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Hannah Arendt – Wort für Wort gelesen

1933 floh die deutsch-jüdische Philosophin Hannah Arendt nach Frankreich und später in die USA. Keystone

Eine Geburtstagsfeier und eine Lesereise für ein Buch? Nicht irgend ein Buch, sondern Hannah Arendts Klassiker: "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft". 133 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur lesen das Buch vom 2. April bis zum 28. April. In Zürich, an siebzehn Orten, öffentlich und gratis.

Hannah Arendt, die radikale leidenschaftliche Denkerin ist en vogue. In globalisierten Zeiten mit den neuen Göttern Wertschöpfung und Börsenwert, scheint der Hunger nach vertiefter Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Geschichte grösser als auch schon.

Was 1996 als «Hannah Arendt Tage» in Zürich begann, begibt sich anfangs dieses Jahrtausends in die breitere Öffentlichkeit. Fanden die ersten Veranstaltungen im kleinen intellektuellen Rahmen, geprägt durch Debatten und Vorträge statt, wird dieses Jahr ein Buch in den Mittelpunkt gestellt. Ein Buch, das vielstimmig vorgelesen wird und bestenfalls eine neue Leserschaft findet. Ein Buch, das während 45 Stunden im Mittelpunkt stehen wird und allfällige Einwände und anschliessende Diskussionen nicht ausschliesst.

Wechselhaftes Leben der deutsch-jüdische Philosophin

Vor 25 Jahren, am 4. Dezember, starb Hannah Arendt in New York. Aufgewachsen in Königsberg, floh die deutsch-jüdische Philosophin 1933 aus Deutschland. Sie lebte im Pariser Exil, bevor sie 1941 in den USA eine neue Heimat fand. Zehn Jahre später erschien jenes Buch, das sie als Autorin und politische Denkerin weltberühmt machte. 1955 wurde das Buch ins Deutsche übersetzt. 50 Jahre später wird diesem Buch und seiner Autorin, Hannah Arendt lesenderweise die Referenz erwiesen.

«Es ist ein besonderes Buch. In den USA gehört es zu den Jahrhundertbüchern. Und wahrscheinlich unter den politisch-theoretischen Büchern, jenes welches Bestand hat. Im Gegensatz zu Büchern, die für ein bestimmtes Jahrzehnt wichtig waren, wird dieses Buch noch lange den politischen Diskurs mitbestimmen», sagt Sebastian Hefti, Mitinitiant der «Hannah Arendt Tage» zur Auswahl von «Elemente und Ursprung totaler Herrschaft».

Ein Jahrhundertbuch

Arendts Klassiker ist in die Teile: «Antisemitismus», «Imperialismus» und «totale Herrschaft» gegliedert. Es handelt von den Ursprüngen der Herrschaft, wie sie als eine neue «Staatsform» im Dritten Reich und im bolschewistischen Regime errichtet wurden. Es handelt von Menschen und Mechanismen, die das unvorstellbare Grauen möglich machten.
Später erscheint Arendts «Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen», ein Buch, das einen Sturm der Entrüstung auslöst und bis heute umstritten ist. Und immer wieder brillante Essays zur aktuellen politischen Entwicklung, Lehrtätigkeit, Vorträge, weitere Bücher.

Schweizer Prominenz liest vor

Die Liste der Lesenden, liesst sich stellenweise wie ein deutsch-österreichisch-schweizerisches Promibüchlein. Querbeet durch die verschiedensten Gebiete sind das Showbiz, der Sport, Universitäten, Politik und Wirtschaft vertreten. Ob Jana Caniga, Leiterin des Migros Kulturprozent, ob Daniel Vasella, Novartis, ob Antje Vollmer, Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, alle werden sie je sieben Seiten aus dem rund 1000-seitigen Werk vorlesen.

Bevor die Veranstaltung begonnen hat, sind auch schon die ersten kritischen Stimmen zu vernehmen. Von Klamauk wird gesprochen, in der WOZ moniert Madeleine Dreyfus, dass kein Raum für die kritische Auseinandersetzung vorgesehen sei, das der PR-Effekt für die Lesenden grösser sei, als die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Buches. Vorwürfe und Bedenken, die sich erst bewahrheiten müssen. Hannah Arendt hätte sicher ihre Freude daran gehabt, denn wie sagte sie: «Ich habe mich mit den Leuten auseinandergesetzt, ich bin nicht sehr freundlich, ich bin auch nicht sehr höflich, ich sage meine Meinung.»

Brigitta Javurek

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