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Der “King of Pop(ular) Music” aus dem Appenzell

Fotoatelier in Zürich, 1896: Arnold Inauen mit seiner Bekannten Ida Sutter. zVg

Dass es den "Sänger Inauen" gab, war im Appenzellerland bekannt. Dass er aber ein Pionier war, der als erster Kontinentaleuropäer Schallplatten in deutscher Sprache aufgenommen hatte, wusste kaum jemand. Ein Buch setzt dem "Bauernknechtlein" nun ein Denkmal.

“Nicht nur die Sippe der Inauen, sondern das ganze Appenzellerland kann stolz sein auf den frühen Plattenstar, auf das Bauernbüblein, das früh ausziehen musste und in der Ferne zum gefeierten Sänger und Tenor wurde”, sagte Roland Inauen, Konservator des Museums Appenzell, an der Vernissage des Buches “Arnold Inauen/Arnold von der Aue”.

Es gebe weltweit kaum einen anderen Appenzeller mit so grosser musikalischer Ausstrahlung, so der Museumsleiter in seiner Würdigung.

Aus dem Appenzell auf die Weltbühnen

Dass der ausserordentliche Appenzeller nicht ganz vergessen ging, ist vor allem Armin Mazenauer zu verdanken, einem Grossneffen des begnadeten Konzertsängers und Schallplattenpioniers. Seit Jahren befasst er sich mit dem Leben seines illustren Vorfahren, recherchierte mit Akribie und Hartnäckigkeit, angetrieben von grosser Neugierde, die er schon als Knabe gegenüber seinem Vorfahren gespürt hatte.

Noch vor zwei Jahren, als er ein erstes Büchlein über Inauen veröffentlichte, war sein Wissensstand bescheiden. “Und auch heute ist das Lebensmosaik meines Grossonkels noch immer lückenhaft. Jetzt haben wir ihn zumindest symbolisch in die Heimat zurückgeholt”, erklärte Mazenauer.

Seit längerem war bekannt, dass Inauen, alias Arnold von der Aue, im Alter von 12 Jahren als Bauernknechtlein nach Deutschland geschickt wurde, später dank finanzieller Hilfe einer vermögenden Dame das Konservatorium in Frankfurt besuchen konnte und auf verschiedenen Bühnen in Europa und den USA auftrat. 1914 verliert sich dort seine Spur. “Ort und Umstände seines Todes bleiben mysteriös”, so der Grossneffe.

Eine Stimme zum Schmelzen

Während seiner langwierigen Recherchen in Zeitungsarchiven und im Internet traf Mazenauer auf den Plattensammler Hans Peter Woessner aus Thalwil. Dieser wusste zwar wenig über Inauens Leben, dafür umso mehr über dessen Schallplatten-Aufnahmen, was wiederum Armin Mazenauer nicht bekannt war. So spannten die beiden zusammen.

Der Germanist und pensionierte Mittelschullehrer Woessner sammelt Schweizer Musik aus den Jahren 1901-1945. Seine Sammlung umfasst über 10’000 Stück.

1986 ergatterte Woessner erstmals eine Schellack-Platte Inauens bei einem Tausch mit einem anderen Sammler. Es war “Wenn der Schnee von den Alpen niedertaut”. “Inauen hat eine rührende Stimme, die Frauen brachen in Tränen aus an den Konzerten, so stand es zumindest in den Zeitungen”, erklärte Woessner gegenüber swissinfo.ch.

Inzwischen hat Woessner an Auktionen, auf Flohmärkten, in Brockenhäusern und durch Tauschhandel 13 Schallplatten des Appenzellers aufgestöbert. Insgesamt existieren 14 Aufnahmen Inauens, aufgenommen zwischen 1901 und 1905 in Berlin, Mailand und New York.

Der Schellack-Pionier

Dem Sänger Inauen komme eine grosse historische Bedeutung zu, so Woessner. “Er ist der erste Schweizer und Kontinentaleuropäer, der in Deutsch Schallplatten besungen hat. Das ist eine Pionierleistung.”

Am 30. September 1898 nämlich stand Inauen aus Innerrhoden als erster Sänger deutscher Sprache vor dem Aufnahmetrichter. Das war nur sechs Wochen, nachdem in London als erstem Aufnahmeort Europas mit Plattaufnahmen begonnen worden war.

1902 nahm er in Berlin den Schweizer Psalm “Trittst im Morgenrot daher” auf, die heutige Schweizer Nationalhymne.

Als Opernsänger, so Woessner, sei Inauen allerdings unbedeutend, gar schlecht gewesen, “denn er konnte nicht darstellen, nicht Theater spielen. Die Stimme aber ist herrlich, nicht ganz die Topstufe von Caruso, aber annähernd”. Deshalb sei er als Schallplatten- und Konzertsänger prädestiniert gewesen, meint der Experte.

Hans Peter Woessner rühmt auch die Vielseitigkeit und Bescheidenheit des Innerrhodner Sängers. Er habe Klassik gesungen, so etwa Arien aus Parzival von Wagner, aber auch Volkslieder in verschiedenen Sprachen. Und im Gegensatz zu anderen Sängern habe er sich nicht geziert, auch mal zu jodeln. “Inauen machte, was die Leute gerne hatten.”

Über 100 Jahre alter Klang

Dem Buch “Arnold Inauen” ist eine CD mit den 14 erhaltenen Aufnahmen beigelegt, alle über 100 Jahre alt. Es sind Raritäten, die Klangqualität ist weit entfernt von moderner Hi-Fi-Perfektion.

Und doch: Die Wucht der Stimme, die Leidenschaft ist auch nach so vielen Jahren präsent. Und dass Inauen in Deutschland und den USA in Konzertkritiken als begnadeter Sänger mit einer Stimme “von seltener Kraft und gleichzeitig Zartheit” beschrieben wurde, erstaunt nicht.

Während für den Grossneffen Armin Mazenauer das letzte Kapitel im Buch “Arnold von der Aue” wohl noch nicht geschrieben ist, sucht der Sammler aus Thalwil unermüdlich weiteren Inauen-Platten. Gerne hätte er eine mit Arien. “Die sind sehr gesucht und selten, es gibt sie, aber man weiss nicht wo, vielleicht taucht mal eine auf. Ich bin gierig, die Suche geht weiter.”

Gaby Ochsenbein, Appenzell, swissinfo.ch

Ende November 2009 ist im Verlag Druckerei Appenzeller Volksfreund das Buch “Arnold Inauen – Arnold von der Aue – vom Bauernknechtlein aus Appenzell zum Opern- und Konzertsänger und Schallplattenpionier” von Armin Mazenauer erschienen.

1865: geboren in Appenzell.

1866 und 1867 kommen seine zwei Brüder, darunter Armin Mazenauers Grossvater, auf die Welt.

1867: Mutter stirbt im Kindsbett.

Der Vater heiratet wieder und hat noch 8 weitere Kinder.

Inauen besuchte 5 Jahre halbstags und nur im Winter die Schule.

Vater verspielt all sein Geld und muss den Landwirtschafts-Betrieb verkaufen.

1877: Inauen kommt als 12-jähriger Bauernknecht nach Deutschland.

1886: Joseph Anton Inauen kommt zur militärischen Aushebung (Rekrutierung) nach Appenzell und weist sich als Kellner aus.

Nach der Rekrutenschule ist er mit einer deutschen Gesangs-Gesellschaft in London, St. Petersburg und Hamburg unterwegs.

1890-1893: Inauen besucht das Raff-Konservatorium in Frankfurt. Eine begüterte Frau aus Hamburg finanziert das Studium.

1898 nimmt er in London als erster Sänger deutscher Sprache und als erster Festlandeuropäer eine Schallplatte auf.

1903: Einreise in Ellis Island, New York. In Manhattan eröffnet er eine Gesangsschule, allerdings nur für ein paar Monate.

Inauen, alias Arnold von der Aue, reist quer durch die Vereinigten Staaten und tritt in zahlreichen Städten auf.

Laut eigenen Angaben hat er bis 1910 in 40 Bundesstaaten 80 Städte besucht.

Die letzten Meldungen datieren von 1914 aus dem Mittleren Westen.

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