Affäre Soltani: Beschwerde gegen Schweizer Behörden

Nach der überstürzten Abreise aus der Schweiz eines wegen Folter angeklagten algerischen Ex-Ministers hat ein Opfer bei der Bundesanwaltschaft Klage eingereicht. Eine Untersuchung soll zeigen, wie es dazu kam, dass der Justizminister entkommen konnte.
In seiner Klage wegen Amtsgeheimnismissbrauchs begründet Nouar Abdelmalek die Gründe seines Vorgehens gegen «unbekannte Mitarbeiter» des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Der ehemalige Beamte des algerischen Verteidigungsministeriums ruft einige Fakten in Erinnerung: «Vom 29. Juni bis zum 3.Juli 2005 wurde ich von Agenten gefoltert, auf Anweisung vom damaligen Staatsminister Bouguerra Soltani. Anfang Oktober vernahm ich, dass sich Herr Bouguerra Soltani vom 16. bis zum 18. Oktober 2009 im Kanton Freiburg aufhalten wird. Weil mich das Erlebte nach wie vor täglich verfolgt und ich traumatisiert bin, habe ich mich entschlossen, beim Untersuchungsrichteramt des Kantons Freiburg Strafanzeige einzureichen.»
Der Freiburger Untersuchungsrichter Jean-Luc Mooser beurteilte den Fall als ernst genug, um den Angeklagten, der heute Chef der islamistischen Partei für die Gesellschaft des Friedens ist, vorzuladen.
Doch Bouguerra Soltani traf nie im Kanton Freiburg ein. Soltani sei – so der Kläger- am 16. Oktober in Moschee in Genf gesehen worden und dort gegen 15.30 mit einer schwarzen Limousine der algerischen Botschaft abgeholt worden.
Die Geheimdienste mischen mit
Nouar Abdelmalek präzisiert, dass am Morgen der Anhörung vor der Freiburger Justiz ein vertraulicher Bericht über Bouguerra Soltani bei Untersuchungsrichter Mooser eingetroffen sei. Absender war die Direktion des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP), der Geheimdienst des VBS. «Dieser Bericht ist datiert vom 15. Oktober und ich weiss nicht, wer den DAP über meine Klage unterrichtet hat. Da nur wenige Personen von dieser Klage und der Chronologie der Ereignisse gewusst haben, kann es fast nur ein Mitarbeiter des EDA oder der DAP gewesen sein, der die Flucht möglich gemacht hat», schreibt Nouar Abdelmalek in seiner Anzeige.
Im Auszug des Berichts des Geheimdienstes, der in der Anklage wiedergegeben ist, wird suggeriert, dass Bouguerra Soltani Opfer einer Kampagne seiner politischen Gegner sei und es „überhaupt keinen Beweis dafür gibt, dass Soltani in Massaker oder Folterhandlungen irgendwelcher Art während des Bürgerkrieges in den 1990-er Jahren verwickelt gewesen wäre».
Diese Einschätzung deckt sich mit Äusserungen von Bouguerra Soltani selber, die er in einem Interview mit der algerischen Zeitung El Khabar am 31. Oktober gemacht hatte.
«Der DAP liegt falsch, wenn er sagt, dass es um eine politische Abrechnung geht. Das ist absurd. Wir wären nicht in eine solche Falle getappt», so Philip Grant von TRIAL, der Schweizer Nichtregierungsorganisation, die Nouar Abdelmalek in seinen rechtlichen Schritten unterstützt.
«Der DAP erklärt, dass Soltani nicht in die Massaker der 1990er-Jahre verwickelt ist. Doch das haben wir nie gesagt. Es handelt sich um eine wohl durchdachte Angelegenheit, die zu einem bestimmten Zeitpunkt lanciert wurde», so Grant.
Das Schweizer Kapitel der Affäre
«Das laufende Verfahren liegt bei der Bundesanwaltschaft, sie wird zu gegebener Zeit informieren. Das ist normal in einer solchen Situation», erläutert Adrian Sollberger, Pressesprecher des Departements für auswärtige Angelegenheiten.
«Die fragliche Anzeige wurde bei der Bundesanwaltschaft (BA) hinterlegt. Die BA prüft, ob die Bedingungen für die Eröffnung eines Strafverfahrens gegeben sind», erläutert Pressesprecherin Jeannette Balmer.
Die Hauptperson seinerseits schildert in der algerischen Tageszeitung El Khabar die Umstände seiner Flucht.
«Bevor ich in den Kanton Freiburg kam, wurde ich informiert, dass gewisse Leute mir meinen Aufenthalt vermiesen wollten. So habe ich mich entschieden, an Bord einer Maschine der Air Algérie, mit einem regulären Flug, nach Algerien zurückzukehren», erzählte Soltani der Zeitung.
Der algerische Verbündete
Nouar Abdelmaleks Anwalt Damien Chervaz vermutet, dass die Klage wegen Misssbrauch des Amtsgeheimnisses kaum ad acta gelegt werden kann. «Ich zweifle keine Minute an unseren Institutionen» unterstreicht der Anwalt und fügt bei, dass ein Rekurs beim europäischen Menschenrechtshof immer möglich ist.
Philip Grant von TRIAL seinerseits versichert, dass er die Frage des Informationsaustausches zwischen Strafbehörden und politischen Behörden an einem Treffen von NGO’s nächste Woche in Brüssel aufwerfen wird.
Frage des Vertrauens
Untersuchungsrichter Jean-Luc Mooser erklärt gegenüber swissinfo.ch: «Jeder Richter ist sich bewusst, welche Folgen so eine Affäre haben kann. Die Möglichkeit einer Staatsaffäre hätte durchaus bestanden, wäre das Verfahren gegen Soltani weitergeführt worden. Deshalb musste ich mich absichern, dass der Angeklagte nicht diplomatische Immunität geniesst. Diese Auskunft kann mir einzig und allein das EDA geben.»
Ist ein solcher Informationsaustausch nicht problematisch? «Es geht hier um Vertrauen zwischen der Justiz und dem Justizdepartement», antwortet Mooser, der mit Interesse die nächsten Schritte der Bundesanwaltschaft verfolgt.
Auch Amnesty International schaut genau hin. Manon Schick, Pressesprecherin für die Schweiz: «Wenn eine angeklagte Person, die ein Vergehen gegen das internationale Recht begangen hat, mit einem Telefonanruf gewarnt wird und sich der Justiz entzieht, dann ist das sicher der falsche Weg, gegen Straffreiheit anzukämpfen.»
Frédéric Burnand, Genève, swissinfo.ch
(Übertragung us dem Französischen: Christine Fuhrer)
Verschiedene Gerichtsbarkeiten: Je nach Verletzung des internationalen Rechts variiert in der Schweiz die Gerichtsbarkeit.
– Das Militärgericht ist zuständig für Kriegsverbrechen (es gab bislang zwei Prozesse in der Schweiz: ein Ruander wurde verurteilt, ein bosnischer Serbe freigesprochen).
– Völkermord gehört in die Zuständigkeit des Bundesgerichts.
– Folterhandlungen werden von den kantonalen Justizbehörden untersucht.
Reform: Im Parlament wird eine Reform behandelt, die dem Bundesgericht die Kompetenz erteilen will, alle Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu verfolgen.
Damit wäre die Schweiz konform mit dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, bei dem die Schweiz Mitglied ist.
Nach Abschluss dieser Justizreform würde die Schweiz im europäischen Durchschnitt liegen, was den Kampf gegen die Straffreiheit betrifft.
Verbindungen mit der Schweiz: Um einen Prozess einzuleiten, muss sich der Angeklagte in der Schweiz befinden.
Falls das Militärgericht zuständig ist, muss eine enge Verbindung mit der Schweiz nachgewiesen werden können (in die Schweiz reisen und den persönlichen Banker treffen, reicht nicht).
Immunität: Angeklagt werden kann nur, wer nicht diplomatische Immunität geniesst.
Verpflichtung: Die Schweiz leistet dem Internationalen Strafgerichtshof einen wichtigen Unterstützungsbeitrag und bekräftigt, wann immer sie kann, die Wichtigkeit des Kampfs gegen Straffreiheit.
Quelle: Trial

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