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“Aarauer Initiative” weist Weg aus Zypernproblem

Wenige Augenblicke vor der Öffnung: Die Ledra-Strasse in Nikosia. Keystone

Griechen und Türken Zyperns legen in einer verfassungsgebenden Versammlung die Grundlage für einen geeinten Inselstaat: Das ist die Vision von Experten um den Schweizer Staatsrechtler Andreas Auer.

Seit 1974 ist das heutige EU-Mitglied Zypern geteilt: Im Süden der Insel leben die Griechen, im Norden die Türken. Die Territorien sind durch die so genannte “grüne Linie” getrennt, die beiden Bevölkerungsgruppen durch tiefe Vorurteile.

Jetzt ist Bewegung in die festgefahrenen Fronten gekommen: Am Donnerstag schleiften in der Hauptstadt Nikosia Vertreter beider Seiten die Mauer an der Ledra-Strasse. Der Grenzübergang, der Anfang 1964 geschlossen worden war, war das Symbol für die Teilung der Insel.

Den neuen Schwung hat Dimitris Christofias ausgelöst. Unmittelbar nach seiner Wahl traf der neue Präsident der Republik Zypern seinen türkischzypriotischen “Amtskollegen” Mehmet Ali Talat, den Präsidenten der nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern. Dabei vereinbarten sie die Aufnahme neuer Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel.

Alte Gräben übernwinden

“Beide Seiten wollen neu anfangen und zeigen den Willen, wieder Gespräche aufzunehmen”, ist der Schweizer Staatsrechts-Professor Andreas Auer gegenüber swissinfo vorsichtig optimistisch. Dennoch geht er davon aus, dass sie auf dieselben Schwierigkeiten stossen werden wie die Vorgänger.

Damit die neuen Köpfe endlich aus den alten Grabenkämpfen finden, hat Auer zusammen mit internationalen Demokratie-Experten den Vorschlag für eine verfassunggebende Versammlung ins Spiel gebracht. Die Idee – erstmals vor vier Jahren präsentiert – wollen die zehn Wissenschafter am Freitag und Samstag in Aarau weiter ausfeilen. An der Konferenz nehmen auch Politiker und Vertreter der Botschaften Zyperns, Griechenlands und der Türkei teil.

Von unten

Der Grundsatz der “Aarauer Initiative” für einen Verfassungskonvent: “Die Lösung muss von den Zyprioten selbst ausgehandelt und abgesegnet werden”, sagt Auer. Die Wissenschafter massen sich nicht an, eine politische Lösung des Zypernkonflikts auf dem Präsentierteller vorzuschlagen.

Sie wollen vielmehr in einer Charta Spielregeln festlegen, die eine politische Lösung erst möglich machen sollen. Dazu gehören friedliche Streitbeilegung, Souveränität der beteiligten Staaten, Verbot der Gewaltanwendung, Achtung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat.

Dornenvoller Weg

So gut das tönt, so schwierig ist das Unterfangen der “Aarauer Initiative”. “Die grösste Herausforderung besteht im Zusammenbringen der beiden Gemeinschaften. Sie anerkennen sich nicht gegenseitig und sprechen nicht miteinander.” Anders formuliert: “Auf welcher Grundlage kann eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden, wenn von den Beteiligten der eine Teil nicht einmal ein anerkannter Staat ist”, fragt Auer.

Die “Aarauer Initiative” geht mit gutem Beispiel voran: Ihr gehören Demokratie-Experten aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, England, den USA, Griechenland und der Türkei an. Zentral ist aber, dass im zehnköpfigen Expertenpanel Wissenschafter der Universität Zyperns in Nikosia und von der Universität Famagusta im türkischen Teil vertreten sind, erklärt Auer.

Anders als der Annan-Plan von 2004

Die “Aarauer Initiative” zielt in eine völlig andere Richtung als der UNO-Plan, mit dem der ehemalige Generalsekretär Kofi Annan 2004 hochkant gescheitert war. “Das war eine diktierte Lösung von oben”, kritisiert Auer. Die hochkomplexe Lösung, festgehalten auf zehntausend Seiten, hätten die Zyprioten innert kürzester Zeit und ohne vorgängige Diskussion absegnen sollen.

Mit dem Ansatz von unten unterscheidet sich die “Aarauer Initiative” ebenfalls von der “Genfer Initiative”, wie Auer sagt. Darin hatten Vertreter Israels und der Palästinenser unter Federführung der Schweiz einen politischen Lösungsweg aufgezeigt. Dieser Verständigungsansatz blieb bis heute ohne jede Chance.

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey wird zwar am Freitag in Aarau die zweitägige Konferenz eröffnen. Doch mehr ist aus Bern nicht zu erwarten. “Als Akademiker haben wir diesbezüglich nichts zu wünschen. Wenn aber die Politik den Vorschlag eines Verfassungskonvents gut findet, wird sie ihn aufnehmen”, sagt Auer.

Schlüssel auch in Brüssel

Er verhehlt nicht, dass einer der Hauptadressaten der Initiative Brüssel ist. 2005 hatte das Europäische Parlament die Idee des Verfassungkonvents zwar “relativ gut aufgenommen”. Weil dem Panel damals aber noch kein Vertreter der Türkisch-Zyprioten angehörte, liessen die EU-Parlamentarier das Grundlagenpapier der “Aarauer Initiative” unkommentiert.

Der Schlüssel für eine Lösung der Probleme im EU-Mitgliedsland Zypern liegt nicht nur in Nikosia, sondern auch in Brüssel. Aber vielleicht auch in Aarau.

swissinfo, Renat Künzi

Mit dem ZDA, das seinen Betrieb im kommenden Sommer aufnimmt, wird Aarau Universitätsstadt.

Das Zentrum ist der Universität Zürich angeschlossen, wird aber auch vom Kanton Aargau, der Stadt Aarau sowie der Fachhochschule Nordwestschweiz getragen.

Andreas Auer ist erster Direktor. Er ist Professor für Verfassungsrecht und seit 1993 Direktor des Forschungs- und Dokumentationszentrums Direkte Demokratie (c2d) der Universität Genf.

Das Genfer Institut c2d wurde im September 2007 dem Aarauer Zentrum für Demokratie angeschlossen.

Zypern ist mit 9251 Quadratkilometern etwa so gross wie die Kantone Graubünden und St. Gallen zusammen.

Die Bevölkerungszahl im griechischen Teil beträgt 766’400 Personen, im türkischen Norden 256’644.

Die Insel im östlichen Mittelmeer wurde 1960 von Grossbritannien in die Unabhängigkeit entlassen.

1974 besetzten türkische Truppen den Nordteil der Insel. Dieser erklärte sich 1983 zum unabhängigen Staat Türkische Republik Nordzypern.

Die Türkei ist das einzige Land, das Nordzypern als Staat anerkennt.

Zwischen dem Nord- und dem Südteil der Insel liegt eine Pufferzone, die von der UNO verwaltet wird.

Seit 2004 ist die Republik Zypern Mitglied der Europäischen Union (EU). Da die Türkisch-Zyprioten den Beitritt abgelehnt hatten, gehört faktisch nur der griechische Teil zur EU.

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