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“Was sich nicht bewegt, ist nicht stabil”

Die Kunstbiennale in Venedig ist eröffnet. Die Ausstellung "Women of Venice" dreht sich um die Frage, warum Alberto Giacometti, einer der bekanntesten Künstler der Welt, nie im Schweizer Pavillon ausstellte. Auszüge aus der Eröffnungsrede von Bundesrat Alain Berset.

Alberto Giacometti hatte sich immer geweigert, an der zeitgenössischen Biennale in Venedig teilzunehmen. Einzig 1956 präsentierte er am Kunstgipfel die aus Gips gefertigte Figurengruppe “Femmes de Venise” (Frauen aus Venedig) – allerdings im französischen Pavillon. Der Titel des Werks gibt nun der Schweizer Ausstellung 2017 das Motto vor.

Am Freitag eröffnete der Schweizer Kulturminister Alain Berset in Venedig den Schweizer Pavillon der 15. Architekturbiennale. Sie dauert vom 13. Mai bis 26. November 2017.

Hier die wichtigsten Punkte seiner Rede:

“Die diesjährige Ausstellung bricht nicht mit der Tradition. Ganz im Gegenteil: Alberto Giacometti einzuladen, einen Künstler, der nur ungern teilnehmen wollte – und das 50 Jahre nach dessen Tod und dabei zwar nicht seinen Willen, aber den Geist seiner Arbeit zu respektieren –, ist eine diplomatische Leistung, die den Schweizer Charakter ehrt.

Hier in Venedig versuchen die im Schweizer Pavillon ausgestellten Künstler, das Geheimnis von Alberto Giacomettis Fernbleiben zu ergründen.

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Warum wollte der berühmte Künstler, trotz all der offiziellen Einladungen, nie die Schweiz in Venedig vertreten? Kann man eine solche “Absenz” erklären? Antworten darauf zu finden, ist ein wenig wie die Untersuchung eines Verschwindens.

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Zusammengestellt symbolisieren die (für den Schweizer Pavillon) hergestellten Werke die Absenz des Meisters, wie der Lehm seinen Statuen einen Körper gab, um den Besuchenden zu ermöglichen, einen Teil des Rätsels zu lösen.

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Die Frage nach der Zeitgemässheit nationaler Pavillons gehört seit Jahren zu den unvermeidlichen Topoi der Biennale-Debatten. Nationale Pavillons: Das wirkt auf den ersten Blick wie ein pathetischer und doch seltsam lahmer Gruss aus dem späten 19. Jahrhundert.

Aber man kann es auch anders sehen. Und das ist es ja, was Kunst uns lehrt: Es anders zu sehen. Die Länderpavillons verweisen auf das spannende, manchmal angespannte, aber stets dialektische Verhältnis von Staat und Kunst.

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Gewiss, das ist die Freiheit der Kunst. Aber die Biennale macht eben klar: Es ist noch mehr. Es braucht Mut seitens der vertretenen Nationen. Die Schweiz ist hierfür ein hervorragendes Beispiel: Denn sie pendelt seit Jahrhunderten zwischen Öffnung und Abgrenzung gegenüber ihren europäischen Nachbarn. Fürs Geistige gilt ebenso wie fürs Organische: Was sich nicht mehr bewegt, ist nicht stabil – sondern tot.”

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