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George Gruntz: Dank Zufällen und Neugierde zum Erfolg

Pianist, Komponist, Arrangeur, Organisator, Dirigent: George Gruntz. Keystone

George Gruntz ist ein Global Player. Er hat Opern geschrieben, Symphonieorchester dirigiert, die Berliner Jazztage geleitet und mit Beduinen gespielt, als "Weltmusik" noch kein Verkaufsargument war.

Der Jazzmusiker bleibt auch mit 75 seiner Maxime treu, wonach Musik erst vor Publikum zu leben beginnt. Seine Concert Jazz Band feiert das 35-jährige Jubiläum mit einer Konzertserie.

“Gesellschaftliche Anerkennung ist mir sehr wichtig, aber es nützt ja nichts. Jazz ist und bleibt Subkultur, und da könnte man sich dreimal täglich aufhängen, wenn man nicht an diese Musik glauben würde”, sagt der erfolgreichste Schweizer Jazzmusiker gegenüber swissinfo.

“Gerade, weil ich auch schon im klassischen Betrieb war, weiss ich, wie viel leichter es dort läuft mit Unterstützung, Sponsoring und Kapital. Aber Jazz ist die humanste Form des Musikmachens. Er hat die Improvisation zurückgebracht, und ich kämpfe wo ich kann für diese Musik.”

Zur offiziellen Schweizer Kulturpolitik hat Gruntz ein gespaltenes Verhältnis. “Während meiner Berliner Zeit standen die Franzosen, die Italiener, die Skandinavier ständig auf der Matte, weil sie ihre Musiker auf dem Festival platzieren wollten. Von der Schweiz haben wir nie etwas gehört.”

Es war vor einigen Jahren, Gruntz hatte “bereits das deutsche Bundesverdienstkreuz am Hals” und etliche Welltourneen hinter sich. Der damals für die Kultur zuständige Basler Regierungsrat lud ihn zu einem Gespräch ein.

“Der Mann sagte: ‘Wunderschön, dass Sie hier sind. Ich habe gehört, Sie seien Jazzmusiker. Machen Sie das professionell?’ – Ich fiel fast vom Stuhl”, erinnert sich Gruntz. “Mit solchen Entscheidungsträgern als Partner ist es unglaublich schwierig, eine Basis zu finden.”

Arbeiten in der Abgeschiedenheit

In wenigen Tagen geht es los mit den Konzerten der Concert Jazz Band, einer weltweit einzigartigen Institution gegen alle Gesetze der Ökonomie. Seit 35 Jahren vereint dieses Laboratorium Exponenten des zeitgenössischen Mainstreams.

Der Chef kümmert sich in diesen Tagen um den Feinschliff an den Kompositionen und Arrangements. “Alle Beteiligten sind starke Persönlichkeiten, Individualisten, Solisten. Ich betrachte diese Musiker als Partner, denen ich Material gebe, damit sie improvisieren können.”

Er brauche die Abgeschiedenheit, um schöpferisch arbeiten zu können, sagt George Gruntz in seinem Chalet in Sigriswil, oberhalb des Thunersees. “Ich habe in New York gewohnt. Das war die unproduktivste Zeit in meinem Leben, weil ich immer das Gefühl hatte, ich verpasse etwas, wenn ich nicht ausgehe.”

Kein Big-Band-Mensch

Die meisten seiner Projekte sind aus spielerischen Zufällen entstanden. Die Big Band entstand, als der Tessiner Saxophonist und Industrielle Flavio Ambrosetti an Ostern 1972 Musikerfreunde aus aller Welt für Proben zu sich nach Hause eingeladen hatte. Vorgesehen waren damals vier Konzerte.

“Nach einigen Diskussionen habe ich die Leitung übernommen, obwohl ich eigentlich gar kein Big-Band-Mensch bin. Die Band tönt entsprechend europäischer, als die grossen Orchester der Geschichte.”

Zufall und Neugierde standen am Beginn des Projekte “Noon in Tunisia”, einer Produktion mit tunesischen Beduinen und europäischen Jazzmusikern in den 1960er- Jahren.

Begegnung in Tunesien

1961 war Gruntz mit Künstlern aus andern Sparten für ein dreiwöchiges Symposium nach Tunesien eingeladen. “Nach einer Woche hatte ich genug vom vielen Reden und lieh mir im Hotel ein Velo aus.”

In einem nahen Dorf ertönte Musik. “Von weitem klang es wie John Coltrane auf dem Sopransaxophon. Es waren Beduinen, welche zusammen improvisierten. Ich setzte mich zu ihnen und war völlig fasziniert. Am nächsten Tag kam ich wieder mit einem ausgeliehenen, klapprigen Tonbandgerät.”

Zuhause lachten ihn seine Kollegen aus. Sie sagten: “Du spielst so schön Bebop.” Ein paar Jahre später schilderte Gruntz sein Tunesien-Abenteuer dem Produzenten Joachim-Ernst Berendt. Dieser war sofort Feuer und Flamme und organisierte alles.

Gemeinsame Knotenpunkte

“Noon in Tunisia” ist das Dokument einer respektvollen Begegnung von europäischen Jazzmusikern mit tunesischen Volksmusikern und wurde ein durchschlagender Erfolg. “Wir haben nur deshalb ein brauchbares Ergebnis, weil wir gar nicht erst versuchten zu glauben, es müsse zu einer neuen Akkulturation kommen.”

Im Gefolge sei unter dem Label “Weltmusik” viel Schrott produziert worden, so Gruntz. “Jazzmusiker sind in der Lage, mit Beduinen oder mit Symphonikern zu kutschieren und zu schauen, wo die gemeinsamen Knotenpunkte sind. Das gehört im Jazz dazu, dass man auf verschiedenste Partner eingehen kann.”

swissinfo, Andreas Keiser, Sigriswil

28. Juni: Stadttheater Basel
6. Juli: Jazzfestival Lugano
9. Juli: Jazzfestival Montreux
31. Oktober: Jazzfestival Zürich

George Gruntz wurde am 24. Juni 1932 in Basel geboren.

1958: Internationale Bekanntheit als Mitglied der “Newport International Band” am Newport Jazz Festival.

In den 1960er-Jahren Pianist von Dexter Gordon, Roland Kirk, Chet Baker, Johnny Griffin und Gerry Mulligan.

1968 und 1969 weltweite Tourneen mit “Phil Woods European Rhythm Machine”.

1972: Zusammen mit Flavio und Franco Ambrosetti sowie Daniel Humair wurde die “Concert Jazz Band” gegründet.

1972 bis 1994: Künstlerischer Leiter des Berliner Jazz Festivals.

1973: Auftrag der Opéra Paris für die “World Jazz Opera” in Zusammenarbeit mit Amiri Baraka.

1974: Gründung der “Piano Conclave” mit u.a. Wolfgang Dauner, Joachim Kühn, Fritz Pauer und Jasper van’t Hof.

1988: “Cosmopolitan Greetings”, eine Gemeinschafts-Produktion mit Allen Ginsberg, Robert Wilson und Rolf Liebermann an der Staatsoper Hamburg.

2002 und 2003: Artist in “Residence” beim Menuhin-Festival in Gstaad.

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