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Jeder Fünfte kann ein Spion sein

Auch am Genfer UNO-Sitz kommt der Spion aus der Kälte. Keystone

Am europäischen UNO-Sitz in Genf ist eine Abhöraffäre aufgedeckt worden. Die Schweiz kann den Spionen jedoch kaum das Handwerk legen.

In der «NZZ am Sonntag» sagt der Vizechef des Schweizer Inland-Nachrichtendienstes, jeder fünfte Diplomat in Genf sei nachrichtendienstlich ausgebildet.

Der Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Alessandro Delprete, sagte, Bern habe bei der UNO sondiert, um herauszufinden, «ob sie die Schweiz um Rechtshilfe ersuchen möchte».

Um den Fall zu untersuchen, müsste die diplomatische Immunität durch die Vereinten Nationen aufgehoben werden, damit die Bundesanwaltschaft eine Untersuchung durch die Kriminalpolizei einleiten könnte.

Die Mittel fehlen

Im Artikel der «NZZ am Sonntag» sagt Jürg Bühler, der stellvertretende Chef des Dienstes für Analyse und Prävention des Bundesamtes für Polizei, dass es der Schweizer Spionageabwehr nicht möglich sei, den Spionen in Genf das Handwerk zu legen. Bühler führt die «fehlenden Mittel» als Begründung an.

Bühler kennt auch 2004 keinen Fall, der durch die Schweizer Spionageabwehr aufgedeckt werden konnte. Meistens sei man wegen der diplomatischen Immunität zur Untätigkeit verdammt, sagt er.

Dem Abwehrdienst lägen zwar immer wieder Hinweise aus Genf vor. Der jüngste Vorfall sei nur die Spitze des Eisberges, sagt Bühler. «Allerdings ein besonders spektakulärer», fügt er bei.

Bühler denkt, dass rund ein Fünftel des in Genf akkreditierten Personals in gewissem Masse nachrichtendienstlich ausgebildet ist. Was aber nicht heisse, dass es sich dabei um Berufsspione handle.

Vieles kam aus Russland

Laut Patrik Eugster, dem Direktor der Genfer Surveillance Consulting Group, war die Wanze samt Mikrofonen und Sender in einem knapp 50 Zentimeter langen, 6 Zentimeter breiten und 4 Zentimeter tiefen Holzkistchen untergebracht. Dieses war hinter der Täfelung des Salon Français angebracht.

Eugster ist der Meinung, dass sich von der gefundenen Vorrichtung keine sicheren Rückschlüsse auf die Urheber machen liessen. Das Speicherelement stamme offenbar aus Bulgarien oder Ungarn. Die Wanze sei etwa drei oder vier Jahre alt. Das Material stamme aus Russland oder sonstwo aus Osteuropa.

Es sei möglich gewesen, sowohl Gespräche aus der Distanz zu übermitteln wie auch Nahaufnahmen. Die Gespräche würden aufgefangen und in Sekundenbruchteilen weitergeschickt. Die Impulsabgabe sei so kurz, dass sie nur sehr schwierig zu entdecken sei.

Präzedenzfall

Auch die Informationschefin der UNO in Genf, Marie Heuzé, bestätigte, dass die Schweiz in der jüngsten Affäre Kontakt mit der UNO aufgenommen habe.

Die Vereinten Nationen prüften nun, wie sie auf den Wunsch der Schweiz reagieren würden.

Eine Aufhebung der Immunität wäre ein Präzedenzfall, sagte sie. Bislang sei bei der UNO auch noch nie eine Abhöranlage entdeckt worden, weder in New York noch in Genf.

Zuvor hatte Heuzé am Freitag vor Journalisten den Fund einer Abhöranlage in einem der Räume des UNO-Sitzes in Genf bestätigt. Arbeiter hätten während der Renovation des Salon Français ein «raffiniertes Abhörsystem» gefunden. Es sei nicht klar, wer die Abhöranlage in dem Saal angebracht habe.

Die «Tagesschau» von Schweizer Fernsehen DRS hatte am Donnerstag unter Berufung auf das Westschweizer Fernsehen berichtet, das Abhörsystem sei im Herbst bei Renovationsarbeiten in der Täfelung entdeckt worden.

swissinfo und Agenturen

Kürzlich veröffentlichte die «Washington Post» einen Bericht, dass der Chef der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) Mohamed ElBaradei vom US-Geheimdienst abgehört worden sei. Der CIA sei interessiert gewesen an seinen Gesprächen zum Atom-Streit mit Iran.

Auch UNO-Generalsekretär Kofi Annan sowie der frühere UNO-Chefwaffen-Inspektor Hans Blix sollen elektronisch bespitzelt worden sein.

Im Februar dieses Jahres hatte ein Ex-Spion des britischen Geheimdienstes ausgesagt, die ehemalige UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson sei abgehört worden.

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