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Keine Pestalozzi-Kinderdörfer in Südostasien

In der Schule fürs Leben lernen - in einer Atmosphäre, die auch Spass macht.

Das Kinderdorf Pestalozzi im appenzellischen Trogen betreut schon lange nicht mehr Kinder aus dem kriegsversehrten Europa. Die Hilfs-Methoden wurden der Zeit angepasst und verlagert – zum Beispiel nach Südostasien.

“Ich muss klar stellen, wir haben keine Kinderdörfer im Ausland”, erklärt Brigit Burkard, Programmverantwortliche für Südostasien bei der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi gegenüber swissinfo.

Nur in der Schweiz gibt es das Kinderdorf Pestalozzi, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, um Waisenkinder aus den vom Krieg betroffenen Ländern Europas aufzunehmen und ihnen ein neues Zuhause zu geben.

“Es gab verschiedene Häuser, ein italienisches, ein finnisches, etc. wo die Kinder ihre Kultur und Sprache weiterleben konnten”, erklärt Burkard. Sie gingen jedoch mit den Kindern der anderen Nationen und Kulturen zur Schule. “Ziel war das friedliche Zusammenleben dank einer interkulturellen Bildung.”

Mit der Zeit gehen …

Mit der Zeit kamen auch Kinder anderer Krisengebiete dazu, aus Tibet und später Kambodscha. “In den 1980er-Jahren hat man gemerkt, dass es schwierig ist, die Kinder wieder in ihr Land zurückzuschicken, damit sie ihrer Bevölkerung das Beispiel des friedlichen Zusammenlebens lehren könnten.”

Denn sie hatten in der Schweiz ihre Wurzeln verloren, zum Teil keine Familien mehr oder keinen Bezug mehr zu ihren Landsleuten. Deshalb wollten die meisten auch nicht mehr zurückkehren.

Also änderte man die Strategie. Anstatt Kinder in die Schweiz zu holen, hat man in den Ländern selbst Projekte unterstützt. “Die Stiftung hat zwar immer noch das Kinderdorf”, sagt Brigit Burkard,” dort wohnen heute jedoch Kinder und Jugendliche aus Migrationsfamilien, die in der Familie oder der Schule Integrationsschwierigkeiten haben.”

Laos: lokale Partner

Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi führt im Südostasiatischen Raum keine Projekte selbst durch. Sie arbeitet meist mit lokalen Nichtregierungsorganisationen.

“Mit unseren Partnern entwickeln wir Projekte, die dann normalerweise in drei Phasen à drei Jahren durchgeführt werden”, so Burkard. Es handelt sich dabei um Projekte im Bereich Bildung, interkultureller Bildung, Kinderrechte oder Friedensbildung.

In Laos hat die Schweizer Organisation verschiedene Akzente gesetzt. So werden Lehrer ausgebildet, die im kinderzentrierten Ansatz lehren, damit die Kinder im Unterricht mitmachen, Fragen stellen. Die Lehrkräfte werden aus der Region rekrutiert, damit diese die dortige Kultur und vor allem die Sprache beherrschen.

Die wenigsten Angehörigen von kulturellen Minderheiten beherrschen die offizielle Landessprache Lao.

Weiter sind in Laos auch in den ländlichen Gebieten Lehrpläne für Stadtkinder im Einsatz, die wahrscheinlich noch von der ehemaligen Besatzungsmacht Frankreich entwickelt wurden.

Lokales, traditionelles Wissen

“Auf dem Land, wo viele Kinder nach der Primarschule keine Chance haben werden, in einer Stadt einer bezahlten Arbeit nachzugehen, haben die offiziellen Lerninhalte praktisch keine Relevanz”, sagt Burkard. “Konsequenz: Mehr als die Hälfte der Kinder brechen bereits nach den ersten zwei Schuljahren ab.”

Deshalb hat die Stiftung in der Provinz Vientiane zusammen mit der Dorfbevölkerung, den Lehrern aber auch den Kindern Lehrpläne entwickelt, die auch lokales, traditionelles Wissen enthalten.

Damit soll den Eltern die Entscheidung leichter gemacht werden, ihr Kind bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit zur Schule zu schicken.

Burma: Schwierige Aufgabe

Besondere Probleme tauchen in einem Land wie Burma auf, dessen Regierung sich abschottet, die keine Entwicklungshilfe von aussen annimmt. “Ja, es ist schwierig, in Burma zu arbeiten”, sagt Burkard. “Zum Glück haben wir eine sehr kompetente lokale Koordinatorin vor Ort, die mit Regierungsstellen zu verhandeln weiss.”

In Burma gibt es viele Restriktionen. “So darf man das Wort ‘Kinderrecht’ nicht einmal aussprechen”, wie Burkard erklärt. Es heisst “Kinder haben auch Verantwortung”.

Zwar gibt es Gesetze, die kinderzentrierte Methoden vorschreiben. “De facto ist es jedoch noch lange nicht so weit, weil es zu wenige Lehrer gibt, die das umsetzen, weil die Regierung der Bildung keine Priorität zumisst.”

Nur Geldgeber?

Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi sieht ihre Rolle nicht in der einer reinen Geldgeberin: “Wir erarbeiten die Projekte zusammen mit unserer Partnerorganisation und finanzieren diese mit. In der ersten Phase können wir bis 70% eines Projektes finanzieren, in der zweiten bis 50% und in der dritten bis höchstens 30%”, erklärt Burkard. Danach sollte es selbständig weiterbestehen.

Mit diesen Projekten hat die Stiftung bereits Zehntausende von Kindern unterstützt – viel mehr als man je hätte in die Schweiz holen können.

swissinfo, Etienne Strebel

Der Bereich “Interkulturelles Wohnen” im Kinderdorf stellt in der Schweiz in Not geratenen Jugendlichen, vorwiegend mit Migrationswurzeln einen Lernraum für eine interkulturelle Persönlichkeitsentwicklung zur Verfügung.

Im Bereich “Interkultureller Austausch” arbeitet die Stiftung Pestalozzidorf auf ein friedliches interkulturelles Zusammenleben hin. Gruppen aus Ost- und Südeuropa treffen im Kinderdorf auf Schweizer Schulklassen und erleben die Kernthemen Interkulturalität, Anti-Rassismus und Kinderrechte.

Das dritte Geschäftsfeld liegt in der Entwicklungszusammenarbeit. In 12 Ländern eröffnet die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Kindern und Jugendlichen via lokale Projekte, die das friedliche interkulturelle Zusammenleben begünstigen, Zugang zu Bildung.

Administrativer Aufwand: 4,605 Mio. Fr.

Total Programmkosten: 13,2 Mio. Fr., davon für
Interkulturelles Wohnen 30%
Interkultureller Austausch 18%
Interkulturelle Weiterbildung 3%
Kinderdorf Trogen 2%
Dorferneuerung <1%
Partnerprojekte Schweiz <1%
Kinderrechte 2%
EmPower 4%
Südosteuropa 9%
Ostafrika 16%
Zentralamerika 9%
Südostasien 7%

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