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“Ich bin… Schweizer”

Eduard Seftigen in seinem Wohnzimmer. Alexandra Stark

Die russischen Zaren hatten Menschen aus aller Welt nach St. Petersburg geholt, aber unter Stalin konnten ausländische Wurzeln das Todesurteil bedeuten.

In St. Petersburg, im “Venedig des Ostens”, leben drei Russen mit berühmten Schweizer Vorfahren.

Eduard Seftigen wusste es. Dass seine Vorfahren aus der Schweizer stammen, hatte er als Kind gehört. “Mein Onkel, der sich nach dem Tod meines Vaters in der Verbannung um mich kümmerte, erzählte mir manchmal davon. Er fing immer so an: Es war einmal…”, erinnert sich Seftigen.

Doch während des “Grossen Terrors”, Mitte der 30er Jahre wurde auch der Onkel als sogenannter “Volksfeind” festgenommen und erschossen.

Schweizer sein ein Hindernis

Weitererzählt hat Eduard Seftigen das Familiengeheimnis niemandem: “In meinem Pass steht geschrieben, dass ich Russe bin. Ich habe niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über meine Herkunft gesagt, sonst hätte ich meine Stelle nie im Leben bekommen”, erzählt Seftigen, der im Allunions-Forschungsinstitut für Fernsehen bis zu seiner Pensionierung als Funkingenieur und zum Schluss als Leiter eines der Institutslabore arbeitete.

Erst nach seiner Pensionierung erinnerte er sich an einen Umschlag, den seine Tante ihm gegeben hatte: Das Familienarchiv. 1997 schrieb er der Gemeindeverwaltung von Seftigen einen Brief. “Die waren sehr erstaunt, dachten sie doch, der Familienname Seftigen sei seit Jahrhunderten ausgestorben!” In der Zwischenzeit waren die Seftigens schon zwei Mal in der Schweiz.

Nachteile in Ausbildung und Beruf

Zu was für einer Belastung ein Familienname wie “Euler” werden konnte, lässt sich an der Geschichte zeigen, die Michail Nikolajewitsch Afanasow erzählt.

Zweihundert Jahre nachdem der Stammvater Leonhard Euler nach St.Petersburg gekommen war, mussten seine Vorfahren den Namen verleugnen. Der 66-jährige Geologe ist Sohn von Tatjana Euler, die nach der Revolution mit ihrer Schwester Jekaterina, die heute in Basel lebt, aus St.Petersburg nach Grenoble geflüchtet war.

Sie kehrte 1936 mit ihrem Mann, einem Ex-Offizier der Zarenarmee zurück in die Sowjetunion, aber aus Angst vor Repressionen unter falschem Namen. Das Schicksal meinte es nicht gut mit der Familie: Nach der Rückkehr in die Heimat wurde der Vater von Michail Nikolajewitsch Afanasow wegen seiner Vergangenheit als Offizier in der Armee des Zaren erschossen.

Erst 1954 gelang es der Mutter, den Vater zu rehabilitieren. Das war auch für Michail Nikolajewitsch wichtig, denn Kindern von Repressierten war der Weg in die Universtitäten versperrt.

Traum Tessin

Jewgenij Pawlowitsch Leman entdeckte seine Verwandtschaft mit dem Architekten Domenico Trezzini eher zufällig. Dem heute 67-jährigen Geologen und Geophysiker war es aufgrund seines deutsch klingenden Familiennamens und der Nähe seiner Vorfahren zu den Zaren nicht möglich, eine Habilitation zu schreiben.

Er forschte deshalb in Archiven nach Vorfahren aus demokratisch gesinnten Dekabristen-Kreisen. Hätte er eine Verwandschaft mit einem Vertreter der Gruppe vorweisen können, die 1825 den Zaren stürzen wollte, wäre seiner Arbeit nichts mehr im Wege gestanden.

Diese Verbindung suchte er vergeblich, dafür stiess er auf seine Verwandschaft mit Trezzini. Seither hat Leman einen grossen Traum, zu dem ihm aber die Mittel fehlen: Mit seiner Frau den Ort Astano im Tessin zu besuchen, aus der sein berühmter Vorfahre stammt.

swissinfo, Alexandra Stark in Moskau

Schweizer Handwerker, Künstler und Gelehrte wie zum Beispiel der Tessiner Architekt Domenico Trezzini und der Basler Mathematiker Leonhard Euler waren wesentlich an der Entwicklung der Stadt beteiligt.

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