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“Super Tuesday” bringt Klarheit hier und Patt dort

Tenor der Schweizer Presse: Bei den Demokraten steigt die Spannung. swissinfo.ch

John McCain ist der Favorit bei den Republikanern; offen bleibt das Rennen zwischen Hillary Clinton und Barack Obama bei den Demokraten. So interpretiert die Schweizer Presse die US-Vorwahlen.

Nach den “dunklen Jahren von Bush” werten die Kommentatoren die spannende Ausgangslage im Bewerberrennen als Zeichen einer lebendigen US-Demokratie.

Der “Super Tuesday” wirft Wellen von Emotionen bis in die Ostschweiz: “Clinton-Obama: Das Duell bleibt dramatisch”, titelt das St. Galler Tagblatt. Verantwortlich für das Patt im demokratischen Lager seien zwei aussergewöhnliche Kandidaten, deren unterschiedliche Stärken sich neutralisierten.

Anders bei den Gegnern: “Die Republikaner haben jetzt mit John McCain immerhin einen klaren Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur”, so das St. Galler Tagblatt.

“US-Wahlkampf geht in die Verlängerung”, schreibt “Der Bund”. Das weiterhin offene Rennen sowohl bei Republikanern und Demokraten zeige, dass die bisherigen Muster für die diesjährigen Ausscheidungsrennen nicht mehr gelten. Denn die chancenreichen Kandidaturen einer Frau und eines Afroamerikaners sprächen Schichten an, die sich bisher laut “Bund” nicht für Politik interessierten.

Lob auf die Demokratie

Die Vertagung der Entscheidung zeuge zudem von einer lebendigen Demokratie. “Mit ihrer Hingabe, in Europa immer wieder belächelt, strafen die Amerikaner nun die Skeptiker Lügen, die von einem undemokratischen Auswahlverfahren sprachen”, so “Der Bund”.

Der Zürcher “Tages-Anzeiger” stimmt in die Lobeshymne ein: “Nach den dunklen Jahren der Bush-Präsidentschaft feiert die amerikanische Demokratie ein wahres Fest in diesen Tagen.” Das Patt zwischen Hillary Clinton und Barack Obama garantiere, dass der Ausscheidungsprozess fortgesetzt werde, bis einem der beiden Kontrahenten die Krone zufalle.

Entscheidung erst im August?

Eine Vorentscheidung immerhin sieht die “Neue Zürcher Zeitung”: “McCain bei den Republikanern praktisch uneinholbar.” Bei den Demokraten dagegen verlängere sich das Duell um die Präsidentschaftsnomination um Wochen, wenn nicht Monate. “Auffallend ist, das Obama überall dort gewann, wo die Entscheidung an Parteiversammlungen fiel anstatt in Urnengängen”, beobachtete die NZZ.

Das Fazit aus dem grossen Vorwahltag lässt der “Blick” einen US-Wahlstrategen ziehen: “Die Demokraten sind am Ende des Anfangs, die Republikaner am Anfang des Endes.” Für die Boulevardzeitung ist Clinton die Favoritin, aber Obama bleibe ihr dicht auf den Fersen.

Zeit spielt für den Charismatiker

“Spielt die Zeit für Obama?”, fragt die “Aargauer Zeitung”. Je länger der Zweikampf zwischen Hillary Clinton und dem schwarzen Senator von Illinois dauere, “desto mehr Chancen bekommt der charismatische Redner, Wähler von sich zu überzeugen”.

Zugleich rücke aber auch die Realpolitik in den Fokus. “Mehr als Charisma könnte die Frage der Wählbarkeit das Duell zwischen Clinton und Obama entscheiden”, so die “Aargauer Zeitung”.

Laut der “Neuen Luzerner Zeitung” ist für Obama jetzt die Zeit gekommen, seine Trümpfe auszuspielen. Er habe der Senatorin von New York nicht nur sicher geglaubte Staaten wie Connecticut, Delaware und Missouri weggenommen.

Schwarze und Reiche für Obama

“Seine Zugkraft in Hochburgen der Republikaner zeigt enormes Potenzial für die Wahlen im November”, so die NLZ. Clinton dagegen sei es nicht gelungen, ihre Wählerbasis zu verbreitern.

Die “Basler Zeitung” sieht bei den Republikanern McCain auf “Siegeskurs”, bei den Demokraten einen leichten Vorteil für Clinton. Die Wählerstimmen hole sie vor allem bei den Schichten mit niedrigem Einkommen und Älteren, “während die Haushalte mit mehr als 150’000 Jahresverdienst Obamas treueste Hausmacht stellen”, analysiert die “BAZ”.

Wie zu Zeiten Kennedys

Für die Westschweizer Zeitung “Le Temps” verkörpern Clinton wie Obama den Wunsch nach einem Wandel. “Dieses politische Duell lässt Hoffnungen aufsteigen, wie dies seit John F. Kennedy nie mehr der Fall war.”

In seiner Karikatur auf der Front von “Le Temps” zeichnete Chappatte einen TV-Kommentator, der von einer “historischen Wahl” spricht: “Die USA wählen eine Frau, einen Schwarzen oder einen Alten”, so der Journalist vor dem Weissen Haus.

Die Parallele zum charismatischen Präsidenten der 1960er-Jahre zieht auch der Corriere del Ticino: “Obama hat nichts von seinem Schwung eingebüsst, dank seinem Image, seiner Botschaft und der Unterstützung namentlich durch den Kennedy-Clan.”

Die Tessiner Zeitung erinnert aber auch an die Kritik aus dem Clinton-Lager, die Obama als Mann der Poesie abstempelt, wogegen für die Regierung Prosa verlangt werde.

Generation X

Die Lausanner “24 heures” spricht vom “Obama-Effekt”. Ob er die demokratische Kandidatur schaffe oder nicht, Obama “hat bereits tiefe Spuren im politischen Leben der USA hinterlassen”. Er spreche eine neue Generation von Wählern an, die nach sieben Jahren Bush einen Hunger nach Wandel verspüre.

Der Neuenburger “Express” sieht im Super-Dienstag die “Solidität” der Obama-Wählerschaft bestätigt. Diese bezeichnet die Freiburger “La Liberté” als “Generation X”. Sie sehe in Obama “nicht einen Anführer der Schwarzen, sondern eine junge Leaderfigur, welche die Probleme am besten erkennt und löst”.

swissinfo, Renat Künzi

Die Idee hinter dem US-Wahlsystem ist es, dass die Wähler und Wählerinnen in den einzelnen Staaten mitentscheiden können, wer als Präsidentschafts-Kandidat antreten wird. Wie die Delegiertenstimmen verteilt werden, ist von Staat zu Staat verschieden.

Die Anzahl der Delegierten hängt von der Bevölkerungszahl ab; die bevölkerungsreichen Staaten entsenden die meisten Delegierten.

Bei den Demokraten geschieht das grundsätzlich nach dem Proporz-System. Bei den Republikanern hingegen erhält der Kandidat mit den meisten Stimmen zum grossen Teil alle Delegierten. Zudem gibt es bei beiden Parteien unverpflichete Delegierte – darunter Parteigrössen, Parlamentsabgeordnete und sonstige ehemalige und amtierende Politiker.

Wahltag ist am 4. November. Wobei auch hier wieder Delegierte gewählt werden. Das bedeutet: Der Kandidat mit den meisten Stimmen wird nicht unbedingt der nächste Präsident.

Wie im Jahr 2000, als Al Gore gegen George W. Bush verlor. Bush hatte weniger Wahlstimmen erhalten, aber 271 der Wahlmänner, Gore war auf 266 Wahlmänner gekommen.

Delegierten-Stimmen aus den bisherigen Vorwahlen:

Demokraten:

Hillary Clinton: 1140

Barack Obama: 1070

Für Nomination erforderlich:

2025

Republikaner:

John McCain: 720

Mitt Romney: 256 (zieht seine Präsidentschaftskandidatur zurück)

Mike Huckabee: 194

Für Nomination erforderlich:

1191

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