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Einmalig vielseitig: Erika Stucky

Vollblut-Musikerin mit Witz und Tiefgang. erikastucky.com

Erika Stucky, Jazzvokalistin mit amerikanisch-walliserischen Wurzeln, lässt sich in kein Korsett zwängen.

Auf ihrem neuen Album “Lovebites” erzählt sie 14 musikalische Geschichten. Mit “Tuten und Blasen” und einer unerhörten Stimme.

Was für eine Scheibe voll gepresster Musik! Biegt da nicht Doris Day um die Ecke? Oder tanzen hier muntere Pfadfinder-Girls einen Reigen im Walde? Nein, das muss New York in den 20er Jahren sein, zwischen gestylten Limousinen und prohibiter Depression. Oder doch nicht?

Welche Bilder auch immer sich zum neusten Stucky-Wurf einstellen, über allen hängen schaurig schöne Bläser: Tuba, Posaune, Trompete. Und mittendrin: Erika Stucky, Sängerin, Geschichtenerzählerin, Künstlerin.

Auf ihrer aktuellen CD “Lovebites” lockt sie ins Land der celluloiden Fary Tales (Märchen). Nicht ganz harmlos, denn um jeden Song schleicht ein Rudel hungriger Wölfe.

“Für diese CD habe ich etwas Filmisches gesucht. Dafür habe ich in den letzten 18 Monaten rund 350 Filme geschaut. Alle auf DVD. Schund und anderes. Ich habe mich von Namen inspirieren lassen, von Filmmusik, Orchestern, Stimmungen. Ich wollte kleine Filmchen singen”, erzählt Erika Stucky.

Filmische Songs

Tatsächlich wirken die einzelnen Stücke des Albums wie Videoclips. Erika Stucky und ihre Musiker liefern die Musik, zu der sich laufend neue Bilder einstellen, ganz nach Stimmung und Gesinnung.

In “I’ll see you in my Dreams” aus dem Dschungelbuch schlängelt sich Ka, die Schlange, geschmeidig um die Posaune. Verführerisch und gefährlich zugleich. Und wenn Ray Anderson mit Stucky im Duett singt, glaubt man für einen Augenblick Balou, den Bären, als tapsigen aber charmanten Frauenhelden vor sich zu sehen.

In “Tipsy”, das von Stuckys Tochter inspiriert ist – sie sang diese Melodie als kleines Kind –, tanzt ein Mädchen irgendwo unter freiem Himmel. Marktstimmen sind zu hören, Grillen zirpen, das Gras ist dürr.

Dem schmelzenden “A Whiter Shade Of Pale” von Procul Harum, für jede pubertierende Generation eine Neuentdeckung, haucht Erika Stucky ganz unschuldig jenen Touch Herzschmerz ein, der in jeder Zeile steckt.

“Es ist eine Passion, einen Song neu zu interpretieren, den eigentlich alle Welt schon kennt. Die Aufgabe besteht darin, sich den Song so anzueignen, als ob es der eigene wäre. Man spielt mit dem Ohr des Zuschauers, der Zuhörerin. Einen Song wie ‘A Whiter Shade Of Pale’ von Procul Harum haben alle im Ohr. Das ist ein schönes Spiel mit… sagen wir Weltkulturgut.”

Weltkulturgüter

In der Tat spielt Erika Stucky virtuos mit den verschiedensten Weltkulturgütern. Seien es Filme, Musikstücke, Zitate aus der grossen Welt der Künste. Berührungsängste kennt sie nicht. Sie nimmt, was passt, was gefällt, was ihr das Leben zuträgt.

Bevor ein Stück auf CD gebrannt wird, kommt es auf die Bühne. “Ich muss die Songs spielen, auf der Tour. Ich muss hören, wohin der Song geht.” Später, wenn ein Lied auf ein Album kommt, stünden “sozusagen die Eingeweide”.

Im Studio kommt dann der Schmuck dazu. Geigen, noch mehr Bläser, Tonspuren, Geräusche. Möglichst bombastisch am Anfang. Später wird dann reduziert, so lange bis Erika Stucky und ihr Produzent Knut Jensen glauben, dass die Stimmung, die auf der Bühne herrscht, auch auf einer Disc ihre Kraft entfalten kann.

Das heisst monatelange Tüfteleien im Studio. Immer wieder verwerfen, neu anfangen, die Eingeweide neu arrangieren. Das heisst Teamwork, heisst sich einlassen, auslassen. Hohen Ansprüchen gerecht werden.

Live-Ereignis

Erika Stucky auf CD ist das Eine. Erika Stucky auf der Bühne ist ein Ereignis. Eines, das sich nicht einfach auf eine Scheibe pressen lässt. Dazu ist die singende Künstlerin oder die kunstvolle Sängerin zu sperrig, zu sehr Bühnentier.

Locker beherrscht sie alle Register der Unterhaltung. Parliert Dialekt, Amerikanisch und Bubbelish, eine eigene Kunstsprache. Sie setzt Videos und die unterschiedlichsten Requisiten ein, arbeitet mit ausgezeichneten Musikern und besitzt jenen Sexappeal, den es nirgends zu kaufen gibt.

Stucky, die das Spazieren gehen auf dem Kraterrand zelebriert, liebt das Hinter- und Abgründige, daher rührt wohl der Eindruck der ewig hungrigen Wölfe. Unsichtbar, unnahbar, lauernd.

Hip-Hop und Hula Hop

Wer heute das selbst ernannte Cowgirl und ihre Band, die in den verschiedensten Formationen seit Jahren besteht, bei einem Live-Auftritt sieht, wird den Abend nicht so schnell vergessen. Stucky erzählt Geschichten, unglaubliche, vom Leben geschrieben. Mühelos verbindet sie Hip-Hop mit Hula-Hop, verschmelzt Jazzklänge mit Alpsegen, beschwört Welt-Musik und Schlager.

In selbstgeschneiderten Kostümen, die so eigenwillig wie bunt, so uni wie speziell sind, irrwischt sie über die Bühne, wie sie in ihren CDs herumstreift. Eine kitschige Heile-Welt-Sängerin ist Erika Stucky, die noch immer als Geheimtipp gilt, nicht.

Bei aller Ironie, bei aller Liebe, Stucky ist nicht fassbar. Sie will nicht fassbar sein. Sie ist ihrem Publikum immer ein Geheimnis voraus.

Noch immer schaut sich Stucky DVD-Filme an. “Jetzt bin ich in der Depp-Phase. Neulich, auf der Bühne, habe ich an Johny Depp gedacht. Daran, dass er so wenig macht. Hier eine Augenbraue hochziehen, da eine Geste. Das hat mich bei einem meiner Songs, einem Wiegenlied, inspiriert. Keine Grimassen, sondern ganz einfach: Schlichtheit.”

swissinfo, Brigitta Javurek

“Lovebites”, so die aktuelle CD von Erika Stucky
14 Album-Titel, davon 6 Cover-Versionen
u.a. Jimi Hendrix mit Original-Aufnahmen der Zürcher Globuskrawalle

Erika Stucky wurde 1962 in San Francisco geboren. Sie wuchs auf, als “Flower Power” allen Kriegen dieser Welt glaubte das Fürchten lehren zu können.

Musikalisch wurde sie beeinflusst von Nancy Sinatra, The Monkees, dem Musical Hair. Und vom uramerikanischen Prinzip, dass alles möglich ist, wenn man es nur will.

Als Teenager zog sie mit ihrer Familie ins Oberwallis zurück. Erste Kontakte mit Radio Beromünster, dem Trio Eugster, Jodelchören und dem Prinzip, dass, wer etwas werden will, zuerst eine solide Ausbildung machen muss. Und dass Träume erst nach erledigter Arbeit gestattet sind.

Doch die junge Stucky folgte ihrem eigenen Weg, machte eine Ausbildung als Jazz-Sängerin und Schauspielerin.

Erika Stucky, die regelmässig auch in Deutschland und Amerika auftritt, gilt in der Schweiz noch immer als Geheimtipp.

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