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Fellinis “Kritzeleien”

Vorbereitungszeichnung zur Person der Volpina für "Amarcord". SP

Skizzen, Karikaturen und Zeichnungsentwürfe des Meisters können in Sitten bewundert werden. Für den italienischen Filmemacher kam Papier immer vor dem Film.

Dieser Prozess ist, dank der auch im Walliser Hauptort ansässigen Fondation Fellini, in der “Ferme-Asile” zu verfolgen.

Lebhafte, einfache, knappe Striche voller Ausdruckskraft. Überspitzt gezeichnete Gesichter. Übermässig vergrösserte Brüste. Und hier und dort eine Telefonnummer, wie um daran zu erinnern, dass diese Zeichnungen nur Momentaufnahmen sind, kleine, schnell gemachte Dinge, Gedächtnisstützen.

Es sind Zeichnungen von Federico Fellini und sie stammen aus der Sammlung des Produzenten und langjährigen Assistenten des Meisters, Gérald Morin. Die daraus hervorgegangene Fondation Fellini stellt sie nun dem Publikum vor, zusammen mit der Ferme-Asile. Beide sind in Sitten beheimatet.

Der Walliser Bezug

Ferme-Asile: Ein seltsamer Name für einen wunderbaren Ort am Ufer der Rhone. Vor zehn Jahren wurde der alte Bauernhof zu einem Kulturzentrum umgebaut, mit Restaurant, Konzertsaal, Künstlerateliers und einer “Scheune” von 800 m2 für Ausstellungen, mit sichtbarem Dachstuhl und Balken.

“Wir hatten von der Stiftung gehört, kannten sie aber nicht richtig”, meint Benoît Antille, der für die Ausstellungen in der Ferme-Asile verantwortlich ist. “Wir fanden, dass dies eine ausgezeichnete Gelegenheit sei, um einen Teil dieser Sammlung in einem Kulturzentrum in Sitten vorstellen.”

Stiftungspräsident Stéphane Marti ergänzt: “Mit der Ausstellung im Wallis wollten wir zeigen, dass wir hier etwas haben, das über unsere Grenzen hinausgeht.”

Heute sei in der Schweiz wie anderswo der Kulturreflex im Allgemeinen von der Nabelschau geprägt. “Als es darum ging, die Sammlung Fellini zu retten, lautete die erste Frage: ‘Aber was hat das mit dem Wallis zu tun?’ Hätte ich im Wallis eine Mätresse Fellinis gefunden, wäre es einfacher gewesen!”

Eine Film- und Bildergrafik

Es gilt also Fellinis Zeichnungen zu entdecken. Doch was wird ausgestellt? Die Skizzen eines genialen Filmemachers oder die Werke eines wirklichen Künstlers der Bleistiftzeichnungen?

Benoît Antille weist auf Fellinis Biografie hin: “Bevor Fellini Filmemacher war, war er Karikaturist. Er arbeitete mehrere Jahre für Zeitschriften von Florenz bis Rom. Und auch als er sich dem Film zuwandte, war das Zeichnen in seinen Werken immer präsent. In Zeichnungen gab er den Ideen Gestalt, die zu seinen Filmen führten.”

Stéphane Marti geht noch weiter: “Sein Film, das war die Malerei. Er sagte übrigens selber: ‘Das Licht macht das Objekt.’ Die Idee, dass das Licht das Objekt zeichnet, ist ganz klar die Sichtweise eines Malers.”

Man braucht nur den Ausstellungskatalog anzuschauen. Da wird anhand der Zitate klar, wie weit für Fellini eine Parallele zwischen dem filmischen und dem bildhaften Ansatz bestand: “Mein wertvollstes Talent ist meine visuelle Fantasie. Sie ist die Quelle meiner Träume. Dank ihr kann ich zeichnen. Sie ist der Nährboden für meine Filme.”

Der Bleistift regt die Fantasie an

Die Ausstellung zeigt verschiedene Arten von Zeichnungen, wie Marti erklärt: “Entwürfe als Vorbereitung für Casanova und Amarcord. Zeichnungen, welche er zwischen zwei Filmen machte, um seine Fantasie in Gang zu bringen. Fantastische, unkonventionelle Zeichnungen. Zeichnungen von einer Frau, die Anna genannt wurde – immer das gleiche Gesicht, aber immer mit anderem Körper. Und Zeichnungen, die seine Mitarbeiter darstellten.” Nino Rota und andere…

Also lustige Entwürfe bis hin zu Arbeitszeichnungen, ‘work in progress’, mit kreativer Zweckbestimmtheit. So wie die Serie der Volpina, einer Prostituierten in “Amarcord”; von der flüchtigen Skizze bis zur fertigen Zeichnung, einschliesslich Ausdruck und Kleidung. So dass nur noch eine Darstellerin gefunden werden musste, die mit der Zeichnung übereinstimmte. Das war der Fall bei Josiane Tanzilli.

“Auf die eine oder andere Weise sind meine Gedanken und meine Hand in Inspiration und Kreation verbunden. Ich kann ohne Bleistift eine Idee haben, aber erst, wenn ich einen Bleistift in der Hand habe, wird meine Fantasie wirklich angeregt”, sagte Fellini.

Die Zeichnung als einfaches Mittel zur Anregung der Fantasie? Nicht nur. Zwar gab sich Fellini hinsichtlich des künstlerischen Werts seiner Zeichnungen ein wenig gleichgültig, doch die Wirklichkeit zeigt, dass er das vielleicht nicht ganz ernst meinte: Einige davon sind signiert.

Der Heilige Fellini

Für die Gestaltung der Ausstellung wandten sich die Organisatoren an Gilles Lambert. Dieser beschloss, den Kontrast zwischen der Grösse des Ausstellungsorts und den eher kleinen Zeichnungen Fellinis hervorzuheben.

Dazu kommt eine Ambiance des Films, dank farbiger Beleuchtung und einem Tonband, das die Musik von Nino Rota spielt, aber anders, als sie in den Filmen ertönt.

Und schliesslich wurde auf einer Plattform, etwas über dem Saal, eine Reihe einfacher Kapellen aus Blech aufgestellt, in denen “Reliquien” des Heiligen Fellini ausgestellt sind: Die Klappe aus Amarcord und Casanova, Kostümteile, einige eher alltägliche Accessoires.

Ein hübscher Gegensatz zwischen der nichtssagenden Seite der Objekte selbst und ihrer fast religiösen Inszenierung.

swissinfo, Bernard Léchot in Sitten
(Übertragung aus dem Französischen: Maya Im Hof)

“Die Zeichnungen der Fondation Fellini”, bis zum 2. Oktober 2004 zu sehen in der Ferme Asile Sitten
Die Ausstellung zeigt rund 100 Zeichnungen, Vor-Skizzen für die Filme, Zeichnungen von Dekors und Figuren, Karikaturen seiner Mitarbeitenden, usw.

Die Fondation Fellini ist im Collège des Creusets in Sitten untergebracht und steht seit dem 31. Oktober 2001 dem Publikum offen.

Sie besitzt über 13’000 Originaldokumente zu den Werken von rund hundert Filmemachern, insbesondere 8000 Dokumente zu den Werken Fellinis.

Ein Forschungszentrum, das mit Universitäten verbunden ist, zeigt 5500 indexierte und auf der Website der Fondation zugängliche Dokumente.

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