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Im Reich der Volks-Utopien

Eines der unverwirklichten Projekte: Der Zaubergarten mit Holzskulpturen von Erwin Schatzmann. www.expomat.ch

1997 lancierte die Expo-Leitung einen Appell an die Schweizer Bevölkerung, Ideen einzureichen. Von den unzähligen Expo-Vorschlägen wurden praktisch keine realisiert.

Es waren andere Zeiten. Mit grossen Hoffnungen und Idealen bastelte man damals am Projekt einer 6. Schweizer Landesausstellung, die noch Expo01 hiess. Inzwischen ist die Expo.02 Realität, aber ein soeben veröffentlichtes Buch wirft nochmals ein interessantes Licht auf die Entstehung dieser Grossveranstaltung, als das Leitungsteam aus zwei kreativen Frauen bestand, der Direktorin Jaqueline Fendt und der künstlerischen Leiterin Pippilotti Rist.

Die zündende Idee war ein öffentlicher Ideenwettbewerb. So sollte die Bevölkerung in die Entwicklung des Events involviert werden. Damals kannte man nur den Standort, die Seen-Region zu Füssen des Jura, sowie die vier Themen, die den Arteplages zugeordnet waren. Die Landesausstellung war noch auf der Suche nach einer geeigneten Form und geeigneten Inhalten.

Eine (wenig) demokratische Expo

Das Ergebnis der öffentlichen Ausschreibung war überwältigend: mehr als 3000 Projekte wurden eingereicht; über 9000 Personen waren bei der Ausarbeitung aller Dossiers beteiligt. Eine Überschlagsrechnung ergab, dass jede dieser beteiligen Personen rund 100 Stunden an Freizeit investiert hatte, um die eigenen Träume auf Papier zu bringen – Träume, die sie mit der Schweizer Bevölkerung teilen wollte.

Doch von diesem basisdemokratischen Ansatz ist wenig übrig geblieben. Nur fünf Projekte sind verwirklicht worden, was einem Anteil von 1,5 Promille entspricht. Das jetzt auf Deutsch und Französisch publizierte Buch macht erstmals eine grosse Auswahl der eingereichten Arbeiten öffentlich zugänglich. Und der Titel des Buches ist von einem dieser Projekte geliehen: Expomat.

Ein Buch voller Idealismus…

Die Publikation ist weder eine Hintergrund-Analyse der eingereichten Projekte noch eine Kritik an der Auswahlkommission. Der 700 Seiten starke Band listet die Teilnehmenden auf und fasst deren Vorschläge zusammen. Entstanden ist ein Katalog an kreativer Demokratie, der durch Projektskizzen angereichert wird.

Die Autoren des Buches, Roman Keller und Barbara Wiskemann, gehen zudem nochmals die diversen Etappen der Aktion «Gestalten wird gemeinsam die Expo» durch. Ein Interview mit der damaligen Expo-Direktorin und Promotorin der Initiative, Jaqueline Fendt, deckt die Hintergründe dieser Aktion auf. Zugleich werden einige bisher unbekannte Details über die Dynamik im ersten Expo-Leitungsteam bekannt, das bekanntlich an der öffentlichen Kritik zerbrochen ist.

… und Realismus

Auf der Gegenseite steht der künstlerische Direktor Martin Heller, der für den visuellen Teil der jetzigen Expo.02 verantwortlich ist. Er hat das Erbe von Pippilotti Rist angetreten und deren Utopien in etwas technisch Machbares umgewandelt. Für Heller sind «Leidenschaft und Ästhetik nicht vereinbar».

Die Notwendigkeit von Realismus und Sparsamkeit dürften den Ausschlag gegeben haben, die Gestaltung der Pavillons Profis zu überlassen. Von der Bürgerbeteiligung ist nur wenig übrig geblieben. Das Ergebnis ist eine teure und doch kreative Veranstaltung,

Keine Heissluftballons in Form eines Schweizer-Kreuzes, keine Eisenbahn, welche die Pavillons erreicht, keine Laser-Pyramiden, keine Solarbäume oder Tiergärten: Fast nichts gibt es von dem, was die Bürger an ihrer selbstgebastelten Expo sehen wollten. Immerhin ist die ganze Ansammlung an Ideen jetzt in Buchform vorhanden. Die Utopien können so aus ihrer Anonymität schlüpfen. Und, wer weiss, vielleicht werden die Ideen bei einer anderen Gelegenheit doch noch wahr.

Daniele Papacella

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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