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“Ich bin nicht der Souffleur der Präsidentin”

Roberto Balzaretti: "Der Botschafter von heute ist nicht mehr Informant, sondern Analyst." swissinfo.ch

Der Kabinettschef von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey verlässt nach 16 Jahren die Bundesverwaltung - eine Gelegenheit, um hinter die Kulissen der Schweizer Diplomatie zu schauen.

Roberto Balzaretti (42) hat sich im diplomatischen Korsett stets wohl gefühlt. Dies half ihm, auch schwierige Themen elegant anzupacken, wie er im Interview sagt.

Roberto Balzeretti empfängt uns in seinem Büro im Aussendepartement. Auffällig: Das Büro ist nicht besonders gross und an den Wänden hängen handgemalte Bilder. “Alles Werke meiner Schwiegermutter”, meint der Diplomat.

Nur wenige Wochen vor seinem Ausscheiden aus der Bundesverwaltung – ab Januar arbeitet er in der Privatwirtschaft – lässt Balzaretti wichtige berufliche und persönliche Erfahrungen seiner Diplomatenkarriere Revue passieren.

swissinfo: Was hat Sie einst dazu bewogen, die diplomatische Laufbahn einzuschlagen und wie hat sich der diplomatischer Dienst seither verändert?

Roberto Balzaretti: Ich interessierte mich stets für internationale Beziehungen. Und ich hatte vielleicht ein etwas romantisches Bild von Personen, die sich nicht für private Anliegen, sondern für das öffentliche Wohl einsetzen.

Aber ich habe mich glücklicherweise auch nicht ganz getäuscht: Ich bin heute überzeugt, dass eine klare Aussenpolitik für das Wohlergehen des eigenen Landes unabdingbar ist. Ich denke an die natürlichen Ressourcen, an den Umweltschutz, aber auch an die Verteidigung der Menschenrechte.

Die tägliche Arbeit eines Diplomaten hat sich stark gewandelt. Wir sind zu Spezialisten geworden, die in ständigem Kontakt zur Zentrale stehen. Bis vor einigen Jahrzehnten waren die Diplomaten praktisch der einzige Berührungspunkt zwischen zwei Ländern. Diplomaten konnten Entscheide fällen, bevor sie zu Hause rapportierten.

Heute verbreiten sich die Nachrichten innerhalb von Sekunden um die Welt. Der Diplomat ist kein Informant mehr, sondern eine Person, welche Vorfälle im jeweiligen Land analysiert. Trotzdem ist die diplomatische Arbeit in ihrem tiefsten Kern gleich geblieben: Man muss verstehen, was im Gastland passiert und umgekehrt die Schweiz im Ausland repräsentieren und erklären. Auf diese Weise verteidigen wir die Interessen unseres Landes.

swissinfo: Was waren die Höhepunkte Ihrer diplomatischen Laufbahn?

R.B.: Es gab viele Höhepunkte. Aber besonders hervorheben will ich die Zeit mit Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey, einer Vollblutpolitikerin, die unsere Aussenpolitik umgekrempelt hat. Sie hat unserer Politik Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit verschafft.

Ich hatte aber auch das Glück, die Rechtsgruppe der Europäischem Freihandelsassoziation (Efta) in den Verhandlungen mit Singapur, Mexiko und Chile zu leiten.

Ich erinnere mich auch gerne an die mit Frankreich ausgehandelten Abkommen in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel von Evian. Kurz vor diesem Ereignis haben wir festgestellt, dass der G8-Gipfel im Grenzgebiet zur Schweiz, nahe zu Lausanne und Genf, stattfand. Wir mussten handeln. In nur vier Monaten haben wir die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit den Franzosen bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, dem Bundesrat vorgelegt und die Zustimmung der beiden Parlamentskammern erhalten. Das war Rekord!

swissinfo: Haben Sie Enttäuschungen erlebt oder bedauern Sie etwas?

R.B.: Enttäuschungen? Ja, vielleicht das ablehnende Votum der Schweizer zum europäischen Wirtschaftsraum. Das Abkommen war auf die Schweizer Bedürfnisse wie zugeschnitten. Ich bin der Meinung, dass der Ausgang dieser Volksabstimmung uns 10 bis 15 Jahre zurückgeworfen hat.

swissinfo: Welche Persönlichkeiten haben in Ihrem Curriculum Spuren hinterlassen?

R.B.: Unter den grossen Persönlichkeiten hat mich sicherlich Bill Clinton besonders beeindruckt. Der ehemalige US-Präsident verfügt über ein unglaubliches Charisma. Wenn er in einen Saal kommt, erscheint er zuerst desinteressiert und etwas abwesend. Aber sobald er das Mikrofon ergreift, zieht er das Publikum in seinen Bann.

Der ehemalige Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, strahlt hingegen eine Ruhe aus, die mich tief beeindruckt hat. Er ist zugleich eine einfache und vornehme Person – man fühlt sich in seiner Nähe sofort wohl.

Auch die brillante und etwas rätselhafte Persönlichkeit des spanischen Ministerpräsidenten José Zapatero hat bei mir Spuren hinterlassen, genauso wie die Friedens-Aura, die den kambodschanischen König Norodom Sihamoni umgibt.

Natürlich gibt es auch Personen, denen man nicht so gern die Hand geschüttelt hat.

swissinfo: Ihre Arbeit war von vielen Formalitäten und protokollarischen Abläufen geprägt. War Ihnen dieses diplomatische Korsett nie zu eng?

R.B.: Nein, ganz im Gegenteil. Man muss einfach wissen, dass dieses formale Korsett nur ein Rahmen ist, um bestimmte Fragen anzusprechen. Innerhalb dieses formalen Rahmens kann man viele Dinge aufs Tapet bringen. Wenn man aus diesem Protokoll ausschert, kann es schnell zu Missverständnissen kommen. Bestimmte Aussagen können falsch verstanden oder als beleidigend aufgefasst werden und so unnötig Spannungen erzeugen.

Unser Korsett ist nicht eng, sondern ein nützliches Arbeitsinstrument. Die schwierigsten Dinge können so korrekt und elegant gesagt werden. Die Sprache muss sich zudem den jeweiligen Umständen anpassen. In Asien können sie nicht direkt sein. In Russland ist dies nötig, sonst erreicht man überhaupt nichts. Wichtig ist auf alle Fälle, Entschlusskraft zu zeigen.

swissinfo: In diesem Jahr sind Sie Kabinettschef von Bundespräsidentin Calmy-Rey geworden. Wie können Sie Ihre Ideen einbringen und auf Entscheidungen Einfluss nehmen?

R.B.: Ich möchte betonen, dass ich nicht “der diplomatische Berater” von Micheline Calmy-Rey bin. Es gibt ein ganzes Departement, das an der Politik und Entscheidungsfindung der Präsidentin beteiligt ist.

Ich bin einfach der persönliche Mitarbeiter – die Engländer sprechen von einem “private secretary” – und stehe der Präsidentin bei ihren Überlegungen, Entscheidungen und Pflichten zur Seite.

Sicherlich gibt es auch intimere Momente mit der Präsidentin. Es gibt ein gegenseitiges Vertrauen, dank dessen ich sehr direkt mit ihr sprechen kann. Aber nochmals: Ich bin nicht der Rasputin für auswärtige Angelegenheiten. Die Nähe zu einer Person, die Macht hat, verleiht indirekt etwas Macht. Aber dabei ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und keinen Missbrauch zu betreiben.

swissinfo: Nach etlichen Jahren im Staatsdienst wechseln Sie in die Privatwirtschaft. Wie packen Sie diese Veränderung an?

R.B. Mit viel Enthusiasmus. Im Prinzip werde ich eine ähnliche Tätigkeit ausüben wie ein Botschafter. Denn im neuen Job sind Taktgefühl, gute Dossierkenntnis, Diskretion und Savoir-faire im Umgang mit Personen gefragt.

Für mich ist dies ein hervorragende Möglichkeit, meinen beruflichen Horizont zu erweitern.

swissinfo, Interview: Luigi Jorio und Andrea Arcidiacono
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Im Jahr 2007 nahmen 74 Personen am Zulassungswettbewerb für eine diplomatische Laufbahn teil. Der Durchschnitt in den letzten 10 Jahren lag bei rund 100 Bewerbern pro Jahr, in den Jahren 2005 und 2006 waren es indes über 200.

Während in der Privatwirtschaft sehr schnell hohe Saläre erreicht werden können, zahlt sich eine diplomatische Karriere in Bezug auf den Lohn erst langfristig aus.

Am Anfang der Laufbahn liegt das Jahresgehalt unter 100’000 Franken. Erst nach 20 Jahren im diplomatischen Dienst kann das maximale Gehalt von 212’000 Franken erreicht werden.

Roberto Balzaretti wurde 1965 in Mendrisio (Kanton Tessin) geboren. Er studierte an der Universität Bern, wo er das Doktorat der Rechte erwarb. 1991 trat er in den Dienst des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ein.

Nach verschiedenen Missionen im Ausland und an der Zentrale, unter anderem in Brüssel und Washington, verlieh ihm der Bundesrat im Oktober 2004 den Botschaftertitel als diplomatischer Mitarbeiter der Vorsteherin des EDA.

2007 wurde Roberto Balzaretti zum Kabinettschef von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey ernannt.

Auf Ende 2007 verlässt Balzaretti das EDA und wechselt als Investitionsberater zur Grossbank Credit Suisse. Seine Nachfolge übernimmt Benedikt Wechsler, gegenwärtig diplomatischer Mitarbeiter.

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