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“Ohne Musik – ein unglücklicher Mensch”

Udo Jürgens: Der österreichische Wahlzürcher als Kapitän auf dem Vierwaldstättersee. Keystone Archive

Triumphale Tourneen, Hit um Hit, Kompositionen für internationale Stars. Der Wahl-Zürcher Udo Jürgens feiert am Donnerstag seinen 70. Geburtstag.

Seine geheimsten Träume seien mehr als erfüllt worden, sagt der Wahl-Zürcher im Gespräch.

Am 30. September 1934 in Klagenfurt geboren, wächst Udo Jürgen Bockelmann im elterlichen Schloss Ottmanach auf dem Magdalenensberg in Kärnten auf. Sein späterer Lebensweg zeichnet sich früh ab: Als Fünfjähriger erhält er sein erstes Instrument, eine Mundharmonika.

Mit acht Jahren bekommt er ein Akkordeon. Als 12-Jähriger beschliesst er, “mit der Musik gross zu werden oder unterzugehen”. Er besucht das Konservatorium Klagenfurt und schreibt erste Lieder. Ab 1951 spielt er als Udo Bolan in kleinen Lokalen, Hotelbars und Militär-Clubs, “wo mich niemand hören wollte”.

Auf “Merci Chérie” folgt die Krise

Nach einem Flop und ersten Achtungserfolgen dann 1966 die Wende: Udo Jürgens, wie er sich seit 50 Jahren nennt, gewinnt mit “Merci Chérie” den Grand Prix Eurovision de la Chanson – und wird quasi aus dem Nichts zu einem der erfolgreichsten Musiker Europas.

Tourneen durch West- und Osteuropa sind Triumphzüge. Gesungen von internationalen Stars wie Sammy Davis Jr., Shirley Bassey und Matt Monroe werden seine Lieder in englischen Versionen zu Welterfolgen.

Dann die Krise: Er raucht Kette, hat Alkoholprobleme, jeder Tag ist eine einzige Party. “Es ist schwerer, einen gigantischen Erfolg zu verdauen, als mit Misserfolg klar zu kommen”, erklärt Jürgens. “Erfolglos sein ist der ganz normale Wahnsinn eines jungen Künstlers.”

“Neigung zur Faulheit”

Er zieht sich für ein Jahr aus dem öffentlichen Leben zurück und besinnt sich auf einen gesunden Lebensstil: nicht trinken, nicht rauchen, genug schlafen, Sport treiben. Jürgens, der seit 1977 in Zürich lebt, schwimmt heute täglich 20 bis 30 Minuten, “obwohl ich zur Faulheit neige”.

Zurück auf den Bühnen, die sein Leben bedeuten, knüpft Jürgens nahtlos an die Erfolge von vor der Krise an: Er singt japanisch, tritt im Hollywood Palladium, im Pariser Olympia und im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro auf.

1975 wird “Griechischer Wein” der Hit des Jahres, 1976 ist es “Aber bitte mit Sahne” und zwei Jahre später “Mit 66 Jahren”. Sein grösster Plattenhit aber ist der mit dem deutschen Nationalteam gesungene Fussball-WM-Song “Buenos dias, Argentina”. Insgesamt habe er erstaunlich wenig Nummer-1-Hits gehabt, sagt Jürgens.

Starkes Repertoire

Das Geheimnis seines Erfolges sieht er im starken Repertoire. Tatsächlich handeln seine Lieder nicht von einer heilen Welt und Klischees, sondern erzählen Alltagsgeschichten und beziehen sich wie “Rot blüht der Mohn”, “Die Glotze” oder “5 Minuten vor 12” auf aktuelle Themen und Probleme.

Dies war neu in der deutschen Musik: “Wenn ich daran denke, wie viele Menschen ich auch mit zeitkritischen Liedern erreicht habe, muss ich doch sagen, dass mir etwas Grosses gelungen ist.”

Seit Jahren begleitet ihn der Schweizer Pepe Lienhard, mit dem er eine “wunderbare Männerfreundschaft” pflegt. Seine Big-Band nennt Jürgens Weltklasse.

Stolz auf kaum Bekanntes

Stolz ist Jürgens auf Kompositionen, die dem breiten Publikum kaum bekannt sind; Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern etwa, seine “symphonische Dichtung mit Rock- und Klassik-Elementen”. Entscheidend war, “dass ich in mich hineingehört habe”.

Er habe nie versucht, Musik zu kopieren – wenn er einmal Trends gefolgt sei, seien schlechte Lieder herausgekommen.

Casting-Shows wie “Music Star” nennt er Massenunterhaltung, die keine echten Künstler hervorbringen: Ein Musiker sei nur glaubhaft, wenn er authentisch ist – und dafür benötige es einen Lebensweg mit Höhen und Tiefen.

Geistige Quereinsteiger wie Xavier Naidoo oder “Die Ärzte” schätzt Jürgens. Das meiste aber seien nachgemachte Dancefloor-Collagen mit Endlos-Schleifen von Beats sowie ab und zu Textstrophen. “Dies ist akustische Befriedigung, die nirgends hinführt.”

Nächste Tournee bereits geplant

Rund 900 Kompositionen hat Udo Jürgens geschrieben. Und ein Ende ist nicht absehbar: “Den Plan aufzuhören mache nicht ich, sondern das Schicksal.” Er werde aufhören, wenn die Gesundheit nicht mehr mitspiele – oder kein Mensch ihn mehr hören wolle. Die nächste Tournee aber ist bereits geplant, starten soll sie Anfang 2006.

Während der Arbeit an seinem am 23. August erschienenen Buch “Der Mann mit dem Fagott” hat er viel nachgedacht über sein Leben: “Es ist behutsam mit mir umgegangen”.

Ohne Musik wäre er ein unglücklicher Mensch, wahrscheinlich sogar ein Versager geworden. Seine geheimsten Träume vom Umgang mit Tönen seien in Erfüllung gegangen – oder gar überboten worden.

swissinfo und Petra Stöhr Bellingen und Vincenzo Capodici (sda)

Geboren 1934 in Klagenfurt
Ab 1951: Udo Jürgens spielt in Lokalen und Bars
1966: Grand Prix Eurovision de la Chanson: “Merci Chérie”
Tourneen, englische Versionen seiner Lieder, Misserfolge
1975: “Griechischer Wein”
1976: “Aber bitte mit Sahne”
Seit 1977 lebt Jürgens in Zürich
1978: “Mit 66 Jahren”
Fussball-WM-Song “Buonas dias, Argentina”
Insgesamt rund 900 Kompositionen
Autobiographie 2004: “Der Mann mit dem Fagott”

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