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Elena Servettaz: “Mein Mann wurde bedroht wegen einer Frage, die ich Putin gestellt habe”

Illustration Elena Servettaz
Kai Reusser/swissinfo.ch

Schon ihr ganzes Arbeitsleben lang begleiten die Konfrontationen mit Wladimir Putins Regime die Arbeit unserer Reporterin Elena Servettaz.

Ich war 16 Jahre alt, als ich meine erste direkte Konfrontation mit dem Regime von Wladimir Putin erlebte. Bei der zweiten war ich 29. Die dritte Konfrontation ist gar noch nicht lange her, da war ich 39.

Beim ersten und beim dritten Mal habe ich deswegen meine Arbeit verloren. Beim zweiten Mal erhielt ich (bloss) Drohungen gegen Mitglieder meiner Familie.

Aber das hat mir alles keine Angst gemacht.

Beunruhigender fand ich die Drohungen des syrischen Aussenministers nach meinem Interview mit dem russischen Botschafter in Paris im Juli 2012: “Die französischen Journalisten dürstet es nach Blut”, reagierte er in einem offiziellen Communiqué.

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Aber gehen wir an den Anfang: Im März 2000, als Wladimir Putin an die Macht kam, war ich 16 Jahre alt und arbeitete für einen kleinen Fernsehsender in Russland. Dort präsentierte ich ein Information- und Unterhaltungsprogramm für Jugendliche. Ich schrieb meine Texte selbst und wählte auch die Themen. Am Tag der Präsidentschaftswahlen gingen wir mit einem Kameramann in ein Stimmlokal, wo ich einen Armeegeneral zu den Wahlen vor der Kamera befragt habe.

Seine Antwort hat mich überrascht: “Gestern liess ich alle Soldaten versammeln. Und ich habe ihnen die Biografie von Wladimir Wladimirowitsch Putin vorgelesen. Dann fragte ich: ‘Verstehen Sie, wen Sie wählen sollen?’.”

Ab dem Moment war mir klar, dass beim Vorgang von freien Wahlen keine Rede sein kann. Das war natürlich ein Scoop. Meine Reportage wurde gesendet, nachdem die Urnen geschlossen waren.

Am Tag darauf ist der Chefredaktor von der Gemeindeverwaltung vorgeladen worden. Das Programm hat man dann, nach Drohungen, eingestellt. Jahre später hat die britische Zeitung The TimesExterner Link diese Geschichte erzählt.

Ebenfalls im Jahr 2000 bin ich an die Journalismusfakultät der Universität Moskau aufgenommen worden. Dabei wurde ich von Michail Gorbatschow unterstützt – dem ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion.

Die zweite Konfrontation mit dem Regime von Wladimir Putin trug sich 2013 zu, als ich für Radio France Internationale (RFI) arbeitete. Ich war akkreditierte Regierungskorrespondentin in Frankreich und begleitete den Präsidenten François Hollande auf seinem ersten Besuch in Russland.

Bildcollage Elenna Servettaz, Wladimir Putin, François Hollande
Im Jahr 2013 war Elena Servettaz akkreditierte Korrespondentin im Präsidentenpool von François Hollande und begleitete den französischen Präsidenten bei seinem ersten Staatsbesuch in Russland. swissinfo.ch

Im Kreml, während der Pressekonferenz, stellte ich dem Präsidenten meine Frage auf Französisch, wie es eine französische Journalistin selbstverständlich tut. Wladimir Putin liess sie sich über sein Headset übersetzen.

Die Frage war die folgende: “Laut Human Rights Watch war das vergangene Jahr hinsichtlich der Menschenrechtslage das schlimmste in der modernen Geschichte Russlands. Was denken Sie, Herr Präsident? Wenn Herr Putin auch zu meiner Frage Stellung nehmen möchte, bin ich dankbar.” Meine Frage ist übrigens in der offiziellen Biografie von François Hollande erwähnt, geschrieben von einem Journalisten der AFP. Aber nur sehr wenige Leute wissen, was danach passiert ist.

Der französische Präsident begnügte sich mit einer sehr diplomatischen Antwort. Und Wladimir Putin sagte, ich sei Französin und verstehe daher das russische Wahlprozedere nicht.

Nach meiner Rückkehr nach Paris erhielt mein damaliger Ehemann eine deutliche Warnung. Er ist Raumfahrtingenieur und arbeitete für ein europäisches Unternehmen, das ausländische Satelliten vom russischen Kosmodrom Baikonur aus startete.

Der Direktor der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos rief seinen europäischen Kollegen an. “Sie möchten, dass Ihr Spezialist weiterhin nach Baikonur fahren kann? Dann sagen Sie ihm, er soll seine Frau beruhigen, damit sie unserem Präsidenten keine Fragen stellt”, sagte er zu ihm.

Es ist überraschend, dass meine französische Redaktion mich in der Situation nicht unterstützte, obwohl alle grossen Tageszeitungen der Welt, inklusive der New York Times, meine Frage erwähnten.

Ich arbeitete damals parallel für den legendären Radiosender Echo Moskau als Sonderkorrespondentin in Paris. Der Chefredakteur Alexei Venediktov intervenierte in meinem Namen. “Sie versuchen nur dir zu schaden! Wir werden es öffentlich machen, ich kümmere mich darum”, sagte er mir. Ich weiss nicht genau, was er zu Roskosmos gesagt hat. Die Drohungen haben danach jedenfalls aufgehört.

Elenna Servettaz und Alexey Venediktov
Elena Servettaz mit dem Chefredakteur von Echo aus Moskau, Alexei Venediktov. Elena Servettaz

Meine jüngeren Auseinandersetzungen mit dem russischen Regime nahmen kein besseres Ende. Zuerst blockierte die russische Generalstaatsanwaltschaft die Medien von Michail Chodorkowski, für den ich an einem internationalen Multimediaprojekt arbeitete.

Eine Frau und vier Männer auf einem Panel
Elena Servettaz moderiert eine Podiumsdiskussion in London, an der Michail Chodorkowski, die Politologen Alexander Morosow und Kirill Rogow sowie der Journalist des Economist, Arkadij Ostrovskij, teilnehmen. Anastasia Mikhailovna

Die russischen Behörden haben mehrere Projekte von Michail Chodorkowski als “unerwünscht” bezeichnet und russische Medien wegen Verbindungen zu seinen Projekten blockiert. Um niemanden zu gefährden, hat er diese Aktivitäten 2021 eingestellt.

Am 1. März 2022, unmittelbar nach Beginn der Grossinvasion Russlands in der Ukraine, ist der Radiosender Echo Moskau, für den ich noch arbeitete, aus dem Äther verbannt worden. Gleichentags beantragte die Generalstaatsanwaltschaft die Sperrung des Onlineauftritts von Echo Moskau und des russischen Fernsehsenders Dozhd.

Die russischen Behörden waren der Ansicht, dass Echo Moskau “falsche Informationen über die Art der speziellen Militäroperation auf dem Territorium der Ukraine” sowie über die Kampfmethoden, verstorbene russische Soldaten, die der Beschuss und die Toten unter der Zivilbevölkerung vermittelte.

In jenem Sommer wurde ich von SWI swissinfo.ch angestellt. Nach einer Reihe von Interviews, die ich im Januar 2023 über Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine führte, war auch die Webseite swissinfo.ch von Russland aus nicht mehr erreichbar.

Editiert von Virginie Mangin/dbu. Übertragung aus dem Französischen: Benjamin von Wyl

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