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Calmy-Rey steht “an der Seite des Bundespräsidenten”

Bundespräsident Hans-Rudolf Merz und Micheline Calmy-Rey an der Pressekonferenz. Reuters

Die Schweiz erwartet von Libyen, dass sich das Land an den am 20. August abgeschlossenen Vertrag hält. Libyen hat nun seinerseits einen Vertreter für das internationale Schiedsgericht ernannt: Es ist der britische Richter Saad Jabbar.

Der Bundesrat habe an seiner heutigen Sitzung bekräftigt, dass er den Vertrag mit Libyen umsetzen wolle. Er erwarte von Libyen dasselbe, sagte Bundespräsident Hans-Rudolf Merz an einer Pressekonferenz in Bern.

Das Ziel sei die Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern und insbesondere die Rückkehr der beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer.

Den beiden Geschäftsmännern gehe es gut, sie seien nicht im Gefängnis und sie seien nicht gezwungen, sich auf der Schweizer Botschaft aufzuhalten. Der psychische Druck, der auf ihnen und ihren Familien laste, sei jedoch sehr gross.

Merz wiederholte, dass ihm in den Verhandlungen in Tripolis am 20. August mehrfach zugesichert worden sei, dass die beiden Schweizer das Land bis Ende August verlassen könnten. Diese Zusicherung liegt sogar schriftlich vor. In einem Schreiben vom 26. August haben die libyschen Behörden festgehalten, dass die beiden Schweizer ausreisen können. Bis heute wurde ihnen die Ausreise jedoch nicht gestattet.

Mit der Umsetzung des Vertrags sei das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) unter der Leitung von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey beauftragt worden.

Wilmshurst und Jabbar

Gemäss Vertrag müssten alle Probleme gelöst werden, die die bilateralen Beziehungen belasteten. Zu diesen Belastungen gehöre eben auch die Situation der beiden Männer, sagte Merz.

Die Erfüllung des Vertrags beinhaltet auch, dass jedes Land eine aus einem Drittstaat stammende Person ernenne, die Einsitz in das Schiedsgericht nimmt. Die Schweiz hat letzten Sonntag die britische Juristin Elizabeth Wilmshurst ernannt.

Der von Libyen bestimmte Vertreter für das internationale Schiedsgericht heisst Saad Jabbar. Es handelt sich um einen Briten nordafrikanischer Herkunft. Die Bekanntgabe der Ernennung erfolgte mit drei Tagen Verspätung auf die mit der Schweiz vereinbarte Frist.

Das Gericht soll die Umstände der Verhaftung des libyschen Herrschersohns Hannibal Gaddafi und seiner Ehefrau im Juli 2008 in Genf untersuchen.

Zusammenstehen und Unterstützung

“Ich bin an der Seite von Bundespräsident Merz und unterstütze ihn”, sagte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey an der Pressekonferenz. Die Schweiz habe kein Interesse, den Vertrag nicht zu erfüllen. Das Hauptziel sei, dass die beiden Schweizer aus Libyen ausreisen können, betonte die Bundesrätin. Seit mehr als einem Jahr arbeite ihr Departement daran.

Mit der Umsetzung des Vertrages ist von schweizerischer Seite her Staatssekretär Michael Ambühl betraut. Auf libyscher Seite ist es Vize-Aussenminister Khaled Kaim.

Bundespräsident Merz und Aussenministerin Calmy-Rey beantworteten an der Pressekonferenz keine Fragen von Journalistinnen und Journalisten. Nach dem Verlesen ihrer Erklärungen verliessen sie den Raum.

“Klare Sache, wer das Geschäft führt”

Der Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, der Grüne Geri Müller, ist froh, dass der Bundesrat in der Affäre Gaddafi an einem Strick zieht. “Nun ist es eine klare Sache, wer das Geschäft führt”, begrüsste Müller die Federführung durch das EDA.

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), die Partei von Bundespräsident Merz, unterstützt die Vorgehensweise des Bundesrates. “Libyen muss nun seinen Teil des Vertrages erfüllen”, sagte FDP-Generalsekretär Stefan Brupbacher.

Die Erfüllung des Vertrages zwischen den beiden Ländern liege nun in der Kompetenz des EDA. Eine andere Aufgabenverteilung hätte die FDP erstaunt, da das Geschäft ein rein diplomatisches sei, betonte Brupbacher.

Auch die Schweizerische Volkspartei (SVP) begrüsst die Strategie des Bundesrates, die weiteren Verhandlungen in der Affäre Gaddafi durch das EDA zu koordinieren.

“Eigeninitiative war richtig”

Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) hingegen bedauert, dass die Federführung der weiteren Verhandlungen in der Affäre Gaddafi nun wieder beim EDA liegt.

Die Angelegenheit wäre vom Bundespräsidenten zu regeln gewesen, sagte Parteipräsident Hans Grunder. “Das EDA arbeitete ein Jahr lang an der Angelegenheit und kam nicht vom Fleck. Es war richtig, dass der Bundespräsident die Eigeninitiative ergriffen hat”, meinte Grunder.

Nach der Freilassung der beiden in Libyen festgehaltenen Geschäftsleute müsse eine politische Aufarbeitung der Affäre folgen, fordert die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP).

Eveline Kobler, swissinfo.ch und Agenturen

Das schweizerisch-libysche Abkommen zur Beilegung der Affäre Gaddafi umfasst 7 Punkte. Hier die wichtigsten Bestimmungen des auf englisch und arabisch abgefassten Abkommens, das die Unterschriften von Premierminister Al Baghdadi El-Mahmudi und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz trägt:

Gemäss Punkt 1 soll sich die Schweizer Regierung öffentlich für die ungerechtfertigte und unnötige Verhaftung (“unjustified and unnecessary arrest”) des libyschen Diplomaten (Hannibal Gaddafi) und seiner Familie durch die Genfer Polizei “und andere Schweizer Beamte” entschuldigen.

2. Beide Staaten setzen gemeinsam ein dreiköpfiges Schiedsgericht zur Untersuchung der Affäre ein. Die jeweiligen Parteien wählen zwei Schiedsrichter aus Drittstaaten aus. Diese wählen gemeinsam einen dritten aus, den Vorsitzenden des Gremiums.

Die Parteien teilen sich die Kosten des Schiedsgerichts. Sein Sitz ist London. Es soll nationale und internationale Rechtsgrundsätze anwenden und innerhalb von 60 Tagen ein Urteil fällen. Beide Länder verpflichten sich, sich daran zu halten.

3. Falls das Gericht unrechtmässige Handlungen (“wrongfull actions”) feststellt, müssen die Schweizer Behörden die notwendigen Schritte gegen die Verantwortlichen einleiten.

4. Stellt das Gericht kriminelle Handlungen oder Gesetzesverletzungen fest, müssen der oder die Verantwortlichen vor Gericht gezogen werden.

5. In einem solchen Fall muss eine vom Gericht festgelegte Entschädigung an die Opfer oder an eine von diesen benannte Organisation bezahlt werden.

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