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Jenseits des Schattens

Charlie Chan (links) im Film "Charlie Chan in Schanghai". Fox-Film

In einer beeindruckenden Retrospektive beleuchtet das Filmfestival Locarno in diesem Jahr das Schaffen asiatisch-amerikanischer Filmschaffenden. Sie zeigt deren Einfluss auf die amerikanische Filmgeschichte - ein Einfluss, der bis heute andauert und an Stärke gewonnen hat.

Charlie Chan, der chinesische Meisterdedektiv, verdankt seinen Kultstatus dem amerikanischen Kino. Stets im strahlend weissen Anzug, stets ein Sprichwort auf den Lippen, löst er jeden Fall mit konfuzianischer Weisheit und britischer Gelassenheit. Chan wurde vom Schriftsteller E.D. Biggers geschaffen und basiert auf dem Vorbild von Chang Apana, einem Hawaiianer. Gespielt wurde der Gentleman mit bewundernswertem Spürsinn in den mehr als 40 Filmen, die in den 30-er und 40er Jahren entstanden, von geschminkten weissen Schauspielern wie beispielsweise Warner Oland oder Sidney Toler. Asiaten wurden nur in Nebenrollen zugelassen. Chan ist somit nicht nur einer der wohl populärsten Meisterdedektive, sondern auch ein illustres Beispiel für asiatisches Kulturgut im amerikanischen Film.

Kampf und Diskriminierung

Die “Asian Americans”, wie asiatische Filmschaffende genannt werden, die entweder in den USA geboren oder eingewandert sind, erleben zur Zeit eine Hochblüte in Hollywood. Regisseure wie John Woo, Ang Lee oder Wayne Wang feiern in Amerika und Europa grösste Erfolge. Sie gehören zu den Stars der Filmszene und haben in Hollywood ein einzigartiges Filmschaffen hervorgebracht. Dass Asiaten Hollywood nicht erst seit kurzem faszinieren, zeigt nun das Filmfestival Locarno. Die Retrospektive mit dem Titel “Out of the Shadows: Asians in American Cinema” beleuchtet die Geschichte der Asian-Americans im amerikanischen Film.

Die Faszination der Amerikaner für die Asian-Americans war stets gross, doch nicht immer auch von Erfolg für die Eingewanderten gekrönt. Oft mussten asiatische Filmschaffende Enttäuschungen und erniedrigende Abweisungen entgegennehmen. Sie wurden nicht selten abgewiesen, obwohl die Filmrolle einen Asiaten vorsah. So war Bruce Lee nicht der Einzige, der seine Traumrolle einem weissen Schauspieler abtreten musste. Man schminkte sie “gelb” und zog die Augenbraue etwas in die Höhe, um den westlichen Schauspielern ein asiatisches Aussehen zu geben. Charlie Chan ist einer von ihnen.

Dilemma als Erfolgsrezept

Der Kampf der asienstämmigen Amerikaner in der amerikanischen Filmbranche – und nicht nur dort – um die eigene Identität war hart und langwierig. Noch heute zeigen sich Spuren dieser Geschichte und Mentalität. Vielmals spielt genau dieser Konflikt zwischen den Kulturen in den Filmen mit. Eine Vielfalt an Gesichtspunkten und Talenten zeichnet die Filme aus. Wayne Wang – um bloss einen zu nennen – gelang der Durchbruch mit der Darstellung genau dieses Dilemmas. Mit seinem Film “Chang is Missing” schlug er für die Asian-Americans eine Bresche in Hollywood.

Locarno zeigt eine breit angelegte Retrospektive, welche von Roger Garcia, einem Kenner der asiatischen Filmszene, zusammengestellt wurde. Neben jüngeren Produktionen gehören vor allem die Schwarz-Weiss-Filme zu den Juwelen der Retrospektive. Charlie Chan, aus heutiger Sicht gesehen und mit dem Wissen, dass jahrzehntelang Kampf und Diskriminierung geherrscht haben, ist nicht nur ein amüsanter Genuss, sondern auch ein Stück Geschichte der Asian-Americans.

Carole Gürtler, Locarno

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