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Berliner Alphornklänge in der Walpurgisnacht

Auf dem Berliner Hahneberg gibt es zwar kein Echo, doch auch hier hallen die Alphornklänge weit. zVg

Seit vier Jahren treffen sich in der Walpurgisnacht Alphornbläser auf dem Berliner Hahneberg, um den Mai zu begrüssen. Doch wer meint, ein paar Schweizer hätten hier im Sinn, folkloristische Klischees zu bedienen, täuscht sich.

Auf den ersten Blick mag die Veranstaltung kurios anmuten: Vom 29. April bis zum 1. Mai 2011 fand in Berlin das 1. Berliner Alphornfestival statt. Alphörner im flachen Berlin? Alpenromantik ist vermutlich das letzte, womit man in Berlin die Walpurgisnacht assoziieren würde.

Doch wer nun denkt, ein paar in Berlin ansässige Schweizer würden hier ein bisschen Folklore betreiben und helvetische Klischees bedienen, irrt sich. Denn erstens stammen die Bläserinnen und Bläser, die sich dieses Jahr am 30. April abends auf dem Hahneberg versammelt haben, zum grössten Teil aus Berlin. Und zweitens ist das Alphornblasen gar keine ausschliesslich schweizerische Tradition.

Vorgänger des Alphorns gab es überall auf der Welt

“Hölzerne Naturhörner, wie das Alphorn eins ist, gab es bei allen Hirtenvölkern – von Schweden über Rumänien und die Karpaten bis nach Nepal”, sagt Ma-Lou Bangerter. Die Schweizerin, die seit über 30 Jahren in Berlin lebt, spielt selbst Alphorn und leitet unter anderem die Alphorngruppe Heitere Fahne.

Und Traugott Forschner, der Trompete und Alphorn spielt und ebenfalls mit Heitere Fahne auftritt, ergänzt: “Eine wirkliche Schweizer Alphorntradition, so wie sie heute transportiert wird, gibt es nicht.

Das Alphorn bzw. seine Vorgänger haben überall zu folkloristischen Werten beigetragen, bis hin zum Didgeridoo in Australien und nach Südamerika. So gesehen gehört das Alphorn genauso nach Berlin wie in die Berge.”

Eine Berliner Alphorntradition

Tatsächlich gibt es in Berlin nicht nur eine ganze Reihe Alphornbläser, sondern auch viele Alphorn-Begeisterte und sogar einen Alphornbauer. Die Idee, auf dem Berliner Hahneberg ein Alphorntreffen zu veranstalten, hatten Bangerter und Forschner vor vier Jahren. “Wir wollten ein Ritual schaffen und in die Natur rausgehen”, erzählt Forschner.

Drei Jahre lang trafen sich so in der Walpurgisnacht ein gutes Dutzend Alphornbläser aus Berlin auf dem immerhin 87 Meter hohen Berg am westlichen Stadtrand, um den Frühling zu begrüssen.

Doch nicht nur sie empfanden dieses Ritual als eine angenehme Abwechslung zu den Mai-Krawallen in den Innenbezirken der Stadt. Jedes Jahr kamen auch mehr und mehr Berliner, um den Alphornklängen zu lauschen – das Alphorntreffen hatte sich herumgesprochen.

In diesem Jahr haben Bangerter und Forschner zusammen mit den anderen Ensemble-Mitgliedern von Heitere Fahne das 1. Berliner Alphorn-Festival organisiert und dazu den international bekannten Alphornbläser Balthasar Streiff eingeladen.

Im Rahmen des Festivals fanden – neben dem Alphorn-Event auf dem Hahneberg – zwei von Streiff geleitete Alphorn-Workshops, ein Symposium sowie ein Konzert in einer Kirche in Berlin-Spandau statt.

Weg vom Touri-Image

Um Folklore oder Alpenromantik geht es bei all dem überhaupt nicht. Im Gegenteil: sowohl den Mitgliedern von Heitere Fahne als auch Streiff ist daran gelegen, die Alphornmusik aus der Ecke herauszuholen, in die sie durch die Popkultur und ihr Tourismus-Image gedrängt wurde.

“Das Alphorn ist im 19. und 20. Jahrhundert von der Tourismus-Branche ganz bewusst als ein Teil der Schweizer Identität inszeniert worden”, so Streiff. “Im 19. Jahrhundert gab es in der Schweiz gar keine Alphornspieler mehr, genau so wenig wie Steinböcke. Und so wie wir es heute kennen – ganz gerade und industriell gefertigt – existiert das Alphorn erst seit gut 50 Jahren.”

Streiff unterrichtet unter anderem eine Alphornklasse an der Hochschule Luzern und ist Gründer des Alphornquartetts hornroh, dessen Repertoire viele moderne und zeitgenössische Stücke umfasst. Mit hornroh ist Streiff schon öfter in Berlin aufgetreten.

Die Konzerte seien immer randvoll gewesen, erzählt er. “Das hat sicher auch etwas mit Berlin zu tun. Hier gibt es viele Leute, die das Ausgefallene suchen und frei im Geist sind”, sagt Streiff.

In Veranstaltungen wie dem Berliner Alphorn-Festival sieht Streiff daher das Potential, die Alphornmusik von ihrem “Touri-Image” zu befreien. “Wer weiss, vielleicht ist das hier in fünf Jahren eine richtig grosse Sache”, meint er.

Alphornklänge mit Blick auf Berlin

Auch dieses Jahr sind immerhin schon rund 200 Zuhörer zum Hahneberg gekommen und lauschen bei Sonnenuntergang zwei Stunden lang den Klängen, die in Ohren und Kopf vibrieren und vom Hang herab weit über den Wald hinweg hallen.

“Das ist eine tolle Mischung: Der Blick auf die Rapsfelder und den Wald – und hinterm Berg voll Berlin”, sagt die Berlinerin Christiane Schmidtke, die extra wegen der Alphörner gekommen ist, bislang aber noch nie eins gehört hatte. “So haben wir uns heute das Flugticket in die Schweiz gespart.”

Mit der Schweiz wird das Alphorn wohl trotz allem immer in Verbindung gebracht werden. Dabei ist Streiff bei seinen Forschungen unter anderem auf ein Bild gestossen, einen Stich, der im Vordergrund eine Landschaft zeigt, auf einer Wiese einen Schafhirten mit Herde und im Hintergrund die Silhouette einer Stadt. Mitten auf der Wiese: eindeutig ein Alphorn. Der Stich ist betitelt: “Blick auf Berlin, um 1780.”

Die Alphorn-Gruppe “Heitere Fahne” besteht seit etwa 15 Jahren in Berlin. Gegründet hat sie die Schweizerin Ma-Lou Bangerter. Weitere Mitglieder sind Werner Lützow, Traugott Forschner und Karsten Zimmermann.

Heitere Fahne gibt Konzerte in und ausserhalb Berlins und tritt ausserdem bei unterschiedlichen Veranstaltungen wie z.B. dem “Karneval der Kulturen” oder der Landwirtschaftsmesse “Grüne Woche” auf.

Das Alphorn gilt als Nationalsymbol der Schweiz, hölzerne Naturhörner gab es aber in vielen Teilen der Welt. Alphörner haben keine Klappen, Züge oder Ventile und erzeugen daher nur sogenannte Naturtöne.

Traditionell wurden Alphörner aus einer am Hang gewachsenen Fichte gefertigt – daher die charakteristisch gebogene Form –, die innen ausgehöhlt und dann mit Rohr oder Rinde umwickelt wurden.

Sie waren unterschiedlich lang und so krumm, wie die Fichte eben gewachsen war. Heute werden die meisten Alphörner industriell hergestellt und sind daher einheitlich und gerade.

Der Berliner Bert Pakowski stellt Alphörner heute noch komplett in Handarbeit her.

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