Zwei kleine «Inseln» mitten in Europa

Wie die Schweiz ist auch das Fürstentum Liechtenstein zwar im Europarat, doch nicht in der EU. "Und das ist gut so", sagt die liechtensteinische Parlamentarierin Renate Wohlwend gegenüber swissinfo.
Als Gast an einem Seminar über die Rolle der Schweiz in Europa referierte Renate Wohlwend über Wahlbeobachtung des Europarates in Osteuropa.
Am Seminar des Forums Ost-West zum Thema «Rolle der Schweiz in Europa und im Europarat – Engagement der Schweiz in Mittel- und Osteuropa» sagte Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann prägnant: «Wir können uns nicht länger in den Emmentaler Käse zurückziehen und aus den Löchern herausschauen.»
Botschafterin Heidi Tagliavini, stellvertretende Direktorin im Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) plädierte in ihrem Referat für eine weltoffene Schweiz und eine Stärkung des Europarates.
«Die Schweiz ist eines der ‹europäischsten› Länder unseres Kontinents», sagte Tagliavini, auf die Vielfalt der Kulturen und die universellen Werte anspielend, die in Europa ihren Ursprung haben. Daher hätte die Schweiz im Europarat eine besondere Verantwortung, so die Botschafterin.
Die liechtensteinische Parlamentarierin und Delegationsleiterin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Renate Wohlwend berichtete über den 1997 gegründeten Monitoring-Ausschuss des Europarates.
Bei der Aufnahme von neuen Ländern aus Osteuropa in den Europarat sei sie Anfangs skeptisch gewesen, ob diese Länder das nötige demokratische Niveau für den Europarat vorweisen könnten, sagte die Politikerin. Rückblickend habe sich die Aufnahme entschieden als richtig erwiesen.
Der Schweiz einen Schritt voraus
Im Gespräch mit swissinfo äusserte sich Renate Wohlwend ausserdem zu Unterschieden und Parallelen der beiden Nachbarländer Liechtenstein und Schweiz.
«Wenn wir bei internationalen Organisationen auftreten, freuen wir uns zwar, die Schweizer Delegation zu sehen, wissen aber auch, dass wir einen anderen Standpunkt zu vertreten haben und die Schweiz kritischer betrachten als bei einer Nabelschau», sagt Wohlwend.
Wie die Schweiz ist auch das Fürstentum Liechtenstein Mitglied des Europarates, der UNO und der Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA), doch im Gegensatz zur Schweiz ist der kleine Nachbar auch beim Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) dabei.
«Von daher glauben wir, bezüglich Integration einen Schritt weiter zu sein», sagt die Liechtensteinerin. Dennoch: «Ich bewundere, wie sich die Schweiz bemüht, eine ‹Insel› in Europa zu bleiben.»
Eine Frage der Zeit
Grundsätzlich könne sie der Schweiz einen Beitritt zum EWR durchaus empfehlen, doch angesichts der ungeheuren Brüsseler Bürokratie vermutet die Europarats-Abgeordnete nüchtern, dass die Schweiz mit den bilateralen Verhandlungen wohl besser dran sei.
Renate Wohlwend, die in Liechtensteins Landtag die christlichdemokratische Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP) vertritt, steht der Europäischen Union (EU) durchaus kritisch gegenüber, wenn sie sagt: «Ich finde es gut, dass mein Land und die Schweiz weiterhin ausserhalb der EU bleiben.»
Denn die EU sei für Liechtenstein schlicht nicht grössenverträglich: «Wir hätten nicht die personellen Ressourcen, um Abgeordnete ins Europaparlament zu schicken und die verschiedenen Kommissionen zu besetzen.»
Doch man müsse realistisch bleiben, schränkt sie ein: «Letztlich ist ein EU-Beitritt eine Frage der Zeit.»

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Europarat
Finanzplatz und Steueroase
Vieles verbindet die beiden Nicht-EU-Länder. So ist das Fürstentum Liechtenstein mit dem Schweizer Postwesen vernetzt, benützt als Währung den Schweizer Franken und gilt gleichermassen als Finanzplatz und Steueroase.
Doch eine Armee hat es keine. Während die Schweiz Swisscoy-Truppen in den Kosovo schickt, unterstützt Liechtenstein friedenserhaltende Massnahmen finanziell. Das kleine Land mit seinen 35’000 Einwohnern auf 160 Quadratkilometern gilt auch als eines der reichsten der Welt.
swissinfo, Susanne Schanda
Der 5. Mai ist der Jahrestag der Gründung des Europarates 1949 in London.
Liechtenstein ist dem Europarat 1978 beigetreten, die Schweiz bereits 1963.
Seit 1995 gehört das Fürstentum dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) an. In der Schweiz wurde der EWR-Beitritt 1992 abgelehnt.
Beide Länder sind nicht in der EU.
Das Forum Ost-West ist eine private Informationsplattform für Mittel- und Osteuropa sowie Zentralasien.
Präsident des Forums ist der Journalist Erich Gysling, Geschäftsführer Georg Dobrovolny und Vizepräsident Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann.
Zwei Tage vor dem Europatag veranstaltete das Forum ein Seminar über die Rolle der Schweiz in Europa und im Europarat und über das Engagement der Schweiz in Mittel- und Osteuropa.
Als Referentinnen waren eingeladen: Die Botschafterin Heidi Tagliavini, stellvertretende Politische Direktorin im EDA und die liechtensteinische Landtagsabgeordnete Renate Wohlwend, Delegationsleiterin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Sie stellten sich den Fragen der Nationalräte Christa Markwalder (FDP), Oskar Freysinger (SVP), Rosmarie Zapfl (CVP) und der Generalsekretärs der SP, Thomas Christen.
Das Forum wurde unterstützt von der Burgergemeinde Bern, der DEZA und dem SECO.

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