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“In erster Linie wollte ich weg”

In Südamerika prallen zwei Welten aufeinander: Slum und Hochhäuser in Rio de Janeiro. Keystone

Eine Schweizer Journalistin wanderte vor fünf Jahren nach Südamerika aus. Nun hat sie zusammen mit einer Kollegin ein Sachbuch über den Kontinent geschrieben. Sie erzählt swissinfo.ch, wie es dazu kam.

“In erster Linie wollte ich aus der Schweiz weg”, sagt Camilla Landbö, Schweizer Journalistin und Buchautorin in Buenos Aires, als Begründung, warum sie nach Argentinien ausgewandert ist. Die 36-jährige Frau lebt seit fünf Jahren in der argentinischen Hauptstadt. Aufgewachsen ist sie in Bern.

“Als ich vor fünf Jahren nach Südamerika zog, wollte ich zuerst die Spuren meiner Ahnen in Brasilien suchen.” Landbös Urgrossvater war aus dem Tessin nach Brasilien ausgewandert, ihr Grossvater war als zehnjähriger Vollwaise mit seinen Geschwistern ins Tessin zurückgekehrt.

“Ich und meine Schwester haben die Stadt gesucht, wo mein Grossvater geboren wurde, wir haben auch seinen handschriftlichen Eintrag ins Geburtsregister gefunden”, erzählt die Schweizerin, in deren Adern auch norwegisches Blut fliesst. Ihr Vater war ein Norweger.

In Brasilien wollte die Journalistin nicht bleiben. Es zog sie weiter nach Argentinien: “Die Menschen aus Argentinien, die ich bei meinen Reisen durch Südamerika kennengelernt habe, und Filme aus Argentinien haben mir gefallen.”

Basis in Buenos Aires

In der Schweiz hat Camilla Landbö als Journalistin und Redaktorin bei verschiedenen Zeitungen und Verlagen gearbeitet. “Als ich in Buenos Aires war, habe ich mir überlegt, wie ich es anstellen sollte, um zu Kontakten zu kommen. Ich schlenderte durch die Strassen und schaute bei einem Kiosk die Zeitungen an. Da sah ich das Argentinische Tageblatt im Angebot.”

Das Argentinische Tageblatt ist eine seit 1889 erscheinende, deutschsprachige Zeitung, die von Schweizer Einwanderern aus Bern gegründet worden war. Seit 1981 erscheint das Tageblatt als Wochenzeitung. In Argentinen leben am meisten deutschsprachige Leute ausserhalb des deutschen Sprachraums.

Landbö arbeitete beim Argentinischen Tageblatt als Redaktorin im Ressort Politik. “Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ich hatte genau das Ressort, das mich interessiert hat.”

Sie habe sich damals entschieden, dass Buenos Aires ihre Basis sein soll, und dass sie dort leben wolle. Allerdings wisse man nie, was das Leben bringe. Sie schliesse nicht grundsätzlich aus, wieder in der Schweiz zu leben.

Freie Journalistin

Mit der Zeit begann Camilla Landbö sich auf der Redaktion zu langweilen. “Ich hatte den Drang, hinauszugehen und über andere Themen zu schreiben. Deshalb habe ich nach zwei Jahren den Schritt zur freien Journalistin gewagt.” Am Anfang habe sie eine Mischform zwischen Deutschlehrerin und Journalistin praktiziert. Das habe sich nun geändert, sie habe nur noch zwei Schüler behalten, “zur Abwechslung und zum Vergnügen”.

Seit Anfang 2010 ist sie freie Korrespondentin der KNA, der Katholischen Nachrichten-Agentur, die Deutschland mit Nachrichten über soziale und politische Themen versorgt. In dieser Funktion ist Landbö für Argentinien, Paraguay, Uruguay, Chile und Bolivien zuständig. Sie schreibt auch für verschiedene Printmedien im deutschsprachigen Raum.

Das Buch “Südamerika. Zwischen Armut und Wirtschaftsboom” hat sie im letzten Jahr zusammen mit einer Kollegin, einer deutschen Journalistin, verfasst. Es will Südamerika jenseits der Sehenswürdigkeiten und Klischees beschreiben.

“Auf die Themen, über die wir im Buch schreiben, bin ich durch meine Arbeit als freie Journalistin gekommen. Durch Gespräche erfährt man vieles.”

Der Verlag habe ihnen freie Hand gelassen bei der Themenwahl, sagt Landbö. Für ihre Recherchen sind die beiden Frauen auf dem ganzen Kontinent umhergereist.

Viel abenteuerlicher

“Was mich hier anzieht, ist das spontane Leben. Jeder Tag bringt Überraschungen.” Das ganze Leben sei viel abenteuerlicher. “In der Schweiz weiss man, wie ein Tag verläuft. Man weiss auch, wie die nächste Woche verlaufen wird.”

Der Bus komme immer pünktlich, sagt Camilla Landbö: “Ich will das gar nicht kritisieren. In der Schweiz ist das Leben durchstrukturiert. Für mich stimmt das nicht. Ich langweile mich.”

In Argentinien fühlt sie sich wohl. “In der Schweiz habe ich mich als roter Legostein in einer Masse von blauen gefühlt. Jetzt fühle ich mich wie ein roter Legostein unter roten. Oder wie ein roter Legostein in einer Masse von verschiedenfarbigen Legosteinen.”

In Buenos Aires gebe es die Situation kaum, dass zwei Leute zusammen in einem Lift fahren und nicht miteinander sprechen würden. “Es ist genau das Gegenteil von der Schweiz. Alle sind viel kommunikativer. Dass Leute nicht zusammen reden, ist hier unvorstellbar”, sagt die Journalistin. Allerdings lasse sich dieses Lebensgefühl nicht auf ganz Südamerika übertragen. “In Bolivien sind die Leute ähnlich introvertiert wie in der Schweiz.”

Stammtisch

Vor zwei Jahren hat Camilla Landbö einen Stammtisch in Buenos Aires für Deutschsprachige gegründet. Dort treffen sich neu eingewanderte Schweizer, Deutsche und Österreicher im Alter zwischen 30 und 50. Man tausche sich aus über alles Mögliche, erzählt sie.

Vielen sei nicht bewusst, dass es in Argentinen Städte gebe, die von Schweizerinnen und Schweizern gegründet worden seien, Städte wie Esperanza, San Jeronimo Norte, San Carlos oder Baradero.

Argentinien ist eine Republik im Süden Südamerikas. Es ist der achtgrösste Staat der Erde und der zweitgrösste des Kontinents. Punkto Einwohnerzahl nimmt es dort den dritten Rang ein.

Wegen seiner grossen Nord-Süd-Ausdehnung hat das Land Anteil an zahlreichen Klima- und Vegetationszonen. Der Name Argentinien kommt vom lateinischen Wort für Silber – Argentum – und liefert einen Hinweis darauf, welche Schätze die Eroberer auf seinem Territorium zu finden glaubten.

Bis zu seiner Unabhängigkeit 1816 war Argentinien Teil des spanischen Kolonialreiches.

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