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“Kampf um mediale Wahrnehmung ist härter geworden”

Die Parteienlandschaft wird sich bei den eidgenössische Wahlen 2007 wenig verändern. Verändert hat sich aber laut einem Schweizer Experten der Wahlkampf.

Wie Mark Balsiger im Gespräch mit swissinfo erklärte, ist das weltweite Phänomen der Personalisierung bei Wahlen auch in der Schweiz längst im Gang.

swissinfo: 2007 ist Wahljahr. Werden es spannende Wahlen?

Mark Balsiger: Es sind bereits spannende Wahlen. Der Wahlkampf hat mit dem unglaublich geschickt inszenierten Türkei-Besuch von Bundesrat Christoph Blocher schon begonnen. Das war die Initialzündung des Wahlkampfes 2007.

[Anm. der Red.: Bundesrat Blocher hatte bei seinem Türkei-Besuch anfangs Oktober die in der Schweiz geltende Antirassismus-Strafnorm in Frage gestellt und damit eine Debatte ausgelöst.]

swissinfo: Werden die SVP und die Grünen weiter zulegen und die Mitteparteien verlieren?

M. B.: Die Grünen haben in den letzten drei Jahren bei den Wahlen in allen Kantonen zugelegt. Dieser Trend wird sicherlich auch auf nationaler Ebene anhalten.

Die Grünen sind für breitere Schichten wählbar geworden und haben gute Protagonistinnen und Protagonisten. Viele ihrer Themen sind in unser Bewusstsein gedrungen, denken wir nur an die Hochwasser, an Permafrost und die Gletscherschmelze.

Die SVP hat in der Zentralschweiz und in der Romandie noch Potential zum Zulegen. Sie ist mit Abstand die cleverste Partei in Sachen Kampagnen-Management. Sie wird weiterhin mit der Asyl- und Ausländerpolitik punkten. Bei der Debatte rund um Minarette nutzt sie diffuse Ängste der Bevölkerung, ein alterprobtes Mittel.

swissinfo: Wie steht es um die SP?

M.B.: Die SP ist der Gegenpol zur SVP, deren Stärke sich in den letzten 12 Jahren akzentuiert hat. Programmatisches hat die SP allerdings wenig beigesteuert.

Sie hat sich als Anti-Blocher-Partei positioniert. Das verfängt noch, aber irgendwann wird diese Bedrohung Blocher weg sein. Dann stellt sich die Frage, ob die SP wirklich Entwürfe für die Zukunft hat.

Im Gegensatz zu den Grünen kann die SP kaum Wähler aus der Mitte abholen. Für die ist sie ein rotes Tuch.

swissinfo: Werden die Mitte-Parteien CVP und FDP zu den Verlierern gehören?

M.B.: Sie haben es schon lange schwer. Die CVP hat ihr Verlierer-Image, das ihr fast ein Jahrzehnt anhaftete, abgelegt, als Doris Leuthard das Parteipräsidium übernahm.

Die nackten Zahlen zeigen aber, dass die CVP in den Kantonen weiter verliert wie bisher. In der medialen Wahrnehmung – und das ist die entscheidende heute – ist sie keine Verlierer-Partei mehr. Alles hackt auf der FDP herum.

swissinfo: Auf nationaler Ebene beträgt der Frauenanteil rund 25%. Wird sich daran etwas ändern?

M.B.: Ich hoffe, dass Frauen und jüngere Kandidierende zulegen werden. Mit grossen Veränderungen rechne ich allerdings nicht, denn die meisten Parteien gehen den Wahlkampf wie eh und je an.

Die SP und die Grünen setzen auf Quoten und Frauenförderung, die bürgerlichen Parteien haben das verschlafen. In der SVP sind Frauen bestenfalls Staffagen, sie werden nicht gezielt aufgebaut.

swissinfo: Wie muss man denn sein, um einen Sitz zu ergattern? Reich, schön, gut in Rhetorik?

M.B.: Das Profil ist umfassend. In meiner Funktion als Berater nenne ich immer zuerst den Faktor Zeit. Genug Zeit haben die wenigsten. Fast alle Leute, die in die Politik gehen wollen oder es bereits sind, sind überlastet. Sie haben Familie, Beruf, Verwaltungs- oder Stiftungsratsmandate.

Zudem hilft es, wenn man mit Überzeugung für gewisse Themen einsteht. Wenig förderlich ist, wenn man mit einer ideologischen Verkrustung daherkommt, das kommt beim Durchschnittswähler eher schlecht an.

Immer zentraler wird auch in der Schweiz die Medientauglichkeit, ein Begriff, der sich erst seit wenigen Jahren festgesetzt hat.

swissinfo: Wie wichtig ist der Faktor Geld?

M.B.: Unsere Studie kommt zum Schluss, dass Geld immer der wichtigste Faktor ist. Das lässt sich allerdings kompensieren: Wenn man eine Langzeitstrategie anwendet und sich richtig vernetzt.

swissinfo: Haben es Newcomer besonders schwer?

M.B.: Es ist immer noch so, dass der Sprung ins Eidgenössische Parlament einfacher ist für Leute, die sich hochgedient haben. Gerade in den grossen Parteien und Kantonen gibt es eine unglaubliche Hackordnung. Das im Schnellzugstempo hinter sich zu bringen, ist sehr schwierig.

swissinfo: Wie wichtig sind Superlative wie “blutjung”?

M.B.: Junge Frauen können bei etablierten Parteien den Schnellzug schaffen, wenn sie ausgesprochen medientauglich sind und von der Partei gefördert werden.

Dies führt natürlich zu Enttäuschungen bei Frauen, die schon länger dabei sind. Am unbarmherzigsten sind die Verletzungen innerhalb der eigenen Partei. Dieser Wettstreit wird nicht nur sportlich ausgetragen.

swissinfo: Hat sich der Wahlkampf in den letzten Jahren verändert?

M.B.: Er hat sich stark verändert, was nicht an der Politik, sondern an den Medien liegt. Die Medien haben die Rolle der Vermittler übernommen und zwar, weil es faktisch keine Parteipresse mehr gibt. Der Kampf um die mediale Wahrnehmung ist härter geworden.

swissinfo: Sind wir von Parteienwahlen zu Personenwahlen übergegangen?

M.B.: Die Personalisierung ist ein weltweites Phänomen und auch bei uns schon lange im Gang.

Jene Parteien, die Figuren mit Charisma, Glaubwürdigkeit und Charme haben, können ihre Politik über diese Personen vermitteln.

Ich erwähnte zwei solche Personen, beide sitzen im Bundesrat: Christoph Blocher und Doris Leuthard. Früher wurden ausschliesslich mehrheitsfähige Personen in den Bundesrat gewählt, die nicht zu viel Profil haben durften. Mit dem Einzug in den Bundesrat deponierten sie ihr Parteibuch im Kühlschrank .
Das ist nicht mehr so.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

Von Mark Balsiger und dem Politologen Hubert Roth ist eben das Buch “Wahlkampf in der Schweiz” erschienen.

Es basiert auf einer Befragung aller Kandidierenden für den National- und Ständerat im Jahr 2003. Rund 50% der Politiker beantworteten die 70 Fragen. Die Autoren arbeiteten mit der Universität Bern zusammen.

Das Buch beschreibt und analysiert den Wahlkampf, ist aber in erster Linie als Handbuch für Kandidierende gedacht.

Der 39-Jährige ist Geschäftsführer der Berner PR-Agentur Border Crossing AG.

Er schloss das Studium der Journalistik mit einer Arbeit zum Thema “Wahlkampf in der Schweiz, Grossbritannien und den USA” ab.

Balsiger war 12 Jahre lang für verschiedene Medien tätig.

Er absolvierte zudem eine eidgenössisch anerkannte PR-Ausbildung.

SVP: Schweizerische Volkspartei
SP: Sozialdemokratische Partei Schweiz
CVP: Christlichdemokratische Volkspartei
FDP: Freisinnig-Demokratische Partei Schweiz

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