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Deutschland ärgert die Schweiz

Kontrahenten: Der Schweizer Finanzminister und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Keystone

Dass der Deutsche Staat eine CD mit gestohlenen Daten von 1500 mutmasslichen Steuersündern kaufen will, stellt die Schweizerisch-Deutsche Freundschaft massiv in Frage. Es handle sich um einen Eingriff in die schweizerische Souveränität, sagt Strafrechtsexperte Mark Pieth.

“Was wir hier vor uns haben, das ist der Übergriff eines Staates auf einen andern Staat. Das ist die eigentliche Problematik”, sagt der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth gegenüber swissinfo.ch. Pieth gilt seit Jahren als profilierter Kritiker des schweizerischen Bankgeheimnisses.

“Man muss sich davor hüten, zu sagen, die Schweiz habe nicht korrekt gehandelt. Das mag alles stimmen, aber darum geht es nicht. Es geht um die Frage, wie Rechtsstaaten miteinander umgehen”, so Pieth weiter.

Die Schweiz schütze die deutschen Steuerhinterzieher und zerstöre damit das Vertrauen Deutschlands, kritisiert hingegen der ehemalige deutsche Finanzminister Hans Eichel.

Es sei nicht ganz einfach für die Schweiz, “mit dem erhobenen Zeigefinger auf Rechtsstaatlichkeit zu pochen – das wirkt nicht unbedingt nur glaubwürdig”, sagt der Freiburger Staatsrechtler Peter Hänni mit Blick auf die Geschäfte der Schweizer Banken mit Steuerflüchtlingen aus Deutschland und andern Staaten.

Zur Selbstanzeige zwingen

Mark Pieth hingegen kritisiert, Deutschland handle auf einer Ebene, die zu einer Verrohung der Verhältnisse führe. Das Handeln sei vergleichbar mit China, das Hacker unterstütze, die in das US-Wirtschaftsministerium eindringen. “Sich mit einer Güterabwägung in einen Staatsnotstand zu retten, halte ich für völlig inkorrekt”, so Pieth.

Die Schweiz müsse sich davor hüten, Deutschland Amtshilfe zu gewähren, wenn es aufgrund der Daten auf der CD zu Gerichtsfällen käme, sagt Pieth. “Vielfach sind die gekauften Informationen nicht ausreichend für einen Gerichtsfall. Das heisst, Deutschland ist darauf angewiesen in einer Art Drohgebärde den Leuten aufgrund der Informationen auf der CD mit Konsequenzen zu drohen und sie zur Selbstanzeige zu zwingen.”

Datendieb ausliefern

Die bürgerlichen politischen Parteien verurteilen das Vorgehen Deutschlands als “Kriegserklärung” oder als “Skandal”. Für die Linke ist es “inakzeptabel”.

Der Christdemokrat und Präsident der aussenpolitischen Kommission des Ständerates, Eugen David, betont, dass noch kein endgültiger Entscheid gefallen sei und setzt deshalb auf den Dialog mit Deutschland. “Natürlich sind wir der Meinung, dass ein Straftäter, der Daten stiehlt aufgrund der Amtshilfeabkommen ausgeliefert werden muss”, sagt David gegenüber swissinfo.ch. “Zudem darf das gestohlene Gut nicht für andere Zwecke verwendet werden.”

Die freisinnige Präsidentin der aussenpolitischen Kommisssion des Nationalrates bezeichnet das Vorgehen Deutschlands als “besorgniserregend” und zeigt sich erstaunt darüber, dass die CDU/FDP Koalition nun die Wortwahl und die Steuerpolitik ihrer Vorgängerin übernehme. “Da kann man sich durchaus fragen, was der Machtwechsel eigentlich bewirkt hat.”

Die Schweiz und Deutschland teilten “gemeinsame Rechtsauffassungen” und die Schweiz habe sich dem Anliegen Deutschlands nach Rechtshilfe auch bei Steuerhinterziehung nicht verwehrt, sagt Christa Markwalder und verweist auf das neue Doppelbesteuerungsabkommen, über das die beiden Staaten zurzeit verhandeln. Soweit wie die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei, die ein Aussetzen der Verhandlungen verlangt, will Markwalder nicht gehen. Die Frage, ob die Schweiz das tun solle, bezeichnet sie als “legitim”.

Populistische Illusion?

Er sei dagegen, jetzt damit zu drohen, die Schweiz wolle die Verhandlungen abbrechen, sagt Eugen David: “Das Doppelbesteuerungsabkommen ist für beide Länder wichtig. Mir ist es lieber, wir handeln aufgrund klarer Grundlagen.” Grundsätzlich sei es eine Illusion zu glauben, dass Deutschland seine Probleme mit der Steuerflucht lediglich mit mehr Amtshilfe aus der Schweiz lösen könne. Die Leute werden sich unabhängig von der Schweiz neue Orte suchen, wo sie dem Steuerdruck ausweichen können”, so David.

Die Schweiz dürfe jetzt weder Deutschland zum Feind erklären, noch klein beigeben, sagt Pieth: “Ich kenne eine ganze Gruppe von Kollegen in Frankfurt, die bereit sind, sehr offensiv gegen diese Art von Einstellung vorzugehen. Man muss den Dialog mit jenen Leuten suchen, die bereit sind, die Bundesregierung zu kritisieren.”

Erschwerend sei allerdings, dass “wir in einer populistischen Phase sind. Frau Merkel ist nicht mehr sehr stabil und versucht, sich auf solchen Wegen noch einen Rest von Popularität zu erhalten.”

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat den Ankauf der gestohlenen Steuerdaten aus der Schweiz offenbar freigegeben. “Im Prinzip ist die Entscheidung gefallen”, sagte Schäuble der Augsburger Allgemeinen laut Vorabbericht vom Dienstag.

Der Fall sei rechtlich ähnlich gelagert wie die Affäre um Liechtensteiner Stiftungskonten vor zwei Jahren, bekräftigte er seine Position vom Montag. “Wir konnten deshalb gar nicht anders entscheiden.”

Schäuble verwies darauf, dass in den fast 200 Prozessen nach der Liechtenstein-Affäre kein einziges Gericht die damals gekauften Kontodaten als Beweismittel verworfen habe.

Bundesrat Didier Burkhalter hat im Zusammenhang mit der Steuersünder-CD von einem Angriff gegen die Schweiz gesprochen.

Er erklärte, es gehe nun darum, die Beziehungen der Schweiz zu ihren Nachbarn zu stabilisieren.

Deutschland sei sehr wichtig für die Schweiz, sagte der Innenminister.

Es wäre bedauerlich, wenn sich die in den vergangenen Wochen sehr gute Atmosphäre verschlechtern würde. Der Konflikt mit Deutschland – dem wichtigsten Wirtschaftspartner der Schweiz – müsse deshalb so rasch als möglich beigelegt werden.

Schlüssel dazu ist laut Burkhalter das neue Doppelbesteuerungs-Abkommen, in dem die Schweiz sich verpflichtet, bei Steuerhinterziehung Amtshilfe zu leisten.

Weiter wollte sich Burkhalter nicht äussern. Der Gesamtbundesrat wird das Thema an seiner Sitzung vom Mittwoch, 3. Februar behandeln.

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