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Calmy-Rey sucht den Dialog jetzt auch auf Facebook

Schreibt in der Regel die Einträge selber: Micheline Calmy-Rey auf Facebook. swissinfo.ch

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat seit einigen Monaten ein Profil auf Facebook. Sie will damit die offiziellen Informationen über die schweizerische Aussenpolitik ergänzen. Auch Amtskollege Leuenberger setzt mit seinem Blog auf Online-Kommunikation.

Seit jeher pflegen Politiker den direkten Kontakt zur Bevölkerung an Volksfesten, bei Autobahn-Einweihungen, auf dem Gemüsemarkt, oder indem sie im Restaurant “Bären” eine Runde schmeissen.

Mit den zusehends vielfältigeren Mitmach- und Multimedia-Möglichkeiten des Web 2.0 suchen Politikerinnen und Politiker neue Formen des Dialogs und haben dabei vor allem die im digitalen Zeitalter aufgewachsenen Generationen im Visier.

Als erster Bundesrat eröffnete Verkehrs- und Energieminister Moritz Leuenberger vor drei Jahren einen Blog. Seit einigen Monaten setzt auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey auf die interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0 und nutzt dazu die Online-Plattform Facebook.

Deren Mitglieder können Calmy-Rey-Fans werden, ihre Kurz-Artikel lesen, Bilder und Videos anschauen und Kommentare schreiben. Auch Nicht-Mitglieder können die Einträge begutachten. Das Kommentieren ist den Mitgliedern und Fans vorbehalten.

Die Bundesrätin wolle “mit dieser etwas persönlicheren, kurzformatigen und umgangssprachlicheren Kommunikation die offizielle Informationsarbeit ergänzen”, sagt der stellvertretende Informationschef des Aussendepartements, Adrian Sollberger gegenüber swissinfo. “Sie hofft, damit auch ein jüngeres Publikum besser zu erreichen.”

Botschafter einer innovativen Schweiz

Thematisch wolle Calmy-Rey “aktuelle aussenpolitische Themen” aufnehmen, daneben aber auch “Themen aufgreifen, die ihr ein Anliegen sind” oder die von Bürgerinnen und Bürgern angesprochen würden. Die Bundesrätin schreibe ihre Einträge “grundsätzlich selber”, werde aber “manchmal und vor allem bei den deutschen Einträgen von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter unterstützt”, so Sollberger.

Konkret versichert die Aussenministerin ihrer Facebook-Gemeinde, sie und ihre Mitarbeiter würden im Fall des in Libyen inhaftierten Schweizers Max Göldi nicht aufgeben, für seine Freilassung zu kämpfen: “Unsere tägliche Arbeit ist sehr schwierig und fordert alle unsere Kräfte. Wir erleben Momente der Hoffnung und der Enttäuschung. Denn in dieser Angelegenheit geht es nicht allein um das Schicksal eines Schweizer Bürgers. Es geht auch um den Respekt und die Glaubwürdigkeit der Schweiz in der internationalen Gemeinschaft.”

Zu den erfreulichen Themen gehören der erfolgreiche Jungfernflug des Solarflugzeuges Solar Impulse von Bertrand Piccard und André Borschberg am 7. April. “Es ist ein wunderbares menschliches und technologisches Abenteuer und zeigt darüber hinaus eine innovative und sorgsam mit der Umwelt umgehende Schweiz.”

Lob und Rüffel

Bundesratskollege Moritz Leuenberger stellt grundsätzlich längere, stärker polarisierende Texte in seinen Blog, indem er über die Streitkultur zwischen verschiedenen politischen Lagern oder über falsche Pauschalurteile zu deutschen Finanzministern reflektiert. Er wehrt sich gegen die “Abstrafung des Denkens” und provoziert hitzige Diskussionen, zuweilen auch Rüffel wie: “So viel Intellekt in einem Menschen ist schon fast gemeingefährlich”.

Im Gegensatz dazu sind die Kommentare der Calmy-Rey-Fans überwiegend zustimmend, lobend und aufmunternd: “Genau meine Meinung.” – “Ich denke jeden Tag an Sie und ich bete für Sie.” – “Bravo Micheline!”. – Kritische Stimmen sind kaum zu finden.

Spontaneität versus inhaltliche Hemmschwellen

Interaktive Kommunikation in den virtuellen sozialen Netzwerken unterscheidet sich vom persönlichen Gespräch an einem Volksfest durch den fehlenden Blickkontakt und durch die mögliche Anonymisierung mittels falschem Namen oder Pseudonym.

Leuenberger schaltet Kommentare, “die andere Leute beleidigen”, nicht auf. Er gebe zu, die Kontrolle entspreche nicht der “Spontaneität, wie sie die Bloggerszene pflegt. Doch manchmal frage ich mich, ob die zeitliche Unmittelbarkeit, welche das Internet ermöglicht, nicht in einem Zusammenhang mit dem Schwinden inhaltlicher Hemmschwellen steht,” schreibt Leuenberger in seinem Blog und erinnert an seine editoriale Verantwortung.

Auch Calmy-Rey lässt rassistische oder ehrverletzende Kommentare löschen. Das ist laut Sollberger bisher erst einmal nötig gewesen.

Gefälscht und rot durchgestrichen

Für die andern fünf Mitglieder der Landesregierung sind Facebook oder Blogs zurzeit nur in dem Sinne ein Thema, dass über sie gefälschte Facebook-Einträge existieren. Sie sei unfreiwillig bei Facebook, dulde den Eintrag jedoch, sagte vor einem Jahr Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, als im Zusammenhang mit den biometrischen Pässen der Schutz der Privatsphäre ein Thema war. Daran hat sich laut ihrem Sprecher bis heute nichts geändert.

Für Volkswirtschafsministerin Doris Leuthard stelle sich die Frage nach Facebook-Aktivitäten nicht, sagt ihre Sprecherin: “Man muss nicht alles machen.” Gegen die gefälschten Einträge wollen auch die andern Bundesräte nicht vorgehen. Einzig das Departement von Moritz Leuenberger hat kürzlich erreicht, dass das falsche Leuenberger-Profil vom Netz genommen wurde.

Das hinderte andere, anonym bleibende Netznutzer allerdings nicht, eine neue Fälschung ins Netz zu stellen, mit einem rot durchgestrichenen Porträt Leuenbergers und der Aufforderung zum Rücktritt.

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Facebook ging Anfang 2004 als soziales Netzwerk für Harvard-Studenten online.

Zunächst konnten nur Menschen mit E-Mail-Adressen ausgewählter US-Hochschulen Mitglieder werden.

Seit 2006 ist die Seite für alle Über-13-Jährigen offen.

Nach eigenen Angaben hat Facebook derzeit 400 Millionen aktive Mitglieder weltweit.(Stand: Januar 2010).

Die Nutzung ist für Mitglieder kostenlos, Einnahmen soll vor allem das Werbegeschäft bringen.

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