The Swiss voice in the world since 1935

Schweizer Forscher helfen US-Geheimdienst

Seit Februar 2009 werden verdächtige Schreiben an US-Spitzenvertreter mit einer Tinten-Datenbank analysiert. Keystone

Verdächtige handgeschriebene Briefe an US-Präsident Barack Obama oder andere US-Spitzenvertreter werden anhand einer Technik analysiert, die von Schweizer Wissenschaftern der Universität Lausanne entwickelt wurde.

Forscher der Uni Lausanne haben die Digitale Tinten-Sammlung entwicklelt, eine High-Tech-Datenbank mit 10’000 unterschiedlichen Tintenproben, die über die letzten 40 Jahre vom US-amerikanischen Geheimdienst gesammelt wurden.

«Der US-Geheimdienst befasst sich mit fragwürdiger Korrespondenz aller Art, so zum Beispiel mit anonymen Briefen, die an den Präsidenten oder an andere einflussreiche Regierungsvertreter adressiert sind», sagt Christophe Champod, Professor für Strafrecht an der Universität Lausanne gegenüber swissinfo.ch.

«Sie haben häufig zu tun mit handgeschriebenen Dokumenten. Und sie sind als erstes daran interessiert, was sie ihren Stabsleuten über das benützte Modell oder die Art von Schreibwerkzeug sagen können.»

Solche Informationen können den Beamten helfen, die Liste der Verdächtigen einzugrenzen. So sollen Hinweise auf die bei den Anthrax-Anschlägen von 2001 verwendete Tinte dazu geführt haben, den Täter zu überführen. Bruce Ivins, ein Mikrobiologe und ehemaliger Forscher der US-Armee, hatte den tödlichen Anthrax-Bazillus als Pulver verschickt und dadurch fünf Menschen getötet.

Ein Team von Lausanner Forschern stellte in Zusammenarbeit mit dem Basler Unternehmen Camag, dem weltweit führenden Chromatographie-Konzern, innert zwei Jahren die Digitale Tinten-Datenbank für den US-Geheimdienst zusammen, die seit Februar 2009 benutzt werden kann.

Die digitale Bibliothek entstand aus einer Tintensammlung, die dem amerikanischen Geheimdienst gehört und auf die 1960er-Jahre zurückgeht.

«Im Wesentlichen wurden in Läden Schreibstifte und Füllfedern gekauft und deren Tinte analysiert», erklärt der Schweizer Kriminaltechniker Cédric Neumann.

Anhaltspunkte sammeln

Mittels der Chromatogrphie sind Wissenschafter in der Lage, die chemische Zusammensetzung gewisser Tintensorten zu erkennen und Hinweise über den Herkunftsort, die Zeit der Anwendung und sogar über den Typ des Schreibstifts oder der Feder zu bestimmen.

Die Menge von 10’000 verschiedenen Tintenmustern und die damit verbundenen Informationen wurden bisher in Hunderten von Akten in riesigen Schränken gelagert.

Von Hand nach speziellen Tintenarten zu suchen und diese zu analysieren sei deshalb ein arbeitsintensiver Vorgang gewesen, so Neumann.

«Wir bauten ein System auf, welches die Informationen digital messen und analysieren kann, so dass diese auf einer Harddisk gespeichert und die Daten mit Hilfe von Mathematik und statistik automatisch durchsucht werden können», erläutert Neumann.

Laut dem Experten konnte mit dieser Methode die Analyse eines verdächtigen Tintenmusters von zwei Tagen auf fünf Minuten reduziert werden.

Langfristige Zusammenarbeit

Der Ursprung dieses hochsensiblen Projekts geht zurück auf das Jahr 2000, als die US-Geheimdienste eines Tages an Neumanns Türe in Lausanne klopften.

«Es gibt jahrelange Verbindungen zwischen dem US-Geheimdienst und der Universität Lausanne», erklärt Neumann. «Sein leitender Wissenschafter kommt ein- bis zweimal pro Jahr nach Lausanne. Er besuchte uns im Jahr 2000 und ich zeigte ihm, was ich so tue.»

Die Schule für Kriminalwissenschaften an der Universität Lausanne, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, arbeitet eng mit zahlreichen ausländischen Polizei- und Geheimdiensten zusammen, darunter auch der amerikanische Geheimdienst CIA, das FBI sowie der forensische Wissenschaftsdienst Grossbritanniens.

Neumann hatte 2001 ein Angebot vom US-Geheimdienst als Volontär erhalten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 musste er seine Pläne jedoch ändern und sein Projekt in der Schweiz fortsetzen.

«Sie konnten mich wegen meiner Staatsbürgerschaft nicht behalten, waren aber an meiner Arbeit interessiert und unterstützten meine Forschung finanziell. Es war eine äusserst gute Erfahrung. Sobald ich ihr Vertrauen gewonnen hatte, bekam ich alle Freiheit für meine Forschung», fährt er weiter.

Der Geheimdienst hält sein neues High-Tech-Spielzeug jedoch geheim. «Es ist Teil der allgemeinen Geheimhaltung, sagt Professor Champod. «Es gibt kein operatives Feedback.»

Neumann arbeitet zur Zeit für den britischen forensischen Wissenschaftsdienst an einem neuen System zur Vermessung von Fingerabdrücken, um aufzuzeigen, dass Fingerabdrücke als Beweismittel noch immer ihre Berechtigung und Glaubwürdigkeit haben.

«Wir sind im Begriff, die Berechnungen abzuschliessen. Ich habe ein Team, dass an der Software arbeitet wie am Fernsehen, wo man ein Bild in den Computer stellt und verschiedene Merkmale markieren kann», sagte er.

«Es existiert ein enormer Unterschied zwischen der TV-Serie (CSI: Crime Scene Investigation) und der realen Forensik. Aber ein paar von uns versuchen, die TV-Show zur Realität zu machen», so Neumann.

Simon Bradley, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

Die Schule für Kriminalwissenschaften (ESC) an der Universität Lausanne wurde 1909 von Archibald Reiss gegründet.

Die ESC war die erste Schule für Kriminalwissenschaften der Welt und ist auch heute eine der wenigen Institutionen in Europa, die ein vollständiges Studienprogramm für forensische Wissenschaften anbietet.

An der Schule lehren 10 Professoren mit 70 Assistenten. Rund 400 Personen besuchen die zahlreichen Kurse in den Bereichen forensische Wissenschaft, Kriminologie, Strafrecht sowie Kriminalität und IT-Sicherheit.

Mit der Schweiz verbunden

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft