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Die Ungewissheit nach Arafat

Die Schweizer Presse nach Arafats Tod zwischen Bangen und Hoffen für einen Frieden in Nahost. swissinfo.ch

Die Schweizer Presse zieht Bilanz über das Wirken des verstorbenen Palästinenserführers Jassir Arafat – eine Bilanz zwischen Bangen und Hoffen.

Der Ball liege nun beim israelischen Premier Sharon, so der Tenor.

Unter dem Titel “Palästina ohne Arafat” zieht die “Neue Zürcher Zeitung” Bilanz über das Wirken von “Mr. Palestine”: “Diese Stellung hat Arafat erreicht, obwohl seine Laufbahn nur aus wenigen Erfolgsmomenten, dafür aber aus vielen militärischen und politischen Niederlagen besteht.”

Die Angst, die Arafats Tod bei den Palästinensern auslöse, sei jene vor dem Auseinanderbrechen der Identität, die der Rais verkörpert habe. “Diese können sie heute nicht in einem Mann wiederfinden, sondern nur in funktionierenden Institutionen, welche die demokratische Legitimation haben(…).”

“Die Uniform mit den militärischen Insignien hat er nie abgelegt”, vermerkt die “Südostschweiz”. Seinem Volk habe er letztlich nur Zerstörung gebracht.

Auch die Freiburger “La Liberté” ist kritisch: “Zu lange an der Macht, zu grosses Vakuum hinterlassen, zu wenig weit vorgewagt: Arafat wird nicht in den Pantheon der Helden aufgenommen.”

Gelegenheit günstig

Der “Tages-Anzeiger” bezeichnet Arafats Tod als “Stunde der Wahrheit”, was die Chancen auf Frieden betrifft und äussert vorsichtigen Optimismus: “Einiges spricht dafür, dass sich in den kommenden Monaten tatsächlich eine günstige Gelegenheit bieten könnte.”

Gründe sind konziliantere Arafat-Nachfolger, das Interesse George Bushs an der Beruhigung des Krisenherds Nahost und Ariel Sharon, der nun keinen Grund zur Dialogverweigerung mehr habe.

Aber auch in einem neuen Friedensanlauf würden mit den Konfliktparteien ungleiche Partner am Tisch sitzen: “Ungleich, was ihre Macht, und ungleich, was das Gewicht ihrer Interessen betrifft.”

Neue Dynamik

Der Berner “Der Bund” macht eine “Neue Dynamik im Nahen Osten” aus: “Die Chance zum Frieden ist offensichtlich; die nächste, auch das ist klar, wird so schnell nicht kommen.” Allerdings sei fraglich, ob die Palästinenser in der Lage sein würden, die Dynamik, welche Arafats Tod ausgelöst habe, zu ihren Gunsten zu nutzen.

Für die “Berner Zeitung” ist jetzt “Sharons Chance” gekommen. Der israelische Permier “hat nun die Chance, in die Geschichte einzugehen als der Mann, der die Weichen für ein friedliches Nebeneinander mit den Palästinensern gestellt hat.”

Arafat sei nicht als Märtyrer gestorben, sondern – wie andere – an Krankheit und Alter. “Jetzt muss die politische Arbeit die Zeit der Helden und Mythen ablösen”, so die BZ.

Wende in Nahost

Auch die Westschweizer Zeitung “Le Matin” sieht nach Arafats Tod neue Hoffnung für einen dauerhaften Frieden keimen. “Fest steht, dass der Ball – ist in Ramallah einmal eine legitime Regierung eingesetzt – bei den Israelis liegt.”

“24heures” will die Geschichte das Urteil über Arafats Wirken sprechen lassen. “Das Verschwinden des Palästinenserführers scheint aber bereits eine Wende in Nahost zu markieren. Zwar mit Ungewissheiten, aber ebenfalls mit fragilen Hoffnungen.”

Nicht in Kanon eingestimmt

“Wenig Grund zu Optimismus” sieht die “Aargauer Zeitung”, nachdem Sharon am Todestag Arafats einmal mehr alle Verantwortung den Palästinensern zugeschoben habe. “Ariel Sharons Ziel ist und bleibt es, den Palästinensern so viel vom Westjordanland wie möglich zu entreissen.”

Dazu habe er die ungeteilte Unterstützung eines grossen Teils der Bushs-Regierung. Wenn Sharon jetzt den Gazastreifen von jüdischen Siedlungen räumen wolle, “dann nur, um den Zugriff auf das Westjordanland umso mehr zu verstärken.

Wo liegt das Geld?

Ähnlich sieht es die “Basler Zeitung”, die Ariel Scharon in die Pflicht nimmt, der neuen palästinensischen Führung mit humanitären Erleichterungen und militärischer Zurückhaltung den Rücken zu stärken.

Die Boulevard-Zeitung “Blick” spart sich das Thema Arafat für Seite sieben auf, und fragt anstelle einer politischen Analyse: “Weiss seine Witwe, wo die Milliarden sind?” Die Antwort: Nur Suha Arafat kenne die Kontonummern und Geheimcodes, die den Zugang zum Geld, möglicherweise mehreren Milliarden, erlaubten.

swissinfo, Renat Künzi

Am Freitag findet in Kairo die Abschiedszeremonie für Jassir Arafat statt, an der Staatschefs und Regierungsmitglieder aus aller Welt teilnehmen.

Die Schweiz wird durch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey vertreten.

Nach der Zeremonie wird der Sarg nach Ramallah überführt, wo Arafat auf dem Grundstück seines ehemaligen Regierungssitzes beerdigt wird.

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