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Der Justizminister unter der Lupe

Keystone

Der Abgang des schweizerischen Bundesanwalts im letzten Jahr hat nach der Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts hohe Wellen geworfen. Justizminister Christoph Blocher wurde scharf kritisiert.

Während Staatsrechtler Thomas Fleiner die Gewaltentrennung verteidigt, relativiert Politologe Hans Hirter die Frage der Kompetenzüberschreitung des Justizministers.

Die Geschäftsprüfungs-Kommission des Nationalrats (GPK) hatte während einem Jahr Untersuchungen zum Funktionieren des Schweizer Strafverfolgungssystems geführt.

Dabei hatte sie auch Blochers Rolle beim Abgang des Bundesanwalts Valentin Roschacher unter die Lupe genommen.

Die GPK wirft dem Bundesrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in diesem Zusammenhang Kompetenz-Überschreitungen und Eingriffe in die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft vor.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Justizminister in Konflikt mit der Gewaltentrennung von Regierung und Justiz geraten ist.

Unabhängigkeit nötig

“Das halte ich für eine ganz schwerwiegende Angelegenheit”, sagt Staatsrechts-Professor Thomas Fleiner vom Institut für Föderalismus der Universität Freiburg gegenüber swissinfo. “Es geht hier um eine rechtsstaatliche Frage.”

Denn die Bundesanwaltschaft und der Bundesanwalt müssten bei Ermittlungen unabhängig sein. “Sonst können politische Bevorzugungen oder Benachteiligungen in die ganze rechtliche Beurteilung einfliessen”, so Fleiner.

Und genau diese Einmischung sollten Verfassung und Gesetzgeber verhindern. “Aus diesem Grund muss garantiert sein, dass ein Bundesanwalt, ähnlich wie ein Gericht, bei seinen Ermittlungen völlig unabhängig und allein nur dem Recht verpflichtet vorgehen kann.”

Politologe relativiert

“Dieses Problem haben praktisch sämtliche Justizminister auf der ganzen Welt”, sagt hingegen Politologe Hans Hirter von der Universität Bern gegenüber swissinfo. Die Frage drehe sich um die Kontrolle der Bundesanwaltschaft.

In der Schweiz ist diese administrativ der Regierung, inhaltlich und fachlich aber dem Bundesgericht unterstellt. “Jetzt ist man daran, das zu klären und das Ganze in die Kompetenz der Regierung zu bringen”, sagt Hirter.

Sollte allerdings der Verdacht aufkommen, dass in der Schweiz politisch Einfluss auf juristische Entscheide genommen werde, könnte dies dem Land schaden, meint der Politologe.

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GPK

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Geschäftsprüfungs-Kommissionen (GPK) von Nationalrat und Ständerat sind die höchsten Aufsichtsorgane des Bundes. Sie üben im Auftrag der beiden eidgenössischen Räte die Oberaufsicht aus über die Geschäftsführung des Bundesrates (Landesregierung) und der Bundesverwaltung, der eidgenössischen Gerichte und der anderen Träger von Aufgaben des Bundes. Bei der Oberaufsicht handelt es sich um eine politische Kontrolle von…

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Politik mischt sich ein

Genau diese vermehrte Einflussnahme sei aber die Tendenz, ist Staatsrechtler Fleiner überzeugt.

“Er (Blocher) möchte die Politik in das Recht einbringen und dieses mehr oder weniger dem politischen Willen des Gesetzgebers, der Partei oder des Bundesrates unterwerfen.”

Diese vermehrte Einmischung der Politik in rechtliche Belange sei mittel- bis langfristig “höchst problematisch”. Das entspreche “überhaupt nicht der internationalen Tendenz”, so der Staatsrechtler.

Für Hirter allerdings kommt es ganz auf den Staat an, in welcher Art und Weise er das Recht ausgliedert. Und daher sei dieses nie etwas Unabhängiges. “Die Gewaltentrennung existiert, das ist ein gutes Prinzip”, sagt er zwar.

Doch man dürfe nicht vergessen: “Die Gesetze und oft auch die Interpretation der Gesetze werden von der Politik gemacht und nicht von der Juristerei.”

Was Blocher zum Teil verwechsle, wenn er einen Bundesgerichtsentscheid rüge oder gegen das Völkerecht argumentiere, seien seine Rollen als Justizminister und als Meinungsführer der SVP. “Das muss man sicher zugeben”, so Hirter.

swissinfo, Christian Raaflaub

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Bundesanwaltschaft

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht In der Schweiz sind die kantonalen Justizbehörden für einen Grossteil der Strafuntersuchungen zuständig. Einige Delikte fallen jedoch in die Kompetenz der Bundesanwaltschaft (BA). Dazu gehören beispielsweise Attentate, Spionage, internationale organisierte Kriminalität, Geldfälschung, Geldwäscherei, Korruption oder von Bundesbeamten im Rahmen ihrer Aufgabe begangene Straftaten.

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Im Juli 2006 stellte die GPK des Ständerats fest, Bundesrat Blocher habe zwei Albaner zu Unrecht als Kriminelle betitelt.

Derselbe Bericht warf dem Justizminister vor, die Gewaltenteilung nicht respektiert und unzulässig in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen zu haben.

Diese Vorwürfe macht nun auch die GPK des Nationalrates im neuen Bericht zum Rücktritt von Bundesanwalt Roschacher.

An der letzten Bundesratssitzung hat der Justizminister das Gesetz über die Neuorganisation der Bundesanwaltschaft vorgelegt und wollte von der Regierung grünes Licht, um den Bundesanwalt direkt ihm unterstellen zu können.

Auch das Bundesgericht wurde von Blocher und seiner Partei verschiedentlich gemassregelt.

Schliesslich hat Blocher mehrmals öffentlich erklärt, das Völkerrecht sei eine Bedrohung für die Volksrechte.

In der Schweizer Eidgenossenschaft werden, wie in den meisten Rechtsstaaten, die Gewalten aufgeteilt in drei Bereiche: Legislative, Exekutive und Judikative.

Die Legislative (Parlament) ist der Gesetzgeber. Die beiden Parlamentskammern beraten Verfassungsänderungen, erlassen Bundesgesetze, fassen Bundesbeschlüsse und genehmigen völkerrechtliche Verträge. Ausserdem wählen sie die Mitglieder des Bundesrats (Landesregierung) und beaufsichtigen die Bundesverwaltung.

Die Exekutive ist der Bundesrat mit seiner Verwaltung. Er ist oberste leitende Behörde des Landes und verantwortlich für die Regierungstätigkeit. Ausserdem beteiligt er sich an der Rechtsetzung, indem er Vorverfahren der Gesetzgebung leitet und dem Parlament Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse unterbreitet.

Die Judikative sind die Gerichte, auch dritte Gewalt genannt. Dazu gehören Bundesgericht, Bundesstrafgericht und Bundesverwaltungsgericht.

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