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Wie die Schweizer Schwerkraftbatterie die Energiewende in China voranbringen soll

Riesiger Betonblock zur Energiegewinnung
Die Batterie von Energy Vault ist etwa 120 Meter hoch und nutzt die Schwerkraft, um Energie zu speichern. Energy Vault

Sonne und Wind produzieren auch dann Strom, wenn wir ihn nicht brauchen. Wie können wir verhindern, dass diese Energie verloren geht? Eine in der Schweiz entwickelte Schwerkraftbatterie speichert Energie in schweren Blöcken. Diese Idee stösst weltweit auf Interesse, vor allem in China.

Es ist ein imposantes Gebäude ohne Türen und Fenster. Im Inneren befinden sich 3500 Blöcke – jeder dieser gigantischen Lego-Steine wiegt 25 Tonnen. Ein System von Hebevorrichtungen und Schienen bewegt die Blöcke vertikal auf und ab und platziert sie horizontal.

Das Ganze gleicht einem dreidimensionalen Tetris. Doch es handelt sich nicht um ein neues Hauskonzept, sondern um eine Batterie, die die Schwerkraft ihrer Elemente zur Speicherung und Abgabe von Energie nutzt.

Dahinter steckt die Firma EnergyVault.Externer Link Die weltweit erste Anlage mit dieser Technologie wurde Ende 2023 in der chinesischen Stadt RudongExterner Link in der Nähe von Shanghai an das Stromnetz angeschlossen.

“Als wir mit unserem Projekt starteten, konnten wir uns nicht vorstellen, dass unsere erste Anlage in China gebaut werden würde”, sagt Robert Piconi gegenüber swissinfo.ch.

Piconi ist CEO von Energy Vault. Das Unternehmen hat seinen Sitz zwar in den USA, ist aber sehr mit der Schweiz verbunden. Im Tessin hat die Firma einen Prototyp gebaut und getestet.

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In China haben der Druck, die Dekarbonisierung des Landes zu beschleunigen (China verursacht als Land weltweit die meisten CO2-Emissionen), in Kombination mit der aktuellen EnergiepolitikExterner Link unerwartete Chancen für Energy Vault und deren Ansatz eröffnet.

Weitere “Batteriegebäude” befinden sich bereits im Bau. “Wir wollen einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten”, sagt Piconi.

Energiespeichersysteme sind ein wesentlicher Bestandteil der EnergiewendeExterner Link. Batterie-Grossspeicher lösen eines der Hauptprobleme der wetterabhängigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen. Denn diese ermöglichen es, überschüssigen Strom aus Sonne oder Wind zu speichern und in Zeiten erhöhter Nachfrage ins Netz einzuspeisen.

Sie können auch die Stabilität des Stromnetzes gewährleisten. Es ist allerdings eine Herausforderung, effiziente Batterien herzustellen, ohne Rohstoffe und seltene Metalle zu verbrauchen. Zudem muss der Preis der Speicherbatterien erschwinglich sein.

+ Das sind die Schweizer Lösungen für die Speicherung der Energie von morgen

Gewichte anstelle von Wasser

Schwerkraftbatterien sind daher willkommen. Sie können grosse Mengen an Energie speichern. Sie nutzen sich nicht ab und die Speicherkapazität geht im Laufe der Zeit nicht zurück, anders als bei elektrochemischen Batterien, wie sie beispielsweise in unseren Smartphones verwendet werden.

Schwerkraftbatterien beruhen auf demselben Prinzip wie Wasserkraftwerke mit einem Pumpspeichersystem. Diese machen nach Angaben der International Association of Hydropower über 94 Prozent der weltweit installierten Energiespeicherkapazität aus.

+ Eine Wasserbatterie in den Schweizer Alpen

Die Energy Vault-Batterie nutzt aber nicht Wasser, sondern Gewichte. Es handelt sich um Blöcke aus Beton oder Mischungen von Abfallmaterial.

Wenn die Sonne oder der Wind mehr Strom produzieren als benötigt, etwa im Sommer, speist die überschüssige Energie ein System, das die Gewichte anhebt und sie in den oberen Stockwerken des Batteriegebäudes ablegt.

Bei diesem Vorgang wird elektrische Energie in potenzielle Gravitationsenergie umgewandelt.

Bei Strombedarf werden die Blöcke mit kontrollierter Geschwindigkeit auf den Boden oder auf eine niedrigere Ebene abgesenkt. Während des “Falls” treiben sie elektrische Generatoren an, die gespeicherte Energie in elektrischen Strom umwandeln.

Eine von Energy Vault entwickelte Software, das Herzstück der Innovation, optimiert den mechanischen Prozess des Hebens und Senkens der Blöcke je nach Strombedarf.

Die erste kommerzielle Batterie von Energy Vault in China steht neben einem Windpark. Sie hat eine Speicherkapazität von 100 Megawattstunden (MWh). Mit einer vollen Aufladung könnte sie rund 4600 Elektroautos mit Strom versorgen, die jeweils 100 Kilometern zurücklegen könnten.  

>> Die Funktionsweise der Schwerkraftbatterie von Energy Vault in einem animierten Video:

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Eine “revolutionäre Technologie” für China

Laut Energy Vault ist die Speicherbatterie von Rudong Teil “der neuen Energiespeicher-Demonstrationsprojekte”, die von der Nationalen Energiebehörde Chinas festgelegt wurden.

Die Anlage wurde in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Unternehmen Atlas Renewable und China Tianying gebaut, einem der führenden Unternehmen im Bereich der Müllverbrennung zur Stromerzeugung.

Das Unternehmen verwendet Abfallstoffe und Kohleasche für die Herstellung eines Teils der Gewichtsblöcke. Es hat 100 Millionen US-Dollar in Energy Vault investiert.

Yan Shengjun, Vorsitzender von China Tianying, ist der Meinung, dass die “revolutionäre Technologie” von Energy Vault die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf Solar- und Windenergie erleichtern und die Energiewende in China beschleunigen wird.

Gemäss einem Artikel in Forbes liessen sich die Chines:innen vor allem von der Möglichkeit der Verwendung lokaler Rohstoffe für den Bau der Anlage sowie ihrer Lebensdauer von mehr als 35 Jahren überzeugen.

Drei solche Giga-Batterien sind in China im Bau, sechs weitere sind in Planung. Zusammen erreichen sie eine akkumulierte Speicherkapazität von 3700 MWh.

Grössere Anlagen werden laut Piconi in Zukunft zu einer Kostenreduktion führen. Die Kosten künftiger Anlagen werden seiner Meinung nach mindestens 30 Prozent unter denen der ersten Grossbatterie in Rudong liegen (etwa 500 US-Dollar pro Kilowattstunde installierter Speicherkapazität).

Zuverlässigkeit im Test

Wenxuan Tong, Wissenschaftler am Smart Grid Research Institute in Peking, ist der Ansicht, dass die Technologie der Gravitationsenergiespeicherung eine “entscheidende Rolle” bei der Erreichung der nationalen Klimaziele spielen wird.

China wird voraussichtlich im Jahr 2030 seinen Emissionshöchststand erreichen und strebt an, im Jahr 2060 klimaneutral zu sein.

“Es braucht mehr Forschung und Praxis, um die Effizienz und Zuverlässigkeit dieser Anlage zu überprüfen”

Wenxuan Tong, Smart Grid Research Institute, Peking

Die Energy Vault-Batterie kann fast überall realisiert werden. Sie ist nicht von bestimmten geografischen oder klimatischen Bedingungen abhängig.

Ein ähnlicher Wirkungsgrad wie bei Pumpspeicherkraftwerken (80-85%) und die relative Einfachheit der mechanischen Anlage machten sie wirtschaftlich vorteilhaft, sagt Wenxuan Tong gegenüber wissinfo.ch.

Der Experte weist jedoch darauf hin, dass die wirtschaftliche Effizienz eines Grosskraftwerks und seine Kompatibilität mit dem chinesischen Stromnetz noch getestet werden müssen. “Es braucht mehr Forschung und Praxis, um die Effizienz und Zuverlässigkeit dieser Anlage zu überprüfen.”

Schwerkraftbatterien für die mittel- und langfristige Speicherung

Energy Vault ist nicht das einzige Unternehmen, das die Schwerkraft zur Speicherung und Freisetzung von Energie nutzt. Andere Unternehmen setzen auf schiefe Ebenen oder unterirdische Anlagen.

Die kanadische Firma Gravitricity beispielsweise baut in einem stillgelegten Bergwerk in Finnland den weltweit ersten Prototyp eines unterirdischen SchwerkraftspeichersExterner Link.

Zu den Hauptvorteilen von Schwerkraftbatterien gehörten die niedrigen Kosten für die Energiespeicherung, so Julian Hunt, Forscher am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA)Externer Link in Laxenburg (Österreich).

Nachteilig seien hingegen die recht hohen Kosten für den benötigten Strom, um die Gewichtsblöcke anzuheben und zu verschieben.  

“Der Einsatz von Schwerkraftbatterien ist daher nur für wöchentliche, monatliche oder saisonale elektrische Speicherzyklen sinnvoll”, meint Hunt gegenüber swissinfo.ch. Für die Energiespeicherung von weniger als zwölf Stunden seien elektrochemische Batterien eine praktischere und wirtschaftlichere Alternative.

Die Energy Vault-Batterie in China arbeitet mit einem vierstündigen Zyklus. Dies ist eine von den Behörden und dem Stromnetzbetreiber geforderte Eigenschaft. Das System könnte auch über einen längeren Zeitraum Energie freisetzen, in diesem Fall wäre die Leistung aber geringer.

Auch für Europa geeignet?

Robert Piconi stimmt zu, dass sich die Schwerkraftbatterien besser für längere Lade- und Entladezeiten eignen.

Allerdings ist die Nachfrage nach langfristiger Energiespeicherung im Moment noch begrenzt. “Sie wird steigen, wenn mehr Anlagen für erneuerbare Energien ans Netz angeschlossen werden”, prognostiziert er.

Der CEO von Energy Vault blickt dabei nicht nur auf China, sondern auch auf die USA, Südafrika und Australien, wo sich bereits Energiespeicherprojekte in der Umsetzungsphase befinden.

Die Schwerkraftbatterie könnte laut Piconi auch für einige europäische Länder eine geeignete Lösung sein. Zum Beispiel für Länder, in denen neue Windparks oder grosse Solarkraftwerke gebaut werden sollen, etwa Spanien oder Italien.

Oder für Länder, die das Kohlezeitalter hinter sich lassen wollen und die Abfälle (Asche) zur Herstellung von Materialblöcken verwenden könnten. “Ich denke da insbesondere an Deutschland und die osteuropäischen Staaten”, sagt Piconi.

Die Möglichkeiten für Schwerkraftbatterien scheinen also gross zu sein. Immer unter der Voraussetzung, dass die örtliche Bevölkerung solche Batteriegebäude nicht aus ästhetischen Gründen ablehnt, so wie es bei Windparks und Solarkraftwerken oft der Fall ist.

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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