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Der Künstlerblick tief in die Seele des Berges

"Le moment juste" in Weggis: Fussballspieler, Flutlicht, Pilatus nach Sonnenuntergang. Hansjürg Buchmeier

40'000 mal hat der Künstler Hansjürg Buchmeier den Luzerner Hausberg Pilatus fotografiert. In einem Buch zeigt er 100 Bilder, die je eine eigene Geschichte erzählen.

Die Fotos erschliessen ein Stück urtümliche Schweiz, das Teil einer vernetzten Moderne geworden ist.

Acht Jahre Entstehungszeit, 800 Standorte, 40’000 Farbdias, 100 ausgewählte Bilder: Das sind die Daten zum Werk über das Innerschweizer Wahrzeichen, das der Luzerner Künstler Hansjürg Buchmeier geschaffen hat.

Beizufügen ist noch eine Zahl: 1,8 Kilogramm. So schwer ist das Buch “Pilatus. Ein Berg. Hundert Ansichten”, in dem der 50-jährige Maler und Fotograf ein Stück seiner Heimat und eine lange Phase seines Schaffens dokumentiert hat.

Leben mit dem Berg

Der Pilatus als Thema war für Buchmeier im wahrsten Sinn des Wortes naheliegend. “Ich bin im Angesicht des Pilatus aufgewachsen. Und ich kann ihn auch vom Haus, in dem ich heute wohne, immer noch sehen”, sagt der Innerschweizer gegenüber swissinfo.

Auch wenn er kein eigentlicher Berggänger sei, sei der Berg für ihn immer ein zentraler Bezugspunkt gewesen.

Kontrast und Dialog

Im frühsommerlichen Morgenrot, bei Nacht mit grellem Neonlichterschein einer Tankstelle, aus der Suite des Hotels Palace, über dem Nebelmeer, hinter dem Zirkuszelt, aus dem Helikopter, vom Schiff aus, gespiegelt in einer Pfütze, im winterlichen Abendrot: Buchmeiers Pilatus steht da als massiver, von Urkräften geschaffener Monolith.

Aber nur selten steht der Berg kalenderhaft isoliert im Fokus, sondern meist in Kontrast oder Dialog gesetzt zu einer von Menschenhand gezeichneten Welt.

Diese rückt Buchmeier beispielsweise als triste Betonunterführung, verlorene Bauprofile, Fahnen auf einem Golfplatz, einsamen Fahrweg auf einer Alp, knallrote Stange im weissen Schnee oder auch als schlicht-grünes Rübenfeld ins Bild.

“Was mich am Berg faszinierte, war die Art seiner Einbettung in die Landschaft. Der Wechsel von Kulturlandschaft zu landwirtschaftlich genutzten Zonen und Industrielandschaften, das ist hochinteressant in der Innerschweiz”, so der Autor.

Stunden für den “moment juste”

Das Fotografieren war für den Künstler das Eine, die Auswahl der 100 “richtigen” Bilder aus dem Riesenfundus von 40’000 Aufnahmen das Andere. “Dies war der schwierigste Teil der Arbeit, denn ich wollte 100 verschiedene Arten von Bildern und 100 verschiedene Themen zeigen”, sagt Buchmeier.

Hatte er sich in minutiöser Vorarbeit auf der Landkarte oder bei stundenlanger Recherche in freier Natur einen Standort ausgesucht, dauerte es dann vor Ort oft Stunden, bis der “moment juste” kam. So bezeichnete Henri Cartier-Bresson, einer der prägendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, den richtigen Augenblick zum Abdrücken.

“Beim langen Warten, oft in den frühen Morgen- oder Abendstunden, bin ich von der mystischen Kraft des Pilatus manchmal geradezu überwältigt worden”, sagt Buchmeier.

Zum Beispiel der Fussballplatz in Weggis

Für das Weggisser Bild, auf dem Buchmeier den Pilatus als Hintergrundkulisse eines abendlichen Fussballspiels bei Flutlicht inszenieren wollte, bedurfte es mehrerer Anläufe. Einmal sei der Berg im Dunst, ein anderes Mal kein Spiel im Gange gewesen. Schliesslich habe alles zusammen gepasst, “und der Berg sah wunderschön aus”, erzählt der Luzerner.

Beim “Tatort” handelte es sich übrigens um jenen unebenen “Acker”, auf dem in der Zwischenzeit ein neues Kleinstadion steht, wo sich bis vor ein paar Tagen die brasilianischen Fussballstars Ronaldinho und Co. auf die Weltmeisterschaft in Deutschland vorbereitet hatten.

Entdeckungen…

Die Umkreisungen des Berges während acht Jahren zu Fuss, per Fahrrad, Auto oder Bahn lehrten Buchmeier, den Berg mit anderen Augen zu sehen.

“Mir war zwar schon bewusst, dass der Berg verschiedene Gesichter hat, je nachdem, von wo man ihn anschaut. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass er ein so vielfältiges und reiches Gebirge darstellt.”

Als persönliche Entdeckung hebt Buchmeier unter anderem die blühenden Wiesen auf den Alpen des Pilatus im Bergfrühling hervor.

… und landschaftliches Déjà-Vu

Auch die Landschaft, die er auf seinen Streifzügen bis in die hintersten Winkel kennenlernte, löste bei Buchmeier Staunen aus. “Ich bin auf Stellen gestossen, die mich an völlig andere Orte auf der Weltkarte erinnert haben. So habe er beispielsweise ein Bild mit “Paris-Texas” betitelt (ein Querverweis auf den gleichnamigen Film von Wim Wenders) , weil die Szenerie eher an texanische Weite als an Innerschweizer Landschaften erinnere.

Wichtiger Impuls

Die intensive Beschäftigung mit dem Pilatus hat beim Künstler fruchtbare Spuren hinterlassen. “Ich habe die Landschaft als Thema entdeckt, und ich werde mich jetzt auch im malerischen Bereich mit Landschaft befassen.”

swissinfo, Renat Künzi

Der Luzerner Künstler Hansjürg Buchmeier hat acht Jahre am Pilatus-Projekt gearbeitet.
Er hat von 800 Standorten aus 40’000 Dias gemacht.
Davon hat er 100 Bilder für sein Buch ausgewählt:
“Pilatus. Ein Berg. Hundert Ansichten”, Brunner Verlag, Kriens 2005.
Das Buch ist auch eine Hommage an den japanischen Holzschnitt-Künstler Hokusai, der vor 170 Jahren “100 Ansichten des Fujiyama” malte.
Auf Buchmeiers Webseite können Besucherinnen und Besucher Bilder vom Pilatus aus ihren privaten Alben veröffentlichen (siehe Link).

Der Pilatus ist – mit der Rigi – das Wahrzeichen der Innerschweiz.

Die schroffen Felszacken über der Stadt Luzern waren stets von Mythen und Sagen umrankt: Der Pilatus galt als Sitz von Geistern und eines guten Drachens.

Im ehemaligen Pilatussee soll die rastlose Seele des römischen Statthalters in Jerusalem, Pontius Pilatus, die letzte Ruhe gefunden haben.

In der Neuzeit begann die abweisend-kahle Bergwelt die Menschen zu faszinieren.

Der Bau 1889 der mit 48% steilsten Zahnradbahn der Welt half mit, dass Luzern zu einer der grössten Tourismus-Destination der Schweiz wurde.

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