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Ein publizistischer Sonderfall feiert Jubiläum

tessinerzeitung.ch

Die "Tessiner Zeitung" feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Sie berichtet über das politische und kulturelle Leben in der Südschweizer Sonnenstube.

Für die Zukunft sieht der Verleger nicht etwa schwarz, sondern rechnet dank der NEAT und der Babyboomer-Generation gar mit neuen Lesern für das deutschsprachige Blatt aus Locarno.

Es ist jedoch noch gar nicht so lange her, da machte sich Verleger Giò Rezzonico Sorgen um “la Tessiner”, wie er die Zeitung mit ihren zwei Bünden nennt. Bis Ende 2005 erschien sie dreimal pro Woche – seither nur noch einmal wöchentlich.

“Wir waren nicht aktuell wie eine Tageszeitung, und gleichzeitig konnten wir mangels Zeit auch keine Hintergrundgeschichten liefern wie ein Wochentitel”, erklärt Rezzonico. Dies sei der Grund für die Sinneskrise gewesen, in welche die “Tessiner Zeitung” (TZ) nach und nach schlitterte.

Die Umstellung wertet Rezzonico als vollen Erfolg. Als Wochenzeitung sei die TZ attraktiver und kompakter geworden. Mittlerweile liegt die verkaufte Auflage bei 8583 Exemplaren.

Grosse Erwartungen setzt der Verleger in die NEAT, die Neue Eisenbahn-Alpentransversale. In gut einem Jahrzehnt werde Lugano von Zürich aus in 75 Minuten erreichbar sein und das Tessin damit an Attraktivität gewinnen. Jeder Zuzüger aus dem Norden sei ein potentieller Leser der TZ.

Treue Leserschaft

Deren Leserschaft gilt als überaus treu. Gemäss einer Umfrage besitzen 58% der Leser seit mehr als fünf Jahren ein Abo. Die TZ bezeichnen 79% als Hauptinformationsquelle zum Tessin. Der Umfrage kann man auch entnehmen, dass nur knapp die Hälfte der Leser dauerhaft in der Südschweiz wohnt.

Die übrigen sind Wochenend-Aufenthalter, Touristen und Festivalbesucher, die mehrheitlich um die 50 oder älter sind. Viele sind in den Süden gezogen oder fahren regelmässig in die Sonnenstube. Ein grosser Teil der Zuwanderer spricht jedoch nicht oder kaum Italienisch und nutzt die TZ als Orientierung.

Diese Gruppe werde in Zukunft an Bedeutung gewinnen, prophezeit Rezzonico und verweist auf das Buch mit dem Titel “Ticino einfach – Pensionierte Deutschschweizer im Tessin”.

Im Buch schreibt der Altersforscher François Höpflinger von der Universität Zürich: “Während 1991 ein Wohnungswechsel in den Süden nur für 9% der über 50-Jährigen überhaupt denkbar war, konnten sich im Jahr 2000 schon 14% mit diesem Gedanken anfreunden, und der Trend zeigt weiter nach oben.”

Ein klassisches Nischenprodukt

Herausgegeben hat das Buch der Rezzonico-Verlag zum 100-Jahr-Jubiläum der TZ. Die Jubilarin befinde sich bei guter Gesundheit, sagt der Verleger, der mit der “Tessiner Zeitung” einen Jahresumsatz von knapp 2 Mio. Franken erwirtschaftet.

Mit dem deutschsprachigen Blatt alleine wäre für den Verlag kein Staat zu machen. Da Rezzonico aber noch andere Printprodukte wie die florierende Sonntagszeitung “il Caffè” oder das zweisprachige Magazin “TicinoWein” herausgibt, geht die Rechnung am Ende auf.

Die TZ ist für den Verleger ein klassisches Nischenprodukt, dem er einen hohen kulturellen Wert attestiert. Dem Blatt komme eine Brückenfunktion zu. Es spiele eine Vermittlerrolle zwischen Norden und Süden. Dem war freilich nicht immer so gewesen.

Symbol des Kulturkampfes

Dass das Verhältnis zwischen den Tessinern und den zugewanderten Deutschschweizern lange nicht das beste war, daran hatte auch die Vorgängerin der TZ, die 1908 gegründete “Südschweiz”, ihren Anteil.

Sie verstand sich anfangs als Organ und Interessenvertreterin der Deutschschweizer im Tessin und warf den Tessinern “fremdeidgenössische Haltung” vor.

Viele Einheimische trieb dies auf die Palme. Man fühlte sich an die Zeiten der “ennetbirgischen Vogteien” erinnert und ärgerte sich über diesen Versuch der Germanisierung.

Erst infolge des eidgenössischen Schützenfestes in Bern 1910 konnten die Gräben wieder zugeschüttet werden. Mittlerweile hat der publizistische Sonderfall im Tessiner Blätterwald tiefe Wurzeln geschlagen.

swissinfo und Omar Gisler, sda

Der Südschweizer Kanton weist eine grosse Medienvielfalt in italienischer Sprache auf.

Drei Tageszeitungen, zwei Sonntagszeitungen, drei Radio- und zwei Fernsehprogramme der SRG SSR idée suisse sowie Privatradios und den Fernsehsender Teleticino.

Das Tessin zählt mit den Bündner Südtälern insgesamt 320’000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Die deutschsprachige Bevölkerung im Tessin zählt 25’000 Personen.

Die 1908 gegründete “Tessiner Zeitung”, die jahrzehntelang unter dem Namen “Südschweiz” erschien, hat seit 1987 wieder ihren ursprünglichen Namen.

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