Die Machenschaften des Advokaten aus Lugano

Vor dem Strafgericht in Lugano ist im Abwesenheits-Verfahren der Prozess gegen den 75-jährigen Tessiner Anwalt Elio Borradori eröffnet worden.
Dem angeklagten Tessiner Ex-Anwalt, Vater von Lega-Staatsrat Marco Borradori, werden Betrug, Dokumentenfälschung, wiederholte Veruntreuung und betrügerischer Konkurs vorgeworfen.
Zudem wird dem früheren Notar ein Verstoss gegen das Sprengstoff-Gesetz zur Last gelegt. In seiner Kanzlei fanden die Ermittler Dynamit. Die vermuteten Straftaten wurden zwischen 1988 und 1998 in Lugano und San Marino begangen. Die 13-seitige Anklageschrift liegt seit Juni 2000 vor.
Als die Aufnahme der Ermittlungen und damit die krummen Geschäfte Borradoris 1995 bekannt wurden, wollte niemand so recht daran glauben. Immerhin handelte es sich um einen einflussreichen und angesehenen Advokaten in der Stadt, der über Jahrzehnte – und bis 1999! – das Ehrenamt des Kommandanten vom Luganeser Freiwilligenkorps bekleidete.
Erst als die Söhne für ihren Vater eine Entmündigung beantragten, wurde der Ernst der Situation deutlich. Elio Borradori hatte sich bereits in einem ausweglosen Netz von Betrügereien verfangen.
Ein Delikt ums andere – Schlag auf Schlag
Borradori senior hatte Ende der 80-er Jahre begonnen, Gelder seiner Kunden zu veruntreuen, unter anderem, um seine eigenen Gläubiger zu besänftigen. In einem Fall verkaufte er eine Liegenschaft an ausländische Investoren, ohne zu erwähnen, dass die Immobilie mit einer Hypothek belastet war.
Immer wieder versuchte er, das Schuldenloch durch eine weitere Betrügerei zu schliessen, doch das Loch wurde immer grösser. Beim Konkurs 1997 stand einem Schuldenberg von 28 Mio. Franken nur ein Vermögen von 6 Mio. Franken gegenüber.
Seine Kunden soll er um insgesamt 7 Mio. Franken geprellt haben. Dass Borradori die Übersicht über die eigenen Geschäfte verloren hatte, ist im Nachhinein nicht erstaunlich. Über 200 Firmen wurden von der Kanzlei Borradori aus verwaltet.
Sohn Marco weiss von nichts
Borradoris Sohn, der bis Anfang der 90-er Jahre bei seinem Vater in der Kanzlei arbeitete und ab 1991 bei der Lega dei Ticinesi Polit-Karriere machte, hat stets bestritten, an den «kommerziellen Aktivitäten» beteiligt gewesen zu sein. «Ich war ein Angestellter und habe mich nur um juristische Dossiers gekümmert», beteuerte Marco Borradori.
Der lang erwartete Prozess gegen Elio Borradori hätte im vergangenen November stattfinden sollen. Doch die als Gerichts-Präsidentin auserkorene Giovanna Roggero-Will erinnerte sich erst in letzter Minute daran, dass sie in der Rekurskammer bereits einmal mit dem Fall Borradori zu tun hatte. So durfte sie den gleichen Fall nicht nochmals behandeln.
Eine erneute Verschiebung des Prozesses war nötig. Mario Luvini, ein alter Hase am Tessiner Strafgericht, sprang für seine Kollegin ein. Ob Elio Borradori selber vor Gericht erscheinen wird, ist ungewiss. Im November hatten ihm seine Ärzte geraten, der Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen fernzubleiben. Der Angeklagte hat bis anhin jede Schuld zurückgewiesen.
Finanzplatz Tessin – nicht über alle Zweifel erhaben
Viele Details der Affäre Elio Borradori werfen ein schiefes Licht auf den Finanzplatz im Tessin, selbst wenn sie im jetzigen Prozess nicht zur Sprache kommen sollten.
So hat der langjährige V-Mann Egidio Cattaneo in seinem vor kurzem erschienen Buch «Deckname Tato» aufgezeigt, dass die Drogenmafia über zwei bei der Anwaltskanzlei Borradori geführte Tessiner Scheinfirmen tonnenweise Kokain aus Südamerika nach Italien beförderte.
Gerhard Lob, Lugano

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