobei sich im Tessin eher Vermögende niederliessen. So gesehen ist die Costa Blanca das billigere Tessin.

swissinfo-Interview, Renat Künzi

2004 lebten in Spanien 21’500 registrierte Schweizer, davon rund 7500 in Madrid und 4800 an der Costa Blanca.
Ihre Zahl ist aber um einiges höher, da viele bei den Behörden nicht angemeldet sind.
Die Anfänge gehen auf Ende der 1970er-Jahre zurück, als spanische Bauunternehmer in der Schweiz für Alterswohnsitz-Projekte an der Costa Blanca warben.
Mittlerweile sind dem Trend Zehntausende von Senioren aus anderen Ländern gefolgt.
Die Costa Blanca wurde auch schon als “Altersheim Europas” oder “Costa Geriatrica” bezeichnet.

Ausgewanderte Schweizer Rentner “müssen” glücklich sein, um ihren Entscheid vor sich und den Anderen zu rechtfertigen, sagt Andreas Huber.

Er bezeichnet die Costa Blanca als “Europa im Kleinen”, wo auf engem Raum Menschen aus vielen Nationen leben.

Diese Konzentration hat auch negative wirtschaftliche und ökologische Auswirkungen.

Die Senioren sind laut Huber meist gut integriert. Aber nicht in die spanische Gesellschaft, sondern in die Gemeinde der Auswanderer.

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