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Vom Lesen zum Schreiben

Bernadette Conrad: Mit Lesen und Reisen zu neuen literarischen Stoffen. literatur.ch

Sie schreiben nicht nur. Autorinnen und Autoren lesen auch. Die Literaturwissenschafterin und Schriftstellerin Bernadette Conrad erzählt, was und wie sie liest, und dass ihr eigenes Schreiben ohne Lesen gar nicht möglich wäre.

“Ich erzähle Ihnen, was ich für eine Leserin bin: Langsam wie eine Schnecke. Ich bin unfähig zu lesen ohne Bleistift. Je besser mir ein Buch gefällt, desto langsamer werde ich, als könnte ich nicht tief genug reinkriechen. An der spannendsten Stelle lege ich das Buch auf die Seite und gehe spazieren, damit ich richtig über das Buch nachdenken kann”, erklärte Bernadette Conrad kürzlich an der Veranstaltung “Autoren als Leser” an den Solothurner Literaturtagen ihre Lesegewohnheiten.

Als junger Mensch hiess Lesen für sie vor allem “Bücher befragen, wie geht das Leben? Wie macht man das?” Sie sei eine Jugendliche gewesen, die voller Inbrunst Gedichte auswendig gelernt habe. “Ich verleibte mir Verse ein, als wären sie eine Rüstung, die helfen würde, mich der Welt entgegen zu stellen, ein Schutz um mich herum, eine Identität, eine zweite Haut.”

Keine Romanautorin

Sie sei keine Romanautorin. “Ich bin immer Leserin-Autorin gewesen, Buchkritikerin, porträtierende Reporterin”, sagte Bernadette Conrad. “Mein Schreiben führte geradewegs los von den Büchern, die ich gelesen hatte. Es entzündete sich an ihnen.”

Bücher können Bernadette Conrad in einen Raum ziehen, in dem, wenn es gut gehe, sie sich selbst, aber auch dem Autor, der Autorin nahe sei.

Eines macht sie gleich gern wie lesen: reisen. Beides ist für sie gleich wichtig und so fanden “irgendeinmal in meinem Leben das Lesen und das Reisen zusammen”.

Auswahl

Nach was für Kriterien sucht die Autorin-Leserin Conrad Bücher aus? “Es gibt Verlage, die ich schätze, deren Programme mich immer wieder interessieren. Es gibt Themen, die mich interessieren, auch wenn es mir nach 15 Jahren Rezensieren vorkommt, als würden die meisten Romane nach diesem Muster beworben: Mel und Ken leben in ihrem Landhaus an der Küste. Sie ist eine erfolgreiche Pianistin, er ist Chefarzt, und eigentlich geht es ihnen gut.”

Aber die wirklichen Geschichten, jene, die man echt mag, finde man doch wohl jenseits aller Kriterien. Dies sei der Fall gewesen, als sie vor zehn Jahren in einem Katalog Kalifornische Jahre der US-Autorin Paula Fox entdeckte. “Das Cover hat mich gelockt. Eine bunte Strasse, ein altmodisches Auto, einige fern angedeutete Bäume, ein Stück Himmel, Kalifornische Jahre.”

Conrad las das Buch und war gleich davon gefangen. Damals erschien Jahr für Jahr ein neues Buch von Paula Fox, welche die Leserin in ihrer ruhigen, langsamen Art in sich aufnahm und dies in jeder Hinsicht genoss.

Partnerschaft

Das Glück habe es so gewollt, dass sie ein Buch über Paula Fox schreiben konnte. So wurde aus der meist anonymen Leserin-Autorin-Beziehung eine besondere Leserin-Autorin-Partnerschaft. “Es war ja die Leserin in mir, die zuerst begeistert war, bevor ich mich mit Paula Fox getroffen und mich dann auf eine neue Art mit ihr gebunden und gefunden habe.”

Bernadette Conrad schreibt normalerweise literarische Porträts. “Diese grosse Form, die ich jetzt in dem Buch gewählt habe, geht von einer kleineren, mir vertrauten Form aus und entwickelt diese weiter.”

Der grösste Unterschied zu ihrer “normalen” Arbeit sei die Zeit gewesen: “Wenn man einen Stoff eineinhalb Jahre lang recherchiert, auch in enger Zusammenarbeit mit einem Menschen, dann kommen neue Ebenen von Nähe hinzu.”

Gesunde Distanz

Journalistische Distanz war Bernadette Conrad auch bei diesem Buchprojekt wichtig. Dies sei nicht einfach gewesen. Sie habe dann trotz der persönlichen Begegnungen mit Paula Fox ein grosses Stück eigene Information, Recherche einfliessen lassen. “Das war mir sehr wichtig.”

Besondere Aufmerksamkeit verwendet die Autorin darauf, ihre Gedanken, Fragen und Vermutungen auch als solche auszugeben. “Ich mag Bücher nicht, die eine historische Person nachempfinden und so tun, als hätte sich diese Person genau so verhalten.”

Sie hätte klar machen wollen, was sie erlebt habe, was sie Paula Fox gefragt habe, was diese ihr geantwortet habe. “Das dokumentarische Material, die Erfahrung, die ich selbst mache, mit Menschen an Orten, entlang von Fragen, mit denen ich los gehe, das ist für mich bis jetzt die Voraussetzung zum Schreiben gewesen.”

Parallel gebe es auch noch ein anderes Schreiben. “Ich habe mein ganzes Leben geschrieben. Ich habe wahrscheinlich schon hundert Tagebücher gefüllt. Aber das ist ein Schreiben nach Innen, wo es auch nie um eine Veröffentlichung ging.”

Geboren 1963.

Studium der Theologie, Germanistik und Romanistik.

Arbeitete an der Universität, am Theater, im Buchhandel und als Sozialpädagogin.

Arbeitet seit 1995

als Journalistin und Literaturkritikerin unter anderen für Die Zeit und die Neue Zürcher Zeitung.

2006 erschien eine Sammlung ihrer literarischen Reportagen unter dem Titel Nomaden im Herzen.

2011 – das neueste Werk: – Die vielen Leben der Paula Fox.

Bernadette Conrad lebt mit ihrer Tochter in Konstanz.

Porträt von Bernadette Conrad.

341 Seiten, C.H.Beck Verlag

ISBN-10: 9783406612596

ISBN-13: 978-3406612596

73 Veranstaltungen mit 79 Autoren, Autorinnen und Übersetzer, Übersetzerinnen in 9 Sprachen

30 Kurzlesungen im Freien

24 Lesungen im Dunkelzelt

Ausstellungen, Filme, Theater

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