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Fünfzehn Minuten mit Zoé Jenny

Die Schweizer Schriftstellerin Zoé Jenny. Keystone

Zoé Jenny vertritt die Schweiz in der Jury für den Internationalen Wettbewerb am diesjährigen Filmfestival in Locarno. 19 Filme stehen zur Auswahl. swissinfo sprach mit der Autorin über Geschichten in Büchern und Filmen.

Zoé Jenny erschien auf der Terrasse ihres Hotels im sommerlich-eleganten Outfit. Sie wirkte etwas nervös und gestresst, der nächste Termin stand schon auf dem Programm. Zudem müssen die Filme beurteilt und daneben noch das neueste Buch zu Ende geschrieben werden. Den Laptop habe sie mitnehmen müssen, sagt Jenny, denn sie sei mit ihrem neuen Buch im Zeitdruck. Von ihrem literarischen Werk wollte sie nichts verraten, über die Rolle als Filmkritikerin sprach sie jedoch gerne.

Zoé Jenny, nach welchen Kriterien beurteilen Sie als Schriftstellerin die Filme?

Ich glaube, man kann einen Film nur subjektiv beurteilen, ob man betroffen ist oder nicht. Erst danach kann man darüber nachdenken, weshalb man vom Film berührt war oder eben nicht. Ausschlaggebend ist dann meistens die Story. Wie wurde sie erzählt? Wie wurde sie dargeboten? Die meisten Filme basieren schliesslich auf literarischen Vorlagen, was aber nicht heissen muss, dass aus einem guten Buch unbedingt auch ein guter Film entsteht.

Würde es Ihnen gefallen, wenn man eines Ihrer Bücher verfilmen würde?

Ja. Ich hänge nicht so sehr an meinen Büchern, dass ich sie als mein Ein und Alles, als mein Eigentum ansehe. Ich glaube ein Buch sollte auch andere Leute dazu inspirieren, etwas damit zu tun.

Welche Art von Filmen begeistern Sie?

Da bin ich ganz offen. Es ist wohl auch wichtig, dass man nicht mit Vorurteilen in einer Jury sitzt. Man muss neugierig bleiben. Mir gefällt das grosse Erzählkino ebenso wie experimentelle Filme. Das ist auch bei Büchern so. Ich lese gerne einen Krimi, aber auch einen Gedichtband.

Die Jury ist international besetzt und sehr frauendominant. Wie wirkt sich das bei der Beurteilung der Filme aus?

Die Mitglieder sind alle sehr eigenständige Personen, die sich schon lange mit Film beschäftigt haben, in welcher Art auch immer. Es ist aber oft so, dass man vom selben Film begeistert ist bzw. ähnlich auf einen schlechten Film reagiert. Was nun die Frauendominanz betrifft, da bin ich überaus positiv überrascht. Als ich hörte, es würden fast nur Frauen teilnehmen, da dachte ich, das kann nicht gut gehen, da werden die Fetzen fliegen. Es ist aber ganz anders heraus-gekommen. Es herrscht eine sehr friedliche Stimmung. Es ist schön zu sehen, dass eine “Frauengruppe” funktionieren kann. Ich habe es sogar sehr genossen und die Männer nicht vermisst.

Wie verbringen Sie die Tage hier in Locarno? Haben Sie Zeit, auch Filme anzusehen, die nicht auf dem offiziellen Wettbewerbsprogramm stehen?

Nein, leider nicht. Wir müssen jeden Tag zwei bis drei Filme anschauen. Abends könnte man sicherlich noch auf die Piazza Grande gehen und sich freiwillig einen Film ansehen, aber das habe ich kaum gemacht. Ich benutze die Zeit am Abend, um mir Gedanken über die Wettbewerbsfilme zu machen.

Welches ist Ihr Eindruck von den Wettbewerbsfilmen? Wie haben Ihnen die Schweizer Beiträge gefallen?

Die Qualität ist sehr unterschiedlich. Man ist manchmal erstaunt, dass diese Filme alle im selben Wettbewerb sind. Die zwei Schweizer Produktionen waren eher eine Enttäuschung. Ich hätte mir bessere Beiträge aus der Schweiz gewünscht. Es fehlt ihnen an Geschichten, die aus einer Notwendigkeit heraus erzählt werden müssen, die man gerne erzählt und gerne hört bzw. sieht. Ja, ich war darüber sogar ein wenig traurig.

Carole Gürtler, Locarno

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