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Die WM hat das Schweiz-Bild vieler Deutscher verändert

Keystone

Ausgeschieden und doch unvergessen. Die Schweizer Nati und ihre Zehntausenden von Fans haben in Deutschland die beste Werbung für das Land der Eidgenossen gemacht.

Schade, sagen viele Deutsche, dass die Schweizer raus sind. Wenn die so feiern können, wie wird das erst an der EM 08 in ihrer Heimat werden?

Schweizer können mit Geld umgehen, verfügen über gute Weine und besten Käse, leben und denken traditionell. Das haben Deutsche im Schulunterricht gelernt.

Die Schweizer kämpfen bis zum letzten Apfelschuss, um ihre Freiheit zu erringen und zu behalten. Das hat uns ein deutscher Dichter frühzeitig beigebracht. Jetzt haben wir das auch mal live in den Stadien erlebt.

“Durch diese hohle Gasse muss er kommen.” Dieser weltberühmte Tellspruch sorgt seit einiger Zeit auch im deutschen Fussball für Furore. Bundesliga-Vereine haben Schweizer Spieler entdeckt. Sie schlagen manchen Traum-Pass durch leere “Fussballgassen” und haben deutschen Vereinen wie dem 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt zu grosser Aufmerksamkeit verholfen.

Die Schweiz, ein Feierland

Jetzt also waren sie da, die Schweizer. Der kleine Bahnhof in der Kurstadt Baden-Baden erlebt einen wahren Kreuzzug. Kaum hatten die an Ruhe gewohnten Kurstädter den roten-weissen Kreuz-Zug einigermassen überstanden – da beherrscht das weisse Kreuz auf rotem Grund den Umsteigebahnhof. Schweizer Akzent überall.

Seit dem Türkeispiel, das in Deutschland live im TV übertragen wurde, haben wir darauf gewartet. Der Zug nach Stuttgart ist zum exterritorialen Schweizer Gelände geworden. Nicht nur, dass alle 2.-Klass-Abteile fest in eidgenössischer Hand sind, die Schweizer werden ihrem “Geldruf” wirklich gerecht. Alle 1.-Klasse-Abteile, die an der WM akkreditierte Journalisten kostenlos benutzen dürfen, sind vorab von Schweizern reserviert. Ich muss stehen.

Je näher wir Stuttgart kommen, je roter und weisser wird der Zug. Offensichtlich, so staune ich wie viele meiner Landsleute, sind die Schweizer doch ganz schön anders als wir dachten. Von wegen Zurückhaltung: “Hopp Schwiiz” ist im Zug zu hören, mit Köbi-Gesängen machen sich die Fans Mut. Die können ja richtig feiern.

Der Stuttgarter Bahnhof, die Einkaufsmeile und der Schlossplatz: Es ist kaum zu glauben. Man muss einfach stehenbleiben, geniessen, das alles auf sich wirken lassen. Über Hunderte von Metern, so weit man schauen kann, wogt es rot und weiss. Zehntausende Schweizer Fans sind angereist.

Schweizer Freude und Nationalstolz

Die Stuttgarter und später auch die Dortmunder und Kölner Innenstadt sind fest in Schweizer Hand. “Ist eigentlich noch jemand in der Schweiz?,” frage ich einen Fan. “Doch ja, ich habe eben mit einem telefoniert, ihm erzählt, was hier abgeht”, antwortet er lachend, um gleich darauf in “Köbi, Köbi”-Rufe auszubrechen und die Eidgenossen-Fahne wild zu schwenken. Andere fallen ein.

Solch unerwartetes Schweizer Verhalten “provoziert” offensichtlich die Deutschen. Viele nutzen die Gelegenheit, mit Schweizern zu reden, mehr über ihr Land zu erfahren.

Das Überraschende für uns Deutsche: Schweizer Nati-Fans wollen umgehend wissen, wie es in Deutschland zugeht. Der Deutsch-Schweizer Austausch ist in Gang gesetzt. Die WM lässt Grenzen und Vorurteile vergessen.

Schweizer und Deutsche rücken näher

Unvergesslich die Atmosphäre in den Stadien. Ob Stuttgart, Dortmund oder Köln. Gegen die Schweizer Fanwoge kommt keine gegnerische Fanversammlung an. Wenn die Nationalhymne geschmettert wird, kann man sich die frühere “Tellzeit” lebhaft vorstellen.

Die Deutschen erleben den Schweiz-Bann. Nicht ohne Grund. Schliesslich ist die Schweizer Nati ja auch ein bisschen eine “deutsche Nati”, wenn man sich die Herkunft-Clubs der Spieler anschaut. Dass ausgerechnet die “deutsche” Bundesliga-Riege im entscheidenden Elfmeterschiessen versagt, kann keiner ahnen.

Das Ausscheiden schmerzt, die Enttäuschung sitzt tief. Wir Deutsche wissen das seit dem WM Finale 2002 und können mitfühlen. Gerne hätten wir ein Halbfinale zwischen Deutschland und der Schweiz erlebt – das wäre nicht nur etwas für die Fans beider Lager gewesen.

Jetzt werden wir das vertagen. Bis zur EM 08 in der Schweiz!

swissinfo, Udo Seiwert-Fauti, Köln

In Deutschland leben 71’115 Schweizer Staatsangehörige.
In der Schweiz wohnen 144’864 Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland.
Das sind 9,7% der ausländischen Wohnbevölkerung.
Deutschland ist der mit Abstand grösste Handelspartner der Schweiz.

8 Spieler des Schweizer WM-Aufgebots spielen in der Deutschen Bundesliga.

Die 3 Spieler, welche die entscheidenden Elfmeter im Achtelfinal gegen die Ukraine verschossen, spielen beim 1. FC Köln und bei Bayer 04 Leverkusen.

Der neue deutsche Zweitligist und Bundesliga-Absteiger 1. FC Köln hat mit u.a. Bernt Haas und Baykal Kulagsizoglu vier neue Schweizer Spieler eingekauft.

Trainer und Manager des 1.FC Köln ist der Schweizer Hanspeter Latour.

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