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Amerikanische Liebe für die italienische Schweiz

Bilder aus dem fernen Tessin (Botta-Gebäude bei Lugano) an der Konferenz in Philadelphia. swissinfo.ch

Die Identität der italienischen Schweiz stand im Zentrum einer internationalen Konferenz an der Pennsylvania University in Philadelphia, die zu den renommiertesten Universitäten der USA gehört.

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Vielsprachigkeit

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Von Vielsprachigkeit eines Landesteils oder eines Staates spricht man, wenn dort mehrere Sprachen gesprochen werden. Die Schweiz mit ihren vier Landessprachen ist ein Lehrbuch-Beispiel eines vielsprachigen Landes. Deutsch sprechen 63,7% der Bevölkerung, Französisch 20,4%, Italienisch 6,5% und Rätoromanisch 0,5%. 9% der Bevölkerung geben eine ausländische Sprache als Muttersprache an. Die Vielsprachigkeit findet sich auch in…

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Warum Philadelphia? Dies hängt mit der Liebe des amerikanischen Geschichtsprofessors Jonathan Steinberg für die kleine Schweizer Region zusammen. Und mit dem Zufall, der den Italienischprofessor Fabio Finotti an die Universität in Philadelphia brachte, wo Steinberg bereits lehrte.

Steinberg kennt die Schweiz gut. In erster Ehe war er mit einer Frau verheiratet, deren Familie aus Luzern stammt. Seit mehr als 30 Jahren bereist er das Land nun schon und verfolgt auch dessen politische Entwicklung.

1976 veröffentlichte er das Buch “Why Switzerland?” Es befasste sich mit den Fragen, warum es die Schweiz überhaupt gibt und weshalb sich auch Ausländer für das Land interessieren sollten. Eine dritte überarbeitete Ausgabe kommt voraussichtlich 2009 auf den Markt.

Die Brücke in Ponte Tresa

Warum nun eine Konferenz über die italienische Schweiz? “Die Region fasziniert mich seit 1972”, erläutert Steinberg gegenüber swissinfo seine Beweggründe. “Bei meinem ersten Besuch wurde ich nach der Fahrt durch den Gotthard-Tunnel von dieser tropisch anmutenden Schweiz überrascht.”

Später sei er an einem Sonntag mit dem “Trenino” von Lugano nach Ponte Tresa gefahren und dort über die Brücke an der Grenze zu Italien gegangen. Dabei habe er eine grosse Diskrepanz zwischen zwei Welten festgestellt.

Auf einer Seite der Brücke die Schweiz, wo alle Läden geschlossen, alles herausgeputzt und sauber war, auf der andern ein reges Durcheinander, eine im Vergleich chaotisch, etwas anarchisch anmutende Atmosphäre.

Diese Diskrepanz habe in ihm das Interesse und letztlich eine Faszination für die italienische Schweiz ausgelöst. Es sei ihm aber bewusst, dass sich seither Einiges verändert habe. Vieles, was man über die italienische Schweiz hört und sagt, sei von Klischees geprägt.

Interessanter Mikrokosmos

Die Idee zu einer Konferenz habe er seit Jahren mit sich herumgetragen. Dieses Gebiet, in dem man italienisch spreche, das aber Teil der Schweiz sei, seine Geschichte, die politische Struktur und Kultur seien es wert, genauer betrachtet zu werden. “Die Fragen, die sich stellen, sind auch politisch relevant.”

Das Tessin und der italienischsprachige Teil Graubündens, Minderheiten in der viersprachigen Eidgenossenschaft, seien in der Zeit der Globalisierung ein interessanter Mikrokosmos, in dem sprachliche und kulturelle Grenzen nicht mit nationalen Grenzen übereinstimmten.

Dies könne in der heutigen Zeit für die Zukunft der zentralistisch geprägten Europäischen Union in Bezug auf den Umgang mit sprachlichen und anderen Minderheiten von Interesse sein.

Dass es in den Beziehungen zwischen dem Tessin und der Regierung in Bern, aber auch innerhalb des Kantons Spannungen und Meinungsverschiedenheiten gibt, ist Steinberg klar. Bei all seinem Enthusiasmus verliert er nicht den Blick für die Realität.

Doch grundsätzlich sei der Ansatz der föderalistischen Politik, die Bürgern und Bürgerinnen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene die Möglichkeit der Mitsprache gebe, das Prinzip der Demokratie von “unten nach oben”, wie sie in der Schweiz praktiziert werde, ein gutes Beispiel dafür, wie man Probleme der heutigen Zeit politisch angehen könne.

Teil eines grösseren Programms

Als Finotti nach Philadelphia kam, fand Steinberg einen “Verbündeten” für seine Idee einer Konferenz. Finotti, engagierter Vertreter einer Italianità, die über die politischen Grenzen Italiens hinausgeht, ist heute Direktor des Center for Italian Studies der Universität Pennsylvania.

Dieses organisierte denn auch die Konferenz in Philadelphia in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung der italienischen Sprache und Literatur (AISLLI).

Das Center for Italian Studies hat für die nächsten Jahre ein Programm, das weitere Veranstaltungen zur italienischen Identität umfasst. Ein Höhepunkt ist 2009 ein internationaler Kongress über “Italienische Sprache, Kultur und Identität”.

Im Rahmen dieses Programms nimmt die italienische Schweiz einen besonderen Platz ein. Sie ist nach Angaben der Organisatoren ein gutes Beispiel für Reichtum, Komplexität und Vitalität jener Regionen, in denen die italienische Kultur und Sprache die politischen Grenzen Italiens überqueren und sich mit anderen Traditionen treffen.

Die Referate der Philadelphia-Konferenz, die sich mit Geschichte, Politik, Wirtschaft, Sprache, Literatur, Kunst und Architektur befassten, werden für ein breiteres Publikum in Buchform veröffentlicht.

Liebe für die Literatur

Neben seinem Interesse für die politischen Strukturen zeigt Steinberg eine grosse Begeisterung für die Literatur der italienischsprachigen Schweiz. Höhepunkt in Philadelphia war für Steinberg denn auch der Beitrag eines Schriftstellers.

Giovanni Orelli hatte über den bedrohten Dialekt des Bedretto-Tals gesprochen. Und wie er Gedichte von Dylan Thomas oder Emily Dickinson in diesen Dialekt übertrug. “Fantastisch war das”, begeistert sich Steinberg.

“Die italienische Schweiz ist noch komplexer und subtiler, als ich dachte. Und vor allem kulturell unglaublich interessant.”

swissinfo, Rita Emch, Philadelphia

An der Konferenz haben Tessiner und Schweizer sowie amerikanische und italienische Vertreter und Vertreterinnen aus Politik, Kultur, Wissenschaft, Architektur, Wirtschaft und Literatur verschiedenste Facetten der italienischen Schweiz erörtert und damit für einen breit gefächerten Einblick in die Region gesorgt.

Angereist aus der Schweiz waren unter anderem die Tessiner Regierungspräsidentin Patrizia Pesenti und der Tessiner Ständerat Filippo Lombardi, der frühere Direktor der Radio Televisione Svizzera di Lingua Italiana (RTSI), Remigio Ratti, die Historiker Georg Kreis und Carlo Moos sowie der Architekt Mario Botta.

Für das grösste Publikumsinteresse sorgte der Auftritt des Schweizer Architekten Mario Botta. Dieser sprach über seine Philosophie als Architekt und darüber, wie es zur Gründung der Universität der Italienischen Schweiz 1996 gekommen war, ein Projekt, an dem er massgeblich beteiligt gewesen war.

Daneben präsentierte Botta rund ein Dutzend seiner früheren Berufskollegen aus dem Ticino im Verlauf der Jahrhunderte.

Darunter Domenico Fontana (Obelisk, St. Petersplatz in Rom), Domenico Trezzini (Peter- und Pauls-Kathedrale in St. Petersburg), Francesco Borromini (San Carlino, Rom) und der als Vater der modernen Tessiner Architektur geltende Rino Tami (1908-1994).

Architekten seien Weltenbürger, sagte Botta. Die Sprache der Architektur überwinde geografische und politische Grenzen.

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