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Kirchen auf der Suche nach Gläubigen

Reto Benedikt Müller erzählt in der Werbeaktion der Römisch-katholischen Kirche Basel seine Glaubensgeschichte.

Die offiziellen Kirchen in der Schweiz strengen sich sehr an, den anhaltenden Mitgliederschwund zu bremsen. Dabei greifen sie auf professionelle Marketing-Instrumente zurück.

In Zürich wurde in einem Shopping-Center eine Kapelle eröffnet. In Basel verteilt die römisch-katholische Kirche Flugblätter, um Menschen zum Eintritt in die Kirche zu bewegen.

Ostern ist der höchste christliche Feiertag. Aber immer weniger Leute wissen dies. Bunte Eier und Schokoladenhasen haben sich als Ostersymbole im allgemeinen Bewusstsein festgesetzt. Die Auferstehung Christus’ hat da wenig Platz.

Dies ist symptomatisch. In einem traditionell christlichen Land wie der Schweiz fühlen sich immer weniger Menschen den offiziellen christlichen Kirchen verbunden. Kirchen und Gottesdienste sind immer leerer.

Bezeichnend ist die Situation in der Stadt Basel, wo mehr als 50% der Bevölkerung nicht mehr Mitglied der evangelisch-protestantischen oder römisch-katholischen Kirche ist.

Vor allem die römisch-katholische Kirche (RKK) befindet sich am Rheinknie in Schwierigkeiten. 1973 zählte die RKK Basel noch 99’341 Mitglieder, am 31. Dezember 2006 waren es noch 31’545. Wenn die Zahl der Austritte anhält, werden es in 15 Jahren noch 20’000 Mitglieder sein.

Weniger Kirchenmitglieder bedeutet weniger Steuereinnahmen. Und weniger Steuereinnahmen bedeutet weniger Präsenz in der gesellschaftlichen Realität.

Flugblätter und Inserate

Die katholische Kirche hat auf diese Situation nicht nur mit Sparmassnahmen reagiert, sondern auch mit einer “Sympathieoffensive”. Ende März startete die RKK eine Inseratekampagne in Zeitungen und begann mit dem Verteilen von Flugblättern in der Stadt.

Auf den Flugblättern erzählen diverse Personen, warum sie in die katholische Kirche eingetreten sind. Es sind Geschichten von ganz normalen Personen, mit deren Geschichte sich jedermann identifizieren kann. Dies hofft wenigstens Xaver Pfister, der Informationsbeauftragte der RKK in Basel: “In Basel ist es normal, aus der Kirche auszutreten. Wir wollten diesen Mechanismus einmal umkehren und sagen: Man kann auch in die Kirche eintreten.”

Man kann neu eintreten oder auch wieder eintreten. So wie die 80-jährige Maria Schnyder, der einst eine Freundin gesagt hatte: “Du bist ja verrückt, die Kirchensteuer zu bezahlen!” Oder wie Reto Müller (32), der viele Positionen der katholischen Kirche nicht verstehen konnte: Das Verbot der Priesterweihe für Frauen oder die Ächtung der Homosexualität.

Warum werden Diktatoren wie Pinochet oder Franco die Sterbesakramente erteilt, nicht aber Selbstmördern? “Dies war Fragen, die mich zum Austritt bewogen haben. Mein Glaube jedoch blieb. Die Fragen sind geblieben. Nur sehe ich darin keinen Widerspruch zu meinem Glauben mehr.” Deshalb trat Müller wieder in die Kirche ein.

Die Kampagne verfügt nur über sehr bescheidene Mittel. Gerade mal 10’000 Franken. “Ich glaube nicht, dass sich viele Leute zum Eintritt motivieren lassen”, sagt Pfister, “aber die Kampagne ist eine gute Art und Weise, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.”

Marketing-Offensive

Diese Aufmerksamkeit ist nötig. Die offiziellen Kirchen verkörpern heute eine Glaubensofferte unter vielen. Sie stehen in Konkurrenz zu östlichen Philosophie, New Age und anderen Strömungen. Die “Kunden” kommen nicht mehr von allein, sondern müssen gesucht werden. Deswegen greifen auch die offiziellen Kirchen zu neuen Instrumenten des Marketings.

“Marketing bedeutet Kommunikation. Und der Dialog mit den Menschen war immer eine Hauptaufgabe der Kirche”, sagt Pfister. Flugblätter, Anzeigen, aber auch die Eröffnung einer Kapelle im Shopping-Center Sihlcity von Zürich sind verschiedene Möglichkeiten, in einer sich ändernden Welt mit den Menschen in Kontakt zu kommen.

Laut Pfister sollte die Kirche neue Formen von Religiosität aufnehmen und integrieren. Dies sei ja auch in der Vergangenheit geschehen, als etwa ins Weihnachtsfest heidnische Gebräuche aufgenommen wurden.

“Auf die Leute zuzugehen, bedeutet nicht, jeden Modetrend mitzumachen. Wir sind keine Firma, die ein neues Produkt lanciert, wenn das alte Produkt nicht mehr läuft. Viele Dinge lassen sich verändern, aber das Evangelium bleibt unser Bezugspunkt”, schliesst Pfister.

swissinfo, Doris Lucini
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

Heute sind in den meisten Kantonen der Schweiz die reformierte, katholische und christkatholische Kirche (auch altkatholische Kirche genannt) staatlich anerkannt.

1970 waren noch 95% der Bevölkerung Mitglieder einer der drei staatlich anerkannten Kirchen. Gemäss der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2000 waren es noch 75%.

In Basel-Stadt gehören über 50% der Einwohner keiner anerkannten Kirche mehr an.

Die Schweizer Verfassung garantiert die Glaubens – und Meinungsfreiheit. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche werden in jedem Kanton separat geregelt.

Die Pfarreien der anerkannten Kirchen haben das Recht, Kirchensteuern bei ihren Mitgliedern zu erheben. In vielen Kantonen können diese Steuern auch bei juristischen Personen erhoben werden.

Zumeist wird die Kirchensteuer auf der Grundlage der Kantonssteuer bemessen. In der Stadt-Basel beträgt sie beispielsweise 8 Prozent.

In den Kantonen Genf und Neuenburg ist das Bezahlen von Kirchensteuern für juristische Personen (Unternehmungen und Firmen) fakultativ. Dies gilt auch für den Kanton Tessin, wo der Verzicht auf die Kirchensteuer aber dem Fiskus gemeldet werden muss.

Im Kanton Waadt werden die Kirchen über die normalen Steuern mitfinanziert, wobei eine spezielle Kirchensteuer nicht ausgewiesen wird. Das bedeutet, dass auch alle Personen, die nicht den anerkannten Kirchen angehören, zu deren Finanzierung einen Beitrag leisten.

Im Kanton Wallis werden die meisten Pfarreien von den politischen Gemeinden finanziert. Nur in einigen Gemeinden werden Kirchensteuern erhoben.

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