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Risse in der Kollegialität

Die beiden bürgerlichen Bundesräte Couchepin (links) und Blocher sind sich oft nicht einig. Keystone

Der scharfe öffentliche Angriff von Bundesrat Couchepin auf seinen Amtskollegen Blocher zeige, dass in der Schweizer Regierung etwas nicht stimme, sagt ein Medienexperte.

Der Parteipräsident von Blochers SVP hingegen bezeichnet den Angriff als “nicht angebracht und nicht gerechtfertigt”.

“Die Regierung wird missbraucht”, sagte der Medien-Wissenschafter Roger Blum, denn Christoph Blocher versuche, aus der Exekutive ein kleines Parlament zu machen, wo jeder bei seiner Position bleibe. “Und das entspricht nicht dem Sinn und Zweck einer Kollegialitätsbehörde.”

Die Analyse von Pascal Couchepin bezeichnete er als zutreffend. Neu sei auch, dass sich ein Bundesrat weiter indirekt als Parteiführer betätige. Blocher wolle in erster Linie seine Parteipolitik verwirklichen, sagte Blum in einem Interview mit der “Basler Zeitung”.

Couchepins Tabubruch

In der Sonntagspresse hatte der freisinnige Bundesrat Pascal Couchepin seinen Amtskollegen Christoph Blocher ungewohnt deutlich kritisiert und damit ein Tabu gebrochen. Couchepin glaubt, dass “Christoph Blochers Haltung gefährlich für unsere Demokratie ist”.

Zudem beharrte Couchepin darauf, dass ein Bundesrat zu Abstimmungen Stellung nehmen müsse. Blocher mythisiere das Volk, wenn er sage, das Volk habe gesprochen, die Regierung müsse schweigen.

Das Volk dürfe nicht Diktator sein, die Verfassung sehe die Teilung der Macht zwischen Volk und Institutionen vor.

Mit seinen Äusserungen kritisierte Couchepin das Verhalten von Justizminister Blocher nach der Ablehnung der beiden Bürgerrechts-Vorlagen am Abstimmungs-Sonntag, 26. September. Blocher hatte sich geweigert das Volks-Nein zu kommentieren und gesagt, der Bundesrat habe auch vor Abstimmungen zu schweigen.

Dieses Verhalten stehe im krassen Gegensatz zu Blochers Engagement bei der Abstimmung über das Steuerpaket, sagte Couchepin.

“SVP spielt mit den Emotionen des Volkes”

Die Schweizerische Volkspartei, SVP, spiele immer stärker mit den Emotionen des Volkes, kritisierte der Innenminister. “Sie betrachtet das Volk als Masse, die man verführen kann.”

Manchmal habe er den Eindruck, gewisse SVP-Leute glaubten, die Regierung müsse mit dem Volk paktieren, um das Parlament auszuschalten. “Solche Ideen sind in der Geschichte nicht neu und sehr gefährlich.”

Couchepin erwähnte ein Buch, das den Nationalsozialismus und den Kommunismus miteinander vergleiche und aufzeige, dass es zur Katastrophe kam, weil in diesen Systemen die Bremsen fehlten. “Die Führer konnten mit den Emotionen der Massen nach Belieben spielen.”

Der Fuchs im Hühnerstall

SVP-Präsident Ueli Maurer wies Couchepins Äusserungen zurück. Die Vorwürfe gegen Blocher seien “nicht angebracht und nicht gerechtfertigt”. Und der SVP, die stets für Demokratie gekämpft habe, undemokratisches Verhalten vorzuwerfen, sei “schlechter Stil von Bundesrat Couchepin”, sagte Maurer.

In einem Gespräch mit der “Schweizer Illustrierten” räumte Maurer ein, Blocher kämpfe im Bundesrat oft alleine gegen alle, aber er bewirke etwas. “Es ist, als wenn der Fuchs im Hühnerstall wäre. Alle sind aufmerksamer.”

Konkordanz gefährdet?

Couchepins Schelte hat im Bundeshaus die Bedenken über den Zustand der Regierung weiter vergrössert. Mehrere Parlamentarier werteten die Kritik am Montag auch als Beleg dafür, dass die Konkordanz unter den heutigen Voraussetzungen nicht mehr tauglich sei.

CVP-Präsidentin Doris Leuthard kritisierte im Schweizer Radio DRS den Bundesrat als Truppe von Einzelkämpfern, in der jeder mache, was er wolle, und seine Kollegen auch noch verunglimpfe.

Einen Schritt weiter ging FDP-Fraktionschef Fulvio Pelli. “Alle stellen fest, dass das System so nicht mehr funktioniert”, sagte er.

Vergangene Woche bereits hatten die Grünen den Rücktritt von Bundesrat Christoph Blocher verlangt.

Minderheiten sind zu respektieren

Bundespräsident Joseph Deiss rief derweil die Mitglieder des Bundesrats zur Mässigung auf. Es dürfe nicht sein, dass die Mitglieder des Bundesrats öffentlich persönliche Streitigkeiten austrügen, sagte Deiss im Nationalrat.

Er kritisierte Couchepin indirekt, indem er sagte, die Medien seien der falsche Kanal, besonders wenn es um Aspekte der Kollegialität gehe. Inhaltlich stützte der Bundespräsident allerdings eine von Couchepins Aussagen. Der Wille der Mehrheit könne nicht das Ende jeder Debatte sein, auch die Minderheiten seien zu respektieren.

Blocher begrüsst Debatte über Staatsverständnis

Nach der scharfen Kritik von Bundesrat Pascal Couchepin hat sich Bundesrat Christoph Blocher am Dienstag erstmals öffentlich geäussert. Er begrüsst die entstandene Diskussion über das Staatsverständnis und die Rollen von Volk, Parlament und Regierung.

Mit der Diskussion komme eine notwendige inhaltliche Auseinandersetzung in Gang, hiess es in einer Mitteilung des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD). Es sei an der Zeit, “die Wertung des Begriffs Souveränität zu vertiefen”, wird der Justizminister im Communiqué zitiert.


swissinfo und Agenturen

Regierungskrise? Zeitungen greifen das Thema täglich auf.

Am Sonntag attackierte Bundesrat Couchepin öffentlich seinen Kollegen Blocher.

Nicht nur Blocher stört die Harmonie der 7 Weisen. Couchepin hatte während dem Filmfestival Locarno Aussenministerin Calmy-Rey vorgeworfen, sie mache Kulturpolitik für die eigene Profilierung.

Calmy-Rey pfiff Bundespräsident Deiss zurück, weil dieser Gerhard Schröder die Unterstützung der Schweiz für einen Sitz Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat versprochen hatte.

Kurzum, der im vergangenen Dezember gewählte Bundesrat hat die innere Harmonie nicht gefunden.

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