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Schweizer Geschichte neu erzählt

Wichtiger Bestandteil der Schweizer Geschichte: das Bankenwesen. Landesmuseum Zürich

Was haben ein Foto von Roger Federer, ein Riesenrad voller Schweizer Mythen und ein grosser Banksafe gemeinsam? Sie sind alle Teil der beiden neuen Dauerausstellungen im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich.

Das neu sanierte Landesmuseum eröffnete pünktlich zum Nationalfeiertag mit den neuen Dauerausstellungen “Geschichte Schweiz” und “Galerie Sammlungen” seine Tore.

Die Ausstellung “Geschichte Schweiz”, die den Bogen von den Anfängen der Schweizer Geschichte bis heute spannt, ist in vier Themenbereiche gegliedert: Siedlungs- und Migrationsgeschichte, Religions- und Geistesgeschichte, Politikgeschichte und wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

“Dies sind unserer Ansicht nach die wesentlichen Themen in der Schweizer Geschichte”, sagte Ko-Kuratorin Pascale Meyer gegenüber swissinfo.ch.

Die Ausstellung ist nicht chronologisch aufgebaut, die einzelnen Themenbereiche sind in sich geschlossen.

Swissness?

Die Ausstellung zeigt, dass es schwierig ist, die Schweiz als solche zu definieren. Das Land kannte Migrationswellen von der Bronzezeit bis heute, wo die Deutschen, die grösste Einwanderungsgruppe stellen.

Um zu demonstrieren, was für eine wichtige Rolle die Migration in der Schweiz spielt, werden etwa Bilder von bekannten Schweizern mit ausländischen Wurzeln wie etwa Tennis-Star Roger Federer gezeigt. Federer ist der Sohn einer Südafrikanerin und eines Schweizers.

Die Besucherinnen und Besucher können auch anhand eines Einbürgerungstests prüfen, ob sie die Anforderungen für den Schweizer Pass erfüllen.

“Wir wollten aufzeigen, dass man den Einfluss der Migrationsströme im Zusammenhang mit der Schweizer Idendität nicht ausklammern kann. So etwas wie echte ‘Swissness’ gibt es nicht”, sagt Meyer.

Der Titel zum Themenbereich der Siedlungs- und Migrationsgeschichte spricht denn auch für sich: “Niemand war schon immer da”.

Die Schweiz und ihre Mythen

Und was ist mit Heidi, Wilhelm Tell und den Bergen, die doch für so viele der Inbegriff der Schweiz sind? Die Mythen entstanden im 19. Jahrhundert mit der Entstehung des konkordanten Regierungssystems, das von Konflikten und Kompromissen begleitet wurde, wie aus der Ausstellung hervorgeht.

Mitten in der Ruhmeshalle steht das neun Meter hohe Mythenrad mit zahlreichen Objekten. Darunter etwa eine Armbrust, eine Heidi-Puppe, eine Kuhglocke und der Bundesbrief.

Auf diese Weise sollen die Mythen thematisiert und ein sachlicher Zugang geschaffen werden, so Meyer. “Die Objekte im Mythenrad sollen zeigen, dass die Mythen immer wiederkehren. Nationale Mythen gibt es in jedem Land, die Schweiz ist da kein Sonderfall.”

So gelte etwa Wilhelm Tell als Befreier der Eidgenossen von fremden Herrschern, sagt Ko-Kuratorin Erika Hebeisen. Diese Legende habe ab dem 15. Jahrhundert zur Bildung einer Schweizer Identität beigetragen. Erst 400 Jahre später, bei der Gründung des Bundesstaats Schweiz, sei Tell zum Mythos geworden.

Auf dem Weg zur Export-Nation

Besonders stolz ist das Landesmuseum auf den Themenbereich Wirtschaftsgeschichte. Es ist die erste umfassende Ausstellung zu diesem Thema.

Unter dem Titel “Die Schweiz wird im Ausland reich” wird aufgezeigt, wie die einst arme, von Landwirtschaft geprägte Gegend, deren Hauptexportgut die Söldner waren, zur Industrienation wurde.

Die Schweiz realisierte, dass sie auf den Export setzen musste, baute die Nahrungsmittel-, Textil- und chemische Industrie auf. Mitte des 19. Jahrhunderts exportierte die Schweiz 50 Prozent ihrer Gesamtproduktion in die USA. Auch der Tourismus boomte.

Banksafe zum Öffnen

Auch das Bankenwesen gewann an Bedeutung. Für diese Entwicklung steht namentlich ein Safe der Schweizerischen Nationalbank aus dem Jahr 1912.

Hier können die Besucher trotz Bankgeheimnis – das auf internationalen Druck geschwächt wurde – die zahlreichen Schliessfächer öffnen. Darin finden sie zwar weder Schmuck noch Geld, dafür aber wertvolle Informationen zur Geschichte der Schweizer Banken.

Die Ausstellungsmacher haben einen erfrischenden Ansatz gefunden. Sie scheuten auch nicht davor, dunklere Kapitel wie die Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg oder die Raubgolddebatte der 1990er-Jahre zu thematisieren.

Die Ausstellung wird mit einem Blick auf die Aktualität abgeschlossen: In einer Vitrine ist zurzeit eine Packung Tamiflu, das Mittel gegen die Schweinegrippe, des Basler Pharma-Riesen Roche ausgestellt. Das Landesmuseum macht damit klar: Eine Ausstellung über die Schweizer Geschichte ist nicht abschliessend.

Isobel Leybold-Johnson, Zürich, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Am 1. August wurden die beiden neuen Dauerausstellungen im Schweizerischen Landesmuseum Zürich mit einem Tag der offenen Tür eröffnet.

Die Ausstellung mit dem Titel “Geschichte Schweiz” wartet mit rund 1000 Exponaten auf. Sie spannt den Bogen von der Steinzeit bis heute.

Die zweite neue Austellung “Galerie Sammlungen” gibt Einblick in die umfangreiche Sammlungstätigkeit des Landesmuseums. Sie vereint rund 850 bedeutende kunsthandwerkliche Objekte und Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Das Ergebnis ist ein qualitativ hochstehender Querschnitt durch die riesige Sammlung, die insgesamt 820’000 Objekte vom Mittelalter bis zur Gegenwart umfasst.

Zu sehen sind etwa Kleider, Schuhe, Bildteppiche, Glasgemälde und Designklassiker.

Die Sanierungsarbeiten im 110-jährigen Bahnhofflügel des Landesmuseums hatten 2005 begonnen. Verbessert wurden insbesondere Statik und klimatische Bedingungen. Die Arbeiten sind Teil des Gesamtprojekts, das bis 2016 abgeschlossen sein soll.

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