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Südsudan in Euphorie, Knacknuss Anerkennung wartet

Wird sie auch aufsteigen? Friedenstaube eines Künstlers im Süden Sudans. Reuters

Den Menschen in Südsudan seien Freude und Stolz über ihren neuen Staat zu gönnen, sagt der ehemalige Botschafter Josef Bucher. Aber es bleibe abzuwarten, ob der Norden den neuen Staat im kommenden Juli anerkenne.

Das Verdikt an den Urnen fällt überwältigend aus: Nach Auszählung von 3,2 Mio. Stimmen hätten beim Referendum vom 9. bis 15. Januar 99% zugunsten der Unabhängigkeit des Südens votiert, teilte die Referendumskommission am Freitag in Juba mit. Insgesamt waren vier Mio. Südsudanesen stimmberechtigt.

Zwar hat der neue Staat noch gar keinen Namen (im Gespräch sind unter anderem Nile State oder State of the Nile), nichts desto trotz herrscht bei den Menschen im bitterarmen Südsudan Euphorie.

Im Gespräch weist Josef Bucher auf die Schwierigkeiten, die Norden und Süden nun gemeinsam zu lösen haben. Der ehemalige Diplomat war wesentlich beteiligt am Zustandekommen des Friedensabkommens, das im Jahr 2005 Vertreter der Regierung in Khartoum und die SPLA-Rebellen im Süden auf dem Bürgenstock geschlossen hatten (siehe Chronologie).

swissinfo.ch: US-Aussenministerin Hillary Clinton hatte die Lage vor der Abstimmung als “tickende Zeitbombe” bezeichnet. Das Referendum ist aber korrekt und einigermassen ruhig verlaufen. Ist die heikelste Phase überwunden?

Josef Bucher: Ja, aber nur für die nächsten Monate. Viele hatten befürchtet, dass der Norden das Referendum direkt oder indirekt stören würde, um ihm die Legitimität zu nehmen. Auch bestanden Zweifel, ob die Verwaltung im Süden fähig sein würde, den Urnengang durchzuführen. Jetzt sind die meisten positiv überrascht.

swissinfo.ch: Die französische Zeitung Paris Match hat Südsudan als “den neuen Stern am Himmel Afrikas” gefeiert. Teilen Sie solchen Optimismus?

J.B.: Die Euphorie der Südsudanesen über die bisher friedliche Prozedur zur Unabhängigkeit ist legitim und ihnen zu gönnen. Aber der Sudan ist im wesentlichen ein “failed state”, ein gescheiterter Staat. Zu den Problemen zwischen Norden und Süden kommt die Situation in Darfur.

Wenn man einen Staat teilt, der versagt, hat man noch keinen Stern am Horizont, sondern zwei Probleme, die sich nun anders stellen.

swissinfo.ch: Omar al-Bashir, der international umstrittene Präsident Sudans, hat versichert, das Verdikt der Loslösung zu akzeptieren. Ist das als taktische Äusserung zu verstehen?

J.B.: Auch wenn das eine taktische Äusserung ist, muss sie nicht falsch sein. Der Norden hat beim Referendum tatsächlich mitgespielt, Khartoum erweckt den Eindruck, sich mental auf den Verlust des Südens einzustellen.

Damit ist der Prozess aber noch nicht zu Ende, vielmehr wird der Norden auf den Verhandlungstisch setzen. In der Streitfrage um die Grenzregion Abyei etwa wird Khartoum wohl keine Geschenke mehr machen.

Weitere Verhandlungspunkte sind das Erdöl, die US-Sanktionen, die sie loswerden wollen, die Auslandsschulden von über 30 Mrd. Dollar sowie die Million Südsudanesen im Norden und die arabisch-stämmige Bevölkerung im Süden. Es ist aber positiv, dass es zahlreiche Verhandlungspunkte gibt.

swissinfo.ch: Die Schweiz berät den neuen Staat in den Bereichen Schuldenaufteilung und Entschuldung einerseits sowie Aufbau des Banken- und Währungssystem andererseits. Wie hoch oben stehen diese Bereiche in der langen Liste der Probleme Südsudans?

J.B.: Für die Menschen in Südsudan stehen diese Fragen auf der Prioritätenliste weit unten, sie sind aber mittelfristig wichtig.

swissinfo.ch: Sie sehen die Rolle der ehemaligen SPLA-Rebellen kritisch: Diese hätten die Uniformen ausgezogen und wollten jetzt die politische Macht nicht teilen, was Ihrer Meinung nach in eine Diktatur münden könnte. Wie kann dies verhindert werden?

J.B.: Vielleicht kann man das nicht verhindern, aber die Geschichte muss sich auch nicht wiederholen. Kommt in einem Unabhängigkeitskrieg eine Gruppe an die Macht, wird es erfahrungsgemäss sehr schwierig, diese wieder los zu werden, auch wenn sie nur klein ist. In dieser Logik liegt das Risiko für den Südsudan.

Vor 15 Jahren wurden die Führer von Eritrea, Äthiopien und Uganda als neue Sterne am afrikanischen Himmel gefeiert. Heute sehen wir, was daraus geworden ist. Wir sagen den Südsudanesen deshalb: ‘Schaut auf eure Nachbarn, es ist an euch zu entscheiden.’

swissinfo.ch: Ein grosser Knackpunkt ist das Öl: Der Süden hat es, der Norden verfügt über die Pipelines und Häfen zum Verschiffen. Liegt im Öl der Schlüssel zur Einigung?

J.B.: Das Öl, das den Konflikt in den letzten Jahren mit angeheizt hatte, könnte jetzt Teil der Lösung werden, gerade weil die Lage kompliziert ist. Beide Seiten haben in einem Krieg mehr zu verlieren, weil weder der Süden noch der Norden Einkünfte aus dem Öl erzielen könnten. Bei einer Verhandlungslösung gewinnen beide Seiten, und deswegen haben beide Seiten ein starkes Interesse an einer Lösung am Verhandlungstisch.

swissinfo.ch: Wie geht es weiter?

J.B.: Ich kenne die Dynamik der Verhandlungen oder der informellen Gespräche zu deren Vorbereitung nicht. Aber es könnte Paketlösungen geben. Ein Paket könnte das Erdöl zusammen mit dem Grenzverlauf sein, wobei die Abyei-Region ausgeklammert wird. Entscheidend ist aber, dass sich beide Seiten überhaupt auf Verhandlungslösungen einlassen. 

Die Stunde der Wahrheit kommt im nächsten Juli, wenn der Norden den Süden als neuen Staat anerkennen soll. Präsident Bashir hat immer noch einige gute Pfeile im Köcher. Er könne sich auf den Standpunkt stellen, dass das Referendum zwar ordnungsgemäss verlaufen sei, die Probleme aber noch nicht gelöst seien.

Und wenn Bashir den neuen Staat noch nicht anerkennt, wird dies vermutlich die Afrikanische Union auch nicht tun. Der Norden könnte könnte hier am längeren Hebel sitzen.

Wird jedoch die Anerkennung allzu lange über den Juli hinaus geschoben, dürften die Südsudanesen die Geduld verlieren, was zu einer neuen Kraftprobe führen könnte.

Im Konflikt zwischen dem arabisch-islamisch geprägten Nordsudan und dem afrikanisch-christlichen wurden insgesamt über 2 Mio. Menschen getötet.

August 1955: Beginn des ersten Kriegs des Südsudans gegen die Dominanz des arabisch-islamischen Nordens.

Januar 1956: Unabhängigkeit der Republik Sudan.

März 1972: Abkommen zur Beendigung des Kriegs im Südsudan.

Juni 1983: Beginn des zweiten Kriegs im Südsudan zwischen der Zentralregierung in Khartum und der Rebellenarmee SPLA.

Januar 2002: Vertreter der sudanesischen Regierung und der Rebellen treffen sich auf dem Bürgenstock bei Luzern – Unterzeichnung Waffenstillstands-Abkommen für die Nuba-Berge.

Juli 2002: “Protokoll von Machakos” (Kenia), das Abkommen zwischen Regierung und Rebellen garantiert sechs Jahre nach endgültigem Friedensschluss ein Referendum über die staatliche Zukunft des Gebiets.

Januar 2005: Der Friedensvertrag , eingefädelt auf dem Bürgenstock in der Schweiz u.a. von Josef Bucher, beendet den Krieg im Südsudan.

Dezember 2005: Verfassung des Südsudans tritt in Kraft.

März 2008: Kämpfe zwischen nord- und südsudanesischen Milizen um die erdölreiche Abyei-Region.

Dezember 2009: Gewaltsame Zusammenstösse im Südsudan kosten im Jahr 2009 mehr als 2500 Menschen das Leben und machen fast 400’000 Menschen zu Flüchtlingen.

April/Mai 2010: Erneute militärische Auseinandersetzungen im Südsudan.

Mai 2010: Konstituierende Sitzung des südsudanesischen Parlaments.

Juni 2010: Regierung des Südsudans wird vereidigt.

9. bis 15. Januar 2011: Im Referendum stimmt die grosse Mehrheit der Menschen für die Unabhängigkeit des Südsudans.

Die Schweiz anerkannte 1956 die Unabhängigkeit Sudans und nahm 1960 diplomatische Beziehungen mit dem flächenmässig grössten Land Afrikas auf.

1961 wurde in der sudanesischen Hauptstadt Khartum eine Schweizer Botschaft eröffnet.

Die Wirtschaftsbeziehungen entwickelten sich ab Mitte der 1950er-Jahre: Die Schweiz importiert aus dem Sudan unter anderem Baumwolle und Erdnüsse und exportiert chemische Produkte, Maschinen und Uhren.

1974 unterzeichneten die beiden Länder ein Investitionsschutz-Abkommen.

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