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Engste Wirtschaftsbande

Container 2001 im Hamburger Hafen. Wegen der Wirtschaftskrise wird weniger Ware umgeschlagen. Keystone

Die Medien sind voll davon: Deutschland leidet an einem Reformstau, und die Wirtschaft schrumpft.

Seit Jahrzehnten besteht zwischen dem nördlichen Nachbarland und der Schweiz eine sehr enge aussenwirtschaftliche Verflechtung.

Die neuesten deutschen Wirtschaftszahlen vom Donnerstag geben keinen Anlass zur Hoffnung: Das Bruttoinlandprodukt (BIP) schrumpfte im ersten Quartal 2003 um 0,2% gegenüber dem Vorquartal. Die Experten waren von einem bescheidenen Wachstum ausgegangen.

Sollte die Wirtschaft im zweiten Quartal weiter schrumpfen, befindet sich Deutschland offiziell in einer Rezession.

Natürlich hat dieses Krisenszenario auch Auswirkungen auf das Nachbarland Schweiz. Immerhin ist Deutschland mit Abstand der wichtigste Handelspartner.

Beziehung auf hohem Niveau

Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Schweiz inkl. Liechtenstein betrug 2002 knapp 67 Mrd. Franken. Das sind 6% weniger als im Vorjahr.

“Über 10 Jahre lang bewegte sich der schweizerisch-deutsche Aussenhandel auf hohem Niveau. Letztes Jahr gab es schliesslich erstmals einen Rückgang”, bedauert Martin Theurer, Geschäftsführer der Handelskammer Deutschland-Schweiz, gegenüber swissinfo.

2002 gingen knapp 21% aller Schweizer Exporte nach Deutschland. Wertmässig brachen sie damit um über 7% auf 27 Mrd. Franken ein. Ausgeführt wurden vor allem Maschinen/Elektronik (29%) chemische Erzeugnisse (27%), und Metalle (13%).

Umgekehrt betrug der Anteil der deutschen Produkte an den Schweizer Gesamtimporten im vergangenen Jahr über 30%. Deren Wert betrug knapp 40 Mrd. Franken. Das sind 5% weniger als im Vorjahr. Die wichtigsten Importgüter waren Maschinen und Elektronik-Produkte (25%), chemische Erzeugnisse (18%) und Fahrzeuge (12%).

Auch die gegenseitigen Direktinvestitionen haben 2002 gegenüber dem Vorjahr abgenommen: Seitens der Schweiz wurden netto 350 Mio. Euro weniger investiert, seitens Deutschland netto 1,8 Mrd. Franken weniger.

Stabiler geht es fast nicht

Interessanterweise hat sich der Aussenhandel zwischen den beiden Staaten seit Anfang des letzten Jahrhunderts nicht wesentlich verändert.

Dazu Theurer: “1912 wurde die Handelskammer Deutschland-Schweiz gegründet, damals importierte und exportierte die Schweiz in der gleichen Grössenordnung wie heute.”

Auch habe sich die Zusammensetzung der Importe und Exporte im Laufe der Zeit nicht massiv verändert.

Nicht alle gleich von Flaute betroffen

Nicht nur Grossunternehmen sind am Aussenhandel beteiligt, sondern auch KMU. Allerdings scheinen nicht alle gleich stark unter der aktuellen Lage zu leiden, wie das Beispiel des Ostschweizer KMU Leutenegger und Frei illustriert, das auf Maschinenbau spezialisiert ist: Seit 8 Wochen wird intensiv ein Grossauftrag aus Deutschland bearbeitet.

Ähnlich sieht es Martin Theurer: “KMU erweisen sich in Krisensituation als widerstandsfähiger, sie können schneller auf Nachfrage-Verschiebungen reagieren als Grossunternehmen.” Ein Grossunternehmen sei wie ein schwer manövrierbarer Tanker.

Problem: Aufwertung des Euro

Für Thomas Härter, Chefstratege bei der Bank Leu, ist vor allem die Entwicklung des Wechselkurses Euro/Schweizer Franken von Interesse. “Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 war der Schweizer Franken sprunghaft angestiegen und hielt sich dann relativ lang auf hohem Niveau”, so Härter gegenüber swissinfo.

In den letzten Monaten habe sich der Franken gegenüber dem Euro nun wieder deutlich abgewertet. “Damit sind wir wieder auf dem Stand von vor dem 11. September 2001. Für die Schweiz bedeutet dies eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.”

Dementsprechend mindert der erstarkte Euro natürlich die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. “Dies zieht – zusammen mit der sonstigen Stimmung im Lande – alles noch weiter runter”, so Theurers Fazit.

Trotz Personenfreizügigkeit blieb Ansturm aus

Seit Juni 2002 ist das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU in Kraft. Ein Ansturm auf die Schweiz ist jedoch ausgeblieben, da die Übergangsregelung die schweizerischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schützt.

Laut der Handelskammer Deutschland-Schweiz stammen die meisten Zuwanderer aus der EU – zumindest in der Deutschschweiz – aus Deutschland. Ein Grund für die Zunahme sei eine bessere und schnellere Bewilligungspraxis bei den kantonalen Ämtern.

Laut Theurer lassen sich auch vermehrt deutsche Unternehmen in der Schweiz nieder: “Aus deutscher Sicht ist dieser Trend beunruhigend. Die Zahl der Anfragen bezüglich einer Unternehmens-Niederlassung in der Schweiz ist extrem hoch. Mit jedem Unternehmen, dass Deutschland verlässt, verlassen auch Steuergelder das Land.”

swissinfo, Elvira Wiegers

Von einer Rezession ist dann die Rede, wenn die Wirtschaft eines Landes während zwei Quartalen in Folge schrumpft.

Das deutsche BIP sank im ersten Quartal 2003 um 0,2% gegenüber dem Vorjahr. Experten waren von einem bescheidenen Wirtschaftswachstum ausgegangen.

Verschiedene Faktoren sind für die deutsche Misere verantwortlich: Reformstau, allgemeine Wirtschaftslage, hausgemachte strukturelle Probleme und der erstarkte Euro.

Vor dem ersten Weltkrieg ging etwa ein Viertel der in der Schweiz produzierten Güter ins damalige deutsche Kaiserreich. Rund der 30% aller Importe stammten aus dem nördlichen Nachbarland.

Heute – fast hundert Jahre später – findet der schweizerisch-deutsche Aussenhandel praktisch unverändert auf diesem Niveau statt.

Aufgrund der Weltwirtschaftslage gab es 2002 nach über 10 Jahren erstmals einen Einbruch im schweizerisch-deutschen Güter- und Dienstleistungs-Austausch.

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