Stadion Wankdorf: Die 90 Minuten sind um!

Für einige Tage wurde das Berner Ärgernis Wankdorf doch noch zur Kultstätte. Am Samstag (07.07.) findet mit YB - Lugano das allerletzte Spiel statt. Dann werden die "Leitungen gekappt". Ende Juli wird gesprengt. Dann abgebrochen. Wo YB Fussball-Geschichte schrieb, wo Deutschland 1954 Weltmeister wurde - das Wankdorf Stadion wird dann nicht mehr sein.
Wer in den vergangenen Tagen ins Berner Wankdorf Stadion pilgerte, weil er vernahm, dass nun doch Schluss sei mit dem Wankdorf, der fand etliche – meist ältere – Gleichgesinnte. Frauen fehlen fast ganz.
Es sind die Pensionierten, welche von der guten alten Zeit (und im Fussball sei es früher besser gewesen, sagen sie alle) schwärmen. «Dort nahe bei der Cornerflagge bin ich gestanden, als Toni Alleman die Flanke einwärts gab und Geni Meier doch noch das unerwartete 3:2 gegen Lausanne schoss», meint dieser Herr, dem alle Housi sagen. Und Housis Blick sieht den Ball von Allemann kommen und Geni schiebt ein. Als sei es gestern gewesen.
Gestern, da waren sie alle viel jünger, und der Berner Traditionsverein Young Boys – dem alle YB sagen – wurde viermal hintereinander Schweizer Meister. Ein Rekord immer noch in der Schweiz. YB unter dem deutschen Trainer Albert Sing.
Das Wankdor-Stadion ist das Stadion von YB. Und dieses YB spielte das Spiel, von dem alle finden, es sei der absolute Wankdorf-Hammer – national gesehen – 1959: Europacup (heute Champions League)-Halbfinal YB -Stade Reims 1:0 im Heimspiel. In Reims schied man dann aus.
Hansruedi Schär, der Präsident des Vereins Fussballstadion Wankdorf, dem Verein gehört eigentlich das Wankdorf, holt Bilder, grosse Fotos von diesem denkwürdigen Halbfinal hervor. Da sieht man das Wankdorf prall gefüllt. 60’000 oder mehr und packende Fussballszenen zwischen den damaligen Stars aus Frankreich Just Fontaine, Kopa oder Piantoni und Meier, Wechselberger, Rey und wie sie bei YB hiessen. «Für den Berner», so Hansruedi Schär der älteren Generation, ist YB – Reims das Schlüsselerlebnis.
«Deutschland ist Weltmeister»
Es gibt nicht viele Stadien auf der Welt, in denen ein Final einer Fussball-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Das Berner Wankdorf Stadion gehört dazu. Der Final Deutschland – Ungarn, den Deutschland gegen das favorisierte Ungarn 3:2 gewann, ist der absolute Höhepunkt in der Geschichte des nun 75 Jahre alt gewordenen Wankdorf Stadions.
Das «Tor! Tor! Tor! Tor! Tor für Deutschland!» und das «Aus! Aus!Aus!Aus! Das Spiel ist aus, Deutschland ist Weltmeister!», die Worte welche Radioreporter Herbert Zimmermann ins Nachkriegs-Deutschland schrie, machten auch ihn bekannt und das Stadion dazu.
Fortan war das Wankdorf so etwas wie eine Kultstätte für deutsche Fussballfans. «Dieses Spiel hatte nicht nur sportliche Aspekte, sondern auch politische und wirtschaftliche für Deutschland», sagt Hansruedi Schär. Am 4. Juli 1954 war das «Wunder vom Wankdorf-Stadion» so etwas wie «Seelenbalsam» für Deutschland.
Mit dem Abbruch des Wankdorfstadions verschwindet sozusagen – wie sich ein deutscher Besucher ausdrückte – die Geburtstätte des neuen deutschen Selbstvertrauens. Nicht verwunderlich, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Verschweinden des Wankdors schreib: «Im Gedächtnis der Deutschen wird das Wankdorf-Stadion immer seinen Platz behalten!»
Neben dem WM-Final 1954 fanden auch zwei Europacup-Finals im Wankdorf statt. Der 1961 muss erwähnt werden. Es spielten Barcelona gegen eine kaum bekannte Mannschaft aus Lissabon, Benfica. Benfica Lissabon gewann, dank eines gewissen Eusebio. Sein Stern ging im Wankdorf auf!
Jetzt wird gesprengt
Die Zeit lief weiter. Das Wankdorf blieb stehen. So genügt es mittlerweile den Anforderungen der neuen (Fussball)Zeit nicht mehr. Es muss neu gebaut werden. Noch ein Spiel, YB -Lugano, vor ausverkauften Haus. Dann ein Abschiedsfest, dessen Ablauf noch geheim ist. Aber man wird viel Nostalgie und ehemalige Aktive antreffen, die Wankdorf-Geschichte schrieben. Auch der über 90jährige Erbauer wird noch dabei sein.
Am Montag werden die Strom- und Telefonleitungen abgestellt. Ende Juli will man den Betonbau sprengen. Dann beginnt der Abbruch. Wer noch Souvenirs will, muss sich beeilen.
Gratistipp: die original Kleiderhaken, an denen die deutsche und ungarische Finalmannschaft ihre Kleider daran hängten, sind doch tatsächlich noch in den Garderoben zu finden. Schweizer Qualitäts-Arbeit. Im Herbst 2004 wird wieder im Wankdorf gespielt. Wenn es denn noch so heisst und nicht «Novartis-Arena» oder «Nestlé-Stadion».
«Das Wankdorf ist eine Kultstätte! Für den Berner sowieso. Aber auch für den Schweizer Fussball, ich denke an all die Cup-Finals, die stattgefunden haben. An all die Länderspiele. Aber dann auch für den Weltfussball. WM-Final oder Euopacupfinals», sagt Hansreudi Schär, der Präsident des Vereins Fussballstadion Wankdorf.
Künftig wird das Wort «ist» durch «war» ersetzt werden müssen.
Urs Maurer, swissinfo

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