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Nur den Problembären geht’s an den Pelz

"JJ2" betrat zum ersten Mal im Juli 2005 Schweizer Boden. Keystone

Bären sollen in der Schweiz leben können, solange sie die Sicherheit von Menschen nicht gefährden. So steht es im Bären-Konzept des Bundes, das seit Dienstag gültig ist.

Umweltkreise sind zufrieden, Bauern und die Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete hingegen skeptisch. Sie fürchten Probleme beim Zusammenleben von Mensch und Bär.

An erster Stelle steht das möglichst konfliktfreie Zusammenleben zwischen Tier und Mensch: Das vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) am Dienstag verabschiedete Konzept Bär basiert auf der Überzeugung, “dass Bären und Menschen in der Schweiz nebeneinander existieren können”.

Gemäss Konzept als unauffällig gelten Bären, die man kaum zu Gesicht bekommt. Wo sie leben, lanciert der Bund Projekte zur Schadenverhütung.

Die Kantone müssen die Bärenbestände überwachen und darüber informieren, wo sich Bärinnen mit Jungen aufhalten. Bärenmütter können Menschen am ehesten gefährlich werden.

Hunde und Knallpetarden gegen “Problembären”

Taucht ein Bär wiederholt in der Nähe von Siedlungen auf, hinterlässt er grosse Schäden. Kommt es zu gefährlichen Situationen, weil das Tier keine Scheu vor Zweibeinern hat, spricht das Konzept von einem Problembären. Ein solches Tier wird narkotisiert, mit einem Sender versehen und vergrämt.

Die Mittel dazu sind scharfe Hunde, Knallpetarden, Lärm und Gummischrot, wie Reinhard Schnidrig, Leiter Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität beim BAFU sagte.

“Ziel ist, dass Bären lernen, dass die Nähe zu Menschen unangenehm und schmerzhaft ist, sie aber in der freien Natur ihre Ruhe haben.”

Wer nicht hören will, muss spüren

Lässt sich das Tier dadurch nicht aus der Nähe von Dörfern und Weilern vertreiben oder hat es Menschen angegriffen und verletzt oder gar getötet, wird es zum “Risikobär”.

Das bedeutet sein Todesurteil. “Am Schluss geht immer der Mensch vor”, betonte Schnidrig.

Die Bewilligung, einen “Risikobären” abzuschiessen, hat gemäss Konzept der betroffene Kanton zu erteilen. Zuvor muss er die Interkantonale Kommission konsultieren, in der auch das BAFU Einsitz hat.

Bund und Kantone müssen Voraussetzungen schaffen, um Bärenschäden möglichst zu verhüten. Macht sich Meister Petz an landwirtschaftlichen Kulturen zu schaffen oder vergreift er sich an einem Nutztier, wird der Schaden nach geltendem Recht zu 80% vom Bund und zu 20% vom Kanton vergütet.

Löwenanteil entfällt auf Wölfe

Für die Verhinderung von Grossraubtier-Schäden hat der Bund ein Jahresbudget von rund 600’000 Franken.

Der Löwenanteil entfällt auf die Wölfe. Für bärentypische Schäden, etwa zerstörte Bienenhäuschen oder Kaninchenställe, kommt der Bund zu 100% auf.

Das Konzept Bär wurde ausgearbeitet, nachdem im Sommer 2005 erstmals seit 100 Jahren wieder ein Bär in der Schweiz gesichtet worden war. Das Tier wurde während Wochen im Engadin und im Münstertal beobachtet.

Gespaltene Reaktionen

Die Reaktionen auf das neue Konzept fielen wie schon die Vernehmlassung gespalten aus. Der Kanton Graubünden begrüsste es, dass nun schon ein Jahr nach dem ersten Bärenbesuch seit einem Jahrhundert ein Konzept vorliegt.

Er hätte sich aber gewünscht, dass die Bauern für den Herdenschutz umfassender entschädigt würden.

Die Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete blieb bei ihrer Einschätzung, ein Nebeneinander von Mensch und Bär sei nur schwer vorstellbar.

Die Umweltverbände WWF und Pro Natura stellten sich hinter das Konzept.

swissinfo und Agenturen

Rund 80 Jahre nachdem zum letzten Mal ein Bär gesichtet worden war (1923 im Oberengadin) und 100 Jahre nach dem letzten Abschuss (1. September 1904 im Val S-charl im Unterengadin) hat der Bär 2005 wieder in die Schweiz zurück gefunden.

Aus dem italienischen Nationalpark Adamello Brenta her kommend, legte “JJ2” alias “Lumpaz” während mehrerer Monate lange Distanzen im Dreieck Österreich – Italien – Schweiz zurück.

Die Rückkehr des Allesfressers nach Graubünden hatte im Land ein Rieseninteresse geweckt, besonders, weil man sich “JJ2” relativ einfach nähern konnte.

Einige nahmen sogar grosse Risiken auf sich, nur um ihm zu fotografieren.

Im letzten Sommer ist der Bär von Italien her nach Graubünden gekommen. “JJ2” hat zwei Dutzend Schafe und ein Kalb gerissen und sich bewohnten Zonen genähert.

Gemäss der Risiko-Kategorien des “Konzepts Bär” wäre dieses Tier als “problematisch” einzustufen gewesen.

Hätte das Konzept schon 2005 bestanden, hätten die Wildhüter versucht, ihn zu vergrämen, aber nicht ihn abzuschiessen, so das Bundesamt für Umwelt.

“JJ2″s Bruder Bruno durchstreifte im Juni Süd-Bayern und das Tirol. Nach grossen Schäden in bewohnten Gebieten wurde er abgeschossen.

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