Sterbehilfe – Ein Entscheid fällt schwer

Weder aktive Sterbehilfe noch eine Verschärfung der bestehenden Regelung. Das Parlament gibt das heikle Dossier der Regierung zurück.
«Mit dieser Diskussion brechen wir ein Tabu, indem wir über den letzten Lebensabschnitt öffentlich nachdenken.» Die Grüne Pia Hollenstein sprach aus, was viele in der Grossen Kammer dachten. Über den Tod und das Sterben sprechen ist schwierig und auch heikel.
Auf die Frage «Wie würden Sie gerne sterben?» lautet die Antwort meistens: schmerzfrei, zu Hause, im Schlaf, plötzlich. Doch Wunsch und Realität klaffen auseinander. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer sterben in Pflegeeinrichtungen – oft nach langem Leidensweg.
Sterbehilfe – die Möglichkeiten
Doch in der Gesellschaft zeigt sich auch ein Umdenken. Immer mehr Menschen wünschen sich im Falle einer unheilbaren Krankheit den Verzicht auf lebensverlängernde Massnahmen und den erlösenden Tod.
In der Schweiz zulässig sind die passive Sterbehilfe (das Unterlassen lebenserhaltender Massnahmen), die indirekte aktive Sterbehilfe (Verabreichung leidensmindernder Mittel, auch wenn die Nebenwirkungen das Leben verkürzen können) und die Sterbebegleitung oder Hilfe bei der Selbsttötung (durch Laien), sofern sie nicht aus selbstsüchtigen Gründen erfolgt.
Sterbehilfe im Parlament
Die jüngere Geschichte des Tabubruchs geht auf einen Vorstoss im Parlament aus dem Jahre 1994 zurück, der Straffreiheit bei der Tötung auf Verlangen forderte. Die verbindliche Motion wurde in ein unverbindliches Postulat umgewandelt und verstaubte in Schubladen. Bis im Jahr 2000 der Bundesrat beschloss, in Sachen Sterbehilfe-Regelung nichts zu ändern und die bestehende «Grauzone» zu tolerieren.
Um Licht in diese Grauzone zu bringen, lancierte der sozialdemokratische Nationalrat und Krebsarzt Franco Cavalli eine Parlamentarische Initiative, die Straffreiheit für aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen verlangte. Eine Liberalisierung zwar, jedoch keine Legalisierung. Parallel dazu forderte die Freisinnige Dorle Vallender die straflose Beihilfe zum Freitod strenger zu regeln.
Beide Initiativen waren erfolglos. Hingegen hiess der Rat einen verbindlichen Vorstoss gut, der Gesetzeslücken bei den heute tolerierten Formen der Sterbehilfe schliessen will.
Sterbe-Tourismus
Die Diskussion wurde im Vorfeld der parlamentarischen Debatte aus dem In- und Ausland angeheizt. Abgeordnete erhielten nicht nur dicke Argumentarien von Lobbyisten, sondern auch persönliche Briefe.
«Schreibe Ihnen aus Deutschland und bitte Sie herzlich und innig, nehmen Sie mir nicht die Hoffnung, auch weiterhin in der Schweiz Sterbehilfe zu bekommen», schreibt eine Frau in altmodischer Schrift. In Deutschland habe sie keine Möglichkeit freiwillig, aber unterstützt zu sterben. Oder aber sie würde andere Mittel wählen, «d.h. von einer Brücke stürzen, Rasierklinge zwecks…».
In Deutschland blockiert die Erinnerung an die Euthanasie-Morde der Nazis die Diskussion um Sterbehilfe. Über aktive Sterbehilfe werde kaum gesprochen, bestätigt die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben. Passive und indirekte aktive Sterbehilfe sind jedoch straffrei, sofern die Person der Massnahme zugestimmt oder sie gewünscht hat. Wer in Deutschland jedoch einem Freitod assistiert, muss damit rechnen, wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft zu werden.
Liberale Niederlande und offene Schweiz
Anders in den Niederlanden, wo seit April die ärztliche aktive Sterbehilfe unter restriktiven Bedingungen straffrei ist. Bedingungen: Der Wunsch des Patienten muss unbeeinflusst, ausdauernd und konstant, das Leiden unheilbar und ohne Hoffnung auf Besserung sein. Zudem müssen die Meinung eines zweiten Arztes eingeholt und ein detaillierter Bericht zuhanden einer Kommission verfasst werden. Der Arzt muss den Patienten kennen und der Zweitarzt speziell ausgebildet sein. Die Kommission überprüft den Fall nachher auf seine Rechtmässigkeit.
Zurück in die Schweiz, zurück auf die Politbühne: Das Tabu wurde angeknackt, doch nicht gebrochen. Das heikle Dossier liegt einmal mehr beim Bundesrat – immerhin verbindlich. Trotzdem ist das Thema aktive Sterbehilfe für längere Zeit wieder vom Tisch. Doch mit den Grauzonen lässt sich in der Schweiz gut leben – besser als mit Extremen.
Rebecca Vermot

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