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Gret Haller: Die Gründe für den Krieg sind religiöse

Gret Haller. Keystone Archive

Gret Haller ist der Meinung, ein Krieg gegen den Irak sei religiös motiviert.

Gret Haller, die frühere Nationalratspräsidentin, war Botschafterin beim Europarat und von 1996 bis 2000 Ombudsfrau für Menschenrechte für den Staat Bosnien-Herzegowina in Sarajevo. Sie hat ein Buch zu den Beziehungen zwischen Europa und den USA geschrieben.

swissinfo: Gibt es gute Gründe für einen Krieg?

Gret Haller: Gute Gründe gibt es sowieso nicht. Es gibt auch keine schlechten Gründe. Es gibt überhaupt keine Gründe.

Eine so unvernünftige Mehrheitsmeinung kann sich nur in einem Land durchsetzen, welches nicht säkularisiert ist. Unter Säkularisierung verstehe ich die Einbindung der Religion in eine staatliche Ordnung.

Es gibt weltweit verschiedene solche Staaten, die nicht säkularisiert sind, und die USA gehören leider dazu. Die Gründe für diesen Krieg sind religiöse. Andere vernünftige Gründe kann man nicht finden.

Europa hat dieses vorsäkularisierte Stadium 1648 mit dem westfälischen Frieden definitiv überwunden. Und jetzt ist das wieder zum Ausbruch gekommen.

Für mich war es überhaupt nicht überraschend, dass Europa und die Vereinigten Staaten sehr unterschiedlich argumentiert haben und dass das auseinandergebrochen ist, wenn man die alten Seefahrer-Mächte Grossbritannien und Spanien ausser Betracht lässt.

Hat die UNO ihre Glaubwürdigkeit verloren?

Ich denke, überhaupt nicht. Nein, die Vereinigten Staaten haben ihre Glaubwürdigkeit verloren bei den vielen säkularisierten Staaten dieser Welt.

Die jetzige Situation könnte zu einer ganz grossen Chance werden für eine Verstärkung des Völkerrechts. Ich bin überzeugt, dass der Zustand, in dem einer gegen alle oder einer gegen fast alle auf der Welt agiert, nicht lange andauern kann.

Und es ist jetzt äusserst wichtig, mit welchem Blickwinkel man das Geschehen analysiert und auch rückblickend analysieren wird.

Es gibt zwei Blickwinkel: Man kann die Analyse aus dem Blickwinkel “Recht des Stärkeren” machen. Dann kommt man zum Schluss, es sei halt so. Das Völkerrecht habe ausgedient, und die UNO sei geschwächt oder gar nicht mehr relevant. Das ist der Entscheid dessen, der die Analyse macht.

Ich persönlich will die Analyse unter dem Aspekt “Stärke des Rechts” und nicht “Recht des Stärkeren” machen. Was zur Folge hat, dass man die Handlungen der einzelnen Staaten analysiert. Dass man unabhängig vom Kriegserfolg dabei bleibt, dass es eine rechtlose Aktion war.

Ich denke, es ist gerade das religiöse Argument, das einen abbringt von einer vernünftigen Analyse. Dies wirft einen – für Europa gesehen – hinter den westfälischen Frieden von 1648 zurück.

Dass dies so vielen Leuten jetzt bewusst geworden ist, könnte eine enorme Chance für das Völkerrecht sein und damit auch für die UNO.

Weil die UNO die einzige weltweite Struktur ist, an deren Rand sich das Völkerrecht weiter entwickeln kann.

swissinfo-Interview: Christian Raaflaub

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