Die internationale Wirtschaftsschwäche erreicht die Schweiz
Die Zinserhöhungen der Zentralbanken bremsen das Wachstum in vielen wichtigen Wirtschaftsräumen der Welt. Diese Entwicklung erreicht nun auch die Schweiz. Dazu kommen hausgemachte Probleme.
Die globale Wirtschaft hat an Schwung verloren: Die Eurozone wächst kaum mehr, in China und in den Vereinigten Staaten stottert der Wachstumsmotor und in Deutschland schrumpft das Bruttoinlandprodukt.
Jetzt erreicht diese Entwicklung auch die Schweiz: Anfang September meldete das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)Externer Link erstmals seit der Coronakrise wieder ein Nullwachstum für die hiesige Wirtschaft.
Um schwache Wirtschaftsdaten, sinkende Reallöhne und steigende Mieten geht es auch in der neuen Folge des Geldcast.
Das Gespräch mit Christoph Schaltegger, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern, und Yves Wegelin, Wirtschaftsjournalist bei der Wochenzeitung (WOZ), drehte sich ausserdem um die neue UBS, die Bankenregulierung und die Rolle der Finanzmarktaufsicht (Finma) in der Schweiz.
Dabei sind das verarbeitende Gewerbe und die Pharmaindustrie am stärksten von der wirtschaftlichen Abkühlung betroffen. Und auch im Bausektor resultierte zuletzt ein negatives Wachstum.
Der Grund sind die steigenden Zinsen: Die Schweizerische Nationalbank hat ihren Leitzins in nur einem Jahr von – 0,75 Prozent auf 1,75 Prozent erhöht, um die Inflation zu bekämpfen.
Das verteuert die Investitionen und bremst die Wirtschaft, beispielsweise weil es Hypothekarkredite verteuert und so die Bautätigkeit verringert.
Dazu kommt der wirtschaftliche Abschwung bei den wichtigsten Handelspartnerinnen der Schweiz, darunter Deutschland. Es gilt: Wenn Deutschland hustet, wird auch die Schweiz krank, weil hiesige Firmen weniger exportieren können.
Auch die Kaufkraft sinkt
Gleichzeitig zum Wirtschaftsabschwung können sich die Menschen in der Schweiz immer weniger leisten. Gemäss dem Bundesamt für StatistikExterner Link sind die Löhne im letzten Jahr zwar um 0,9 Prozent gestiegen.
Das hat aber nicht gereicht, um die Preiserhöhungen von 2022 zu kompensieren. Im gleichen Zeitraum wurde ein typischer Einkauf in der Schweiz nämlich um 2,8 Prozent teurer – ein Reallohnverlust.
Der Schweizerische GewerkschaftsbundExterner Link fordert deshalb eine generelle Lohnerhöhung von 4 bis 5 Prozent.
Mit dieser «Maximalforderung» wird er es aber schwer haben: Eine Umfrage der Konjunkturforschungsstelle der ETH ZürichExterner Link vom August 2023 zeigt nämlich: Die Firmen erwarten, dass sie ihre Löhne nur um 2 Prozent anheben werden, obschon sie davon ausgehen, dass die Inflation für das Jahr 2023 erneut mehr als 2 Prozent betragen wird.
Tritt das tatsächlich so ein, droht den Schweizer Arbeitnehmenden nach 2021 und 2022 das dritte aufeinanderfolgende Jahr mit einem Verlust an Kaufkraft.
Die Reallöhne sinken auch im Ausland
Wie ist die Situation im Ausland? Zwar stiegen die Löhne in Deutschland zuletzt deutlich stärker als in der Schweiz; allerdings lag die Inflation auch wesentlich höher.
Unter dem Strich resultierte 2022 gemäss Statistischem Bundesamt (Destatis)Externer Link ein Reallohnverlust von 4 Prozent. Damit waren die Kaufkraft-Einbussen der deutschen Arbeitnehmer:innen rund doppelt so gross wie in der Schweiz.
In den USA ist die Situation derweil weniger dramatisch. Die Ökonom:innen des St. Louis FedExterner Link haben für 2022 einen durchschnittlichen Reallohnverlust von nur 0,1 Prozent berechnet.
Allerdings täuscht die Zahl, weil es in den USA in einzelnen Branchen grosszügige Lohnerhöhungen gab. Ein Blick auf die individuellen Reallohnveränderungen zeigt: Mehr als die Hälfte der Lohnbezüger:innen mussten einen Reallohnverlust von mehr als 1,7 Prozent hinnehmen.
Hausgemachte Probleme verschärfen die Situation
Die gute Nachricht ist, dass sich die Kaufkraft bald wieder stabilisieren sollte. Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist die Inflation mittlerweile wieder deutlich tiefer als noch im letzten Jahr.
Ähnlich ist das Bild in der Schweiz: Hier hat die Teuerung von 3,5 Prozent im August 2022 auf mittlerweile 1,6 Prozent nachgelassen. Die SNB strebt mittelfristig eine Inflationsrate zwischen 0 und 2 Prozent an.
Ein hausgemachtes Problem der Schweiz ist allerdings, dass die Zinserhöhungen der Nationalbank – die eigentlich die Teuerung bremsen sollten, und das grosso modo auch tun – in einem wichtigen Bereich zu steigenden Preisen führen: nämlich bei den Mieten. Das darum, weil die Vermieter:innen die Mieten erhöhen dürfen, wenn die Zinsen steigen.
Steigende Zinsen bremsen in der Schweiz so nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern verringern über die Mieten auch die Kaufkraft. Auch aus diesem Grund dürfte sich die Führung der Schweizerischen Nationalbank bei ihrer nächsten Sitzung am Donnerstag gut überlegen, ob sie den Leitzins noch weiter anheben will.
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