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Auf Patrouille in Hebron

Stefano Berti, einer von fünf Schweizern, die für TIPH in Hebron arbeiten. Christian Walther

Hebron gilt als Brennpunkt des Nahostkonflikts. Hier leben einige Hundert jüdische Siedler unter Tausenden von Palästinensern. Dazwischen patrouillieren die Beobachter der TIPH, der Temporären Internationalen Präsenz. Zu ihnen gehört auch der Schweizer Stefano Berti.

Hebron gilt als eine der schönsten Städte des Nahen Ostens. Und sowohl Juden wie Muslimen ist sie heilig. Hier liegen Abraham, der Stammvater der drei monotheistischen Religionen, seine Frau Sarah und deren Sohn Isaak begraben.

Über dem sogenannten Machpela-Grab stehen seit Hunderten von Jahren eine Synagoge und eine Moschee, die ein einziges Gebäude bilden: Der Haram Al-Khalil oder das Grab der Patriarchen. 1994 hatte der jüdische US-Amerikaner Baruch Goldstein hier ein Massaker unter betenden Muslimen verübt, bei dem 29 Menschen starben und über 200 verwundet wurden.

Heute ist die Stadt in zwei Zonen unterteilt. H1 untersteht der Palästinensischen Autonomiebehörde und wird von rund 140’000 Palästinensern bewohnt, H2 wird von der israelischen Armee kontrolliert und von rund 500 israelischen Siedlern und 30’000 Palästinensern bewohnt.

Überall dort, wo sich H1 und H2 berühren, gibt es besonders viele Checkpoints und “Vorfälle”, wie die Frauen und Männer der Temporären Internationalen Präsenz (TIPH) dies nennen.

Die “Vorfälle”

Stefano Berti (35) ist einer von fünf Schweizern, die zur Zeit für die TIPH arbeiten. “Ein Vorfall”, erklärt er, “ist alles, was gegen das 1997 von den Vertragsparteien, also Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde, ausgehandelte Protokoll verstösst: Von verbalen Beschimpfungen über illegale Bautätigkeit bis zu Angriffen auf Leib und Leben.”

Berti war in Kambodscha, Ruanda und Georgien tätig, bevor er Anfang Jahr nach Hebron zur TIPH wechselte. Inzwischen leitet der Tessiner die Abteilung RAI, was für Research, Analysis und Information steht.

Damit ist er einer der wenigen, die nicht als Beobachter arbeiten. Für swissinfo.ch macht er aber eine Ausnahme und nimmt uns mit auf einen Rundgang durch Hebron.

Auf Patrouille

Die Mitarbeiter der TIPH tragen eine graue Uniform mit blau-roten Ärmeln, patrouillieren zu zweit oder zu dritt durch die beiden Sektoren und sind unbewaffnet. Wenn etwas geschieht, wird es registriert und der Partei unterbreitet, die gegen das Protokoll verstossen hat.

Auf unserem Rundgang entdecken Berti und seine schwedische Kollegin Marie Anell Männer, die Zementsäcke in ein altes Haus tragen.

Für den ahnungslosen Besucher ist dies nichts Aussergewöhnliches, doch ein Mitarbeiter der TIPH weiss, dass das Haus zwar in H2 steht, also im israelisch kontrollierten Sektor, aber Palästinensern gehört, die vertrieben worden waren und jetzt, falls der Verdacht der Bautätigkeit sich erhärten sollte, möglicherweise von Israelis in Besitz genommen wird, was ein “Vorfall” wäre und gegen das Protokoll von 1997 verstossen würde.

Nicht alle “Vorfälle” werden publik, aber immer wieder sorgen einige für Schlagzeilen. In einer Strasse der Altstadt leben jüdische Siedler auf dem Dach von Palästinensern.

Selbstverständlich nicht im selben Haus, aber so, dass diejenigen, die oben leben, auf jene, die unten leben, spucken oder Steine, Möbel oder Eimer mit Exkrementen werfen können. Oder – wie in einem anderen Fall – Wasserflaschen mit ätzender Säure auf spielende Kinder.

Jüdisch seit 3700 Jahren

Seit mehr als drei Jahrtausenden wohnen in Hebron Juden und Araber meist friedlich nebeneinander. 1929 aber verübten arabische Nationalisten ein Massaker unter der jüdischen Bevölkerung. 67 Tote und fast 100 Verwundete waren zu beklagen.

Der damaligen britischen Mandatsbehörde war die Präsenz beider Religionen in Hebron daraufhin zu gefährlich, und so musste 1936 der letzte Jude die Stadt verlassen.

1968 – ein Jahr nach der israelischen Rückeroberung der West Bank von Jordanien – kamen dann die ersten Neusiedler aus den USA, die seither ihre Präsenz in Hebron auf geschätzte 500 Personen verstärken konnten. Beschützt werden sie von Soldaten der israelischen Armee, deren Anzahl jene der Siedler bei weitem übersteigt.

Als wir im Sektor H2 an einer Gruppe amerikanischer Touristen vorbeigehen, werden die beiden Beobachter mit zynischem Unterton gefragt, ob sie diejenigen seien, die den Frieden aufrecht erhalten würden.

“Wir versuchen es”, entgegnet Berti freundlich. Doch konstatiert er, der Kontakt zu den jüdischen Siedlern sei trotz langjähriger Präsenz der TIPH nach wie vor schlecht. Einladungen zum Dialog werden oft ignoriert, manchmal werden die Mitarbeiter beschimpft.

Faszination Naher Osten

Ja, das Frustrationspotential könne hoch sein, meint Stefano Berti. Doch das Mandat sehe nun mal keinen Polizeieinsatz, sondern lediglich eine Präsenz von Beobachtern vor. Als 2002 eine Schweizerin und ein Türke bei ihrem Einsatz erschossen wurden, war die Mission zumindest kurzzeitig gefährdet.

“Das wichtigste Ziel unseres Mandats lautet, den Palästinensern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Das versuchen wir, und sei es auch nur durch die blosse Präsenz unserer Beobachter in den Strassen.”

Und durch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, wie zum Beispiel dem Roten Halbmond, dessen Mitarbeiter die Beobachter der TIPH bei der Durchführung eines Kinderfests in der Altstadt unterstützen.

Stefano Berti ist ob der vor Freude kreischenden Kinder sichtlich begeistert. Und auf die Frage, was er denn mache, wenn sein Arbeitsvertrag Ende Jahr ausläuft, meint er: “Der Nahe Osten hat mich schon immer interessiert. Ursprünglich wollte ich für die Vereinten Nationen (UNO) nach Gaza gehen. Und jetzt, wo ich schon mal hier bin, würde ich eigentlich gerne in der Region bleiben.”

Christian Walther, Hebron, swissinfo.ch

Die Temporäre internationale Präsenz existiert in ihrer heutigen Form seit 1997.

Sie ist die Folge einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, die unmittelbar nach dem Massaker in der Ibrahimi (Abraham) Moschee 1994 in Hebron gefasst wurde.

Basierend auf einer Übereinkunft zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (damals PLO) stellen sechs Staaten – Norwegen, Schweden, Dänemark, Italien, die Türkei und die Schweiz – der TIPH Personal und Logistik zur Verfügung.

Geleitet wird die Mission von Norwegen. Ähnlich wie bei UNO-Missionen muss das Mandat alle sechs Monate von den Vertragsparteien neu erteilt werden.

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