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Die Entdeckung der Alpen

Samuel Birmann, Panorama von der Rigi-Kulm 1814/15 (Ausschnitt). Martin Bühler/Hamburger Kunsthalle

Eine sehenswerte Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle verfolgt das Thema von Natur und Landschaft in der Zeit nach der Aufklärung.

Das damals neue wissenschaftliche und ästhetische Interesse widerspiegelte sich auch in der Erkundung der Schweizer Alpen.

Im 18. Jahrhundert setzte ein fundamentaler Wandel in der Einstellung zur wilden Natur der Alpen ein. Wurden die Berge bis dahin vor allem als hinderliche Barriere auf dem Weg nach Italien erlebt und war ihr Anblick von Gefühlen des Schauders und der Angst begleitet, riefen sie nun ein bewunderndes, beeindruckendes Staunen hervor.

Dies geschah aus diversen Gründen. Einerseits stellten die Schweizer Berglandschaft und ihre Bewohner einen Gegenentwurf zum Stadtleben dar. Anderseits boten sie ein geeignetes Experimentierfeld für die aufstrebenden empirischen Wissenschaften.

Der Genfer Naturforscher Horace Bénédict de Saussure begründete im 18. Jahrhundert die empirische Erforschung der Westalpen. Seine Methode basierte auf eigenen Anschauungen und Messungen. Auch seine erfolgreiche Besteigung des Montblancs (1787) diente der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Wissenschaft, Werkzeug und Ästhetik

Die Beobachtungen Saussures – dank mitgeschleppter Barometer, Thermometer, Hygrometer und anderer Werkzeuge – über die genauen Höhen und Abfolgen der Bergketten führten zu ersten Reliefansichten der Alpen. Zeitgleich durchwanderte der Schweizer Maler Caspar Wolf die Alpen und lieferte die ersten wirklichkeitsnahen Gebirgsansichten.

Die Überschneidung von wissenschaftlichem und ästhetischem Interesse an den Alpen zeigt sich bestens in dem in Hamburg ausgestellten Panorama-Bild des Baslers Samuel Birmann. In seiner “Gipfelansicht von der Rigi-Kulm” (1814/1815) demonstrieren drei Herren mit Karten und entrollten Kleinpanoramen ihre “wissenschaftlich” betriebene Natur-Aneignung.

Birmann hatte mit seinem geologisch versierten Freund Peter Merian die heimatliche Bergwelt erkundet. Gewisse Ansichten von Gebirgsmassiven wirken so hart, dass sie fast eine abstossende Wirkung erhalten.

Der einleitende Kuppelsaal der Sonderausstellung dokumentiert den durch die neuen Bedürfnisse nach Naturwahrheit und den Einsatz technischer Hilfsmittel erweiterten Blick der Künstler auf die Natur, der mit dem apparativen Blick der Naturforscher korrespondiert. Hier ist neben Sextanten, Barometern und Fernrohren auch das erste massstabsgetreue Modell des Montblanc-Massivs von 1789 zu sehen.

Zwischen Realität und Verschönung

Schon Ende des 18. Jahrhunderts zuvor hatte Caspar Wolf, der zusammen mit einem Geologen Gebirgs-Expeditionen unternommen hatte, bahnbrechende topographische Ansichten geliefert. Seine Darstellungen des Hochgebirges erscheinen einerseits in ihrer Rauheit ungeschönt, sind andererseits aber doch mit ästhetischen Ordnungsprinzipien wie dem Goldenen Schnitt noch verbessert worden.

In den 1820er Jahren verarbeitete Carl Gustav Carus die Eindrücke seiner 1821 unternommenen Schweiz-Reise in einigen Alpenbildern. Der Arzt und Maler setzte in diesen Bildern das Projekt seiner “Erdleben-Bildkunst” fort.

Naturbeobachtung und künstlerische Umsetzung

Die Ausstellung in Hamburg beschränkt sich nicht auf die Schweizer Aspekte. Die Künstler und Wissenschafter erkundeten auch andere Länder und Regionen wie Italien, Skandinavien und Südamerika, um sich anderen beeindruckenden Landschaften zu nähern.

Nicht alle Künstler zog es jedoch zum Naturstudium in die Ferne. Caspar David Friedrich ging zunächst auf seiner Suche in die nähere, heimatliche Umgebung. Seine Studien von Eisschollen sollen auf Beobachtungen aus dem Hamburger Hafen beruhen, die Insel Rügen war auch kein exotisches Reiseziel. Und Wolken, denen in der Ausstellung eine eigene Sektion gewidmet ist, liessen sich von zu Hause aus studieren.

Die Ausstellung zeigt in all ihren Sektionen, wie die Vertiefung in die Natur eine sprunghafte Erweiterung von Landschaftsaspekten bewirkte. Aber auch der Blick auf die Natur wurde verändert. Der Künstler verband die Unmittelbarkeit der Naturbeobachtung nun mit dem neuen Wissen um die natürlichen Zusammenhänge und ihre Entwicklungsgeschichte.

swissinfo, Gerhard Lob, Hamburg

Expedition Kunst: Die Entdeckung der Natur von C.D.Friedrich bis Humboldt
Wo: Hamburger Kunsthalle, Hamburg (Deutschland)
Wann: Bis 23. Februar 2003, Di-So 10.00 bis 18.00 Uhr, Do bis 21.00 Uhr
Was: 220 Exponate(Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphiken, Reiseberichte).
Katalog: 264 Seiten mit zahlreichen Abbildungen (23 Euro)

Die Ausstellung untersucht die Wechselwirkung zwischen Kunst und Naturwissenschaft am Beispiel der Landschaftsmalerei um 1800.

Sie will damit einen Beitrag zur Neubestimmung der Romantik leisten – und das in einem Museum, dessen grosse Stärke die Malerei der Romantik – Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge – ist.

Die Ausstellung zeigt unter anderem auf, welche wichtige Rolle die Schweizer Alpen in Bezug auf die veränderte Naturwahrnehmung und neue ästhetische Erschliessung im 18. und 19.Jahrhundert spielten.

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