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Für Tschetschenen ist Fussball mehr als Spiel

Zwei Terek-Fans in Moskau entrollen ein Schriftband. (Alexandra Stark) Alexandra Stark

1:1 endete am Donnerstag das UEFA-Cup-Hinspiel zwischen dem russischen Cup-Sieger, dem Zweitligisten Terek Grosny, und dem FC Basel in Moskau.

Die tschetschenischen Fans hoffen nun auf ein Wunder in Basel, denn Fussball ist für sie mehr als nur ein Spiel.

Am Ende war Ruslan Ibraimow dann doch zufrieden. «7:0 gewinnen wir», hatte er prophezeit. «Nicht weil wir besser sind, nein, schau mal, die sind ja nach fünf Minuten schon müde!», zeigt er mit dem Finger auf die Spieler seiner Mannschaft.

«Für uns hier ist das nicht Fussball, das ist viel mehr!», sagt der 35-jährige Tschetschene, der vor zehn Jahren wegen dem Krieg in Tschetschenien nach Moskau geflohen ist.

«Für euch in der Schweiz ist Fussball eine schöne Nebensache», erklärt er, während die Fans ihre Mannschaft lauthals unterstützten. Selbst wenn der Ball verloren geht, wird geklatscht: «Los, weiter!», heisst es dann.

Einzige Quelle der Freude: Fussball

«Für uns hingegen ist Terek Grosny das einzige, was uns Freude bereitet!», erzählt Ruslan. «Das kann man vielleicht nicht verstehen, wenn man aus der Schweiz kommt. Mein Haus in Grosny ist ausgebombt. Viele meiner Verwandten sind tot. Ich lebe hier in Moskau als Illegaler im eigenen Land, wir dürfen nicht wohnen, wo wir wollen. Arbeit zu finden ist für uns unmöglich», erklärt er.

«Kannst du dir jetzt vorstellen, was das heisst, wenn der Zweitligist Terek Grosny dann Cup-Sieger wird? Und immerhin 1:1 gegen den FC Basel spielt?»

Terek Grosny spielt erst seit 2001 wieder. Als 1994 russische Truppen einmarschierten, um dem tschetschenischen Traum nach Unabhängigkeit ein Ende zu bereiten, brach in den Kriegswirren auch der Spielbetrieb zusammen.

Club-Aufbau nach 2001: Kadyrow-Vater und -Sohn

2001 baute der kremltreue Verwaltungschef und spätere Präsident Tschetscheniens, Achmat Kadyrow, den Club wieder auf – als Zeichen der Normalisierung der Verhältnisse in der abtrünnigen Kaukasusrepublik. Finanziert wird Terek via Tschetscheniens Budget vom Kreml, durch Sponsorengelder der russischen Ölfirma Rosneft und durch private Spenden.

Kadyrow wurde am 9. Mai 2004 bei einer Militärparade von einer Bombe getötet. Nachfolger als Club-Präsident ist der 28-jährige Ramzan Kadyrow. Kadyrow junior führt in Tschetschenien eine gefürchtete Bande von Milizen an. Weil er und seine Truppe aber auf die Seite des Kremls stehen, hat er in Tschetschenien freie Bahn.

Fast 1 Sicherheitskraft auf 2 Zuschauer

Von einem Aufgebot von 1100 Sicherheitskräften begleitet, verfolgten die 2900 Zuschauer das Spiel im Moskauer Lokomotiv-Stadion. Von den rund 100’000 Tschetschenen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Moskau geflohen sind, haben sich nur wenige ins Stadion gewagt.

Aus dem 2000 Kilometer entfernte Tschetschenien sind nur vereinzelte extra angereist. «Unsere Leute sehen sich das Spiel lieber von zu Hause am Fernsehen an», sagt Ruslan. «Wir Tschetschenen, oder wie die Leute hier sagen, Schwarzärsche, werden immer und überall kontrolliert und bedroht. Nach den Anschlägen ist das noch schlimmer geworden», sagt er.

«Vielleicht verprügeln sie mich auf dem Nachhauseweg wieder», zuckt er mit den Schultern und fängt dann an zu strahlen: «Aber wenn meine Mannschaft spielt, muss ich einfach hin!»

Rassistische Übergriffe gegen Menschen aus dem Kaukasus gehören in Moskau zur Tagesordnung. Nach der Terrorserie der vergangenen Wochen ist die Zahl der Übergriffe weiter massiv gestiegen. Viele der tätlichen Angriffe werden von der Polizei selbst verübt.

«Wir können weiter träumen», sagt Ruslan und schliesst sich dem Kommentar von Terek-Trainer Wail Talgajew an, der über das Rückspiel vom 30. September in Basel sagt: «Es ist noch alles offen».

swissinfo, Alexandra Stark

Die Mannschaft von Terek Grosny stammt aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Süden Russlands.

Seit bald zehn Jahren befindet sichTschetschenien in kriegsähnlichem Zustand. Zehntausende sind dabei schon umgekommen, darunter viele Zivilisten.

Die Mannschaft wird vom Kreml finanziert und soll Normalität vorgaukeln.

Der Konflikt ist aber bis heute ungelöst, obschon die russische Führung von Normalität spricht.

Das Spiel konnte deshalb nicht in Grosny durchgeführt werden, sondern in Moskau.

Der FC Basel und der russische Cupsieger Terek Grosny haben sich im Uefa-Cup Hinspiel in Moskau 1:1 getrennt.
Das Rückspiel findet am 30. September in Basel statt.
Der Zweitligist Terek Grosny war am 29. Mai überraschend russischer Cupsieger geworden.

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